Licht und Luft kehrten in Juliets Welt zurück. »Du wärst reich geworden.«
»Ich bin reich. Mir gehört das Haus ohnehin. Es liegt an einem der schönsten Strände der Welt. Sicher, ich habe noch keine richtige Arbeit, aber ich werde zurechtkommen.« Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf Juliets. »Es tut mir so leid. Wegen allem. Ich liebe dich, Juliet. Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber es ist die Wahrheit.«
Die Erleichterung machte sie verletzlich. Und die aufrichtigen Worte brachten Juliet endgültig zum Weinen. Zuerst waren es lautlose Tränen, doch dann schluchzte sie einmal auf, und Libby kniete sich hin und nahm sie in die Arme. Juliet drückte ihr Gesicht an die Schulter ihrer Schwester und schluchzte, als könne sie gar nicht mehr aufhören. Dann endlich lehnte sie sich zurück und wischte sich die Tränen an ihrem Kleid ab. »Entschuldigung. Ich habe heute ein bisschen nah am Wasser gebaut. Ich liebe dich auch, Libby. Ich hoffe, wir bringen das alles wieder in Ordnung.«
»Lass uns damit anfangen, dass wir den Vertrag feierlich verbrennen.«
Sie verließen die Pension und gingen den Sandweg zum Strand hinunter. Juliet streifte die Schuhe ab. Der Sand war kühl und weich. Sie gingen nebeneinander über die grasbewachsenen Dünen und suchten nach kleinen Stöcken für ein Feuer. An einer geschützten Stelle häuften sie alles auf. Der gewaltige Ozean dröhnte, während sich der Himmel allmählich blass und rosa färbte. Sie entzündeten ein Feuer, kauerten sich daneben, und der Wind fing ihre lachenden Stimmen auf.
»Wenn Scott Lacey uns erwischt, müssen wir ein Bußgeld bezahlen.« Der Wind wehte Juliet die Haare in den Mund, und sie zog eine Strähne nach der anderen heraus.
»Ich muss ein Bußgeld bezahlen. Er hasst mich.«
»Nein, tut er nicht. Ich glaube, er steht sogar auf dich.«
Libby tat es lachend ab. »Nun, ich hoffe, man wird mich hier irgendwann akzeptieren. Scott Lacey und alle anderen auch. Vor allem aber du.«
»Natürlich. Keine Frage.«
»Das mit Andy tut mir so … leid. Es war meine Schuld.«
Juliet war einen Moment lang sprachlos. Wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ja, es war Libbys Schuld. Aber es war ein Unfall gewesen. Nun, zwanzig Jahre später, erschien die Vorstellung, ihren Groll noch weitere zwanzig Jahre zu hegen, wenig einladend. »Ich verzeihe dir. Andy hätte dir schon vor einer Ewigkeit verziehen.«
Libby versuchte zu lächeln und hielt Juliet den Umschlag hin. »Du hast die Ehre.«
»Nein, ich finde, du solltest das machen.«
Libby nickte. Ihre Haut war warm vom Feuer. Sie hielt den Vertrag darüber. Die Flammen schossen so rasch hoch, dass sie den Umschlag mit einem leisen Aufschrei fallen ließ. Beide sahen kichernd zu, wie sich das Papier schwarz färbte, aufrollte und dann zu Asche wurde. Es brannte nieder, und sie saßen eine Zeitlang in freundschaftlichem Schweigen barfuß am Strand.
Irgendwann meinte Libby: »Ich will ehrlich mit dir sein. Ich habe zuerst ja gesagt. Darum gab es überhaupt einen Vertrag, den wir verbrennen konnten.«
Juliets Magen zog sich zusammen, doch dann wurde ihr klar, dass der Vertrag nur noch ein Häufchen Asche war. »Warum hast du deine Meinung geändert?«
»Das habe ich Damien Allbright zu verdanken. Für einen so jungen Kerl ist er ganz schön weise.«
Einen so jungen Kerl. Juliet presste die Lippen aufeinander und fühlte sich plötzlich alt und unattraktiv. »Damien ist toll.«
Libby lachte. »Du also auch. Oh Gott.«
»Wie meinst du das?«
Sie schaute ihre Schwester im erlöschenden Licht des Feuers an, während der warme Nachtwind die Asche aufwirbelte.
»Genauso hat Damien ausgesehen, als er über dich sprach.«
Die Hoffnung flackerte in Juliets Herz auf. Sie wartete auf eine Erklärung.
»Weißt du, ich sollte es eigentlich nicht erwähnen, aber ich bin vierzig und keine fünfzehn mehr. Geheimnisse sind etwas für Teenager. Er ist in dich verliebt, Jules.«
»Ehrlich?«
»Und wie.«
»Du meinst nicht, es wäre zu seltsam? Der Altersunterschied, meine ich.«
»Mein letzter Partner war achtzehn Jahre älter als ich, und wir waren zwölf Jahre zusammen. Es gab Probleme, aber nicht wegen des Altersunterschieds.«
Libby hatte nie einen Partner erwähnt. Ihre Stimme klang melancholisch.
»Was ist aus euch geworden?«
»Er ist gestorben. Er hat mir das Cottage hinterlassen.«
»Aha. Mark Winterbourne.«
»Er war verheiratet. Die ganze Zeit.« Libby lächelte bitter. »Ich muss dir meine dunkelsten Geheimnisse enthüllen, Jules. Meinst du, du liebst mich danach noch immer?«
Sie ergriff Libbys Hand. »Da bin ich mir sicher.«
Das Wochenende wurde warm. Alle sagten, es sei die letzte Wärmeperiode vor dem Winter, also nutzte Libby die Gelegenheit, um ein letztes Mal im Meer zu schwimmen. Das Wasser war schon frisch, aber sie gewöhnte sich daran und schwamm durch die Brecher, bevor sie sich weiter hinauswagte und auf den Wellen dahintrieb. Der Himmel war tiefblau. Wunderschön. Zu Hause.
Dann kehrte sie an den Strand zurück, wickelte sich in ihr Handtuch und spülte die Füße neben dem Haus ab. Als sie einen Blick zum Leuchtturm warf, sah sie, wie Damien gerade herauskam und die Tür hinter sich schloss.
Sie rief ihn und winkte mit beiden Händen.
Er kam zum Strand herunter. »Ich habe geklopft, aber du warst nicht zu Hause.«
»Ich war schwimmen. Weißt du was? Ich habe beschlossen, in Lighthouse Bay zu bleiben.« Sie staunte selbst, wie glücklich die Worte sie machten.
»Ich wusste gar nicht, dass du weggehen wolltest.«
»Doch. Aber jetzt bleibe ich hier.«
»Das sind ja tolle Neuigkeiten. Willst du noch mehr hören?« Er schwenkte eine Mappe voller Papiere. »Fotokopien von Matthew Seawards Tagebuch. Sie waren in den Kartons bei mir zu Hause.«
»Auch die fehlenden Daten?«
Er nickte. »Du wirst begeistert sein, Libby.«
»Und du auch: Ich habe nämlich herausgefunden, wer sie war. Isabella, die Frau von Arthur Winterbourne. Sie war an Bord der Aurora , als das Schiff unterging.«
Er grinste. »Aha, allmählich kommt Licht in die mysteriöse Vergangenheit. Lass uns reingehen.«
Er wartete im Wohnzimmer, während sie sich etwas überzog. Als sie zurückkam, hatte er die fotokopierten Seiten auf dem Tisch ausgebreitet.
»Ich nehme an, du hast Rachel davon überzeugt, dich ins Haus zu lassen?«
»Ja, und an meine Bankkonten. Sie regt sich allmählich ab. Es war nicht einfach, aber ich glaube, wir können uns wenigstens gütlich trennen.« Er klopfte auf die Dokumente. »Mein Großvater hat alle Tagebuchseiten kopiert, bevor er starb. Es gibt einen vergrabenen Schatz, Libby.«
»Was?«
Er suchte die Seite heraus und las vor: »Heute Morgen haben wir Is Schatz vergraben. Er liegt hundert Schritte von der Haustür des Leuchtturms entfernt, und ich werde ihn für sie bewachen, wenn sie weg ist.«
»Hundert Schritte von … das ist ja mitten auf meinem Grundstück.«
»Ich weiß.«
»Graeme Beers …«
»Muss das Original haben. Darum waren die Tagebücher auch so durcheinander, als ich zum ersten Mal in den Leuchtturm kam. Er hatte sie durchsucht.«
Libby ging ein Licht auf. »Natürlich. Etwas in den Papieren von Percy Winterbourne muss darauf hingedeutet haben, dass sich der Amtsstab im Leuchtturm befand. Er kam hierher und fand den Teil des Tagebuchs, in dem der vergrabene Schatz erwähnt wurde …«
»Und ist immer wieder gekommen, um danach zu suchen.«
»Vergrabener Schatz«, murmelte Libby und drehte und wendete diesen Gedanken. »Genau unter meinen Füßen. Was glaubst du, was es ist?«
Er nickte lächelnd. »Der Amtsstab.«
Sie sog scharf die Luft ein. »Wann fangen wir an zu graben?«
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