Das damalige Haus Razumowski war aus Holz gebaut. Die Gesellschaft versammelte sich gewöhnlich in den Gemächern der Marschallin, und da sowohl er als sie gern spielten, wurde fast immer gespielt. Der Marschall ging und kam, hatte aber in seinen Gemächern ebenfalls eine Partie für sich, wenn der Großfürst nicht da war. Nachdem Razumowski ein paarmal bei mir in meiner kleinen geheimen Spielgesellschaft gewesen war, drückte er den Wunsch aus, wir möchten doch auch zu ihm kommen. Zu diesem Zwecke wurde seine Eremitage, wie er es nannte, bestehend aus zwei bis drei Zimmern im Erdgeschoß, uns eingeräumt. Ein jeder versteckte sich vor dem andern, weil wir, wie bereits erwähnt, ohne Erlaubnis der Kaiserin nicht ausgehen durften. Auf diese Weise befanden sich manchmal drei bis vier kleine Gesellschaften im Hause. Der Marschall ging von einer zur andern, aber nur die unsrige erfuhr alles, was im Hause vorging, während die andern nicht einmal wußten, daß wir da waren.
Tod des Ministers Pechlin. — Die Abenteurer in Oranienbaum nehmen von Jahr zu Jahr zu. — Die Gelage des Großfürsten. — Uebergabe Memels am 24. Juni. — Rückkehr nach der Stadt. — Langersehnte Unterredung mit der Kaiserin. — Uebereilter Rückzug Apraxins. — Ich schreibe ihm einen ermahnenden Brief. — Seine Zurückberufung. — Er stirbt. — Fürst Lieven. — General Fermor. — Leon Narischkins verändertes Benehmen. — Besuch des Prinzen Karl von Sachsen am russischen Hofe. — Seine Abreise.
Zu Anfang des Frühlings starb Pechlin, der Minister des Großfürsten für Holstein. Der Großkanzler, Graf Bestuscheff, der seinen Tod voraussah, hatte mir den Rat gegeben, dem Großfürsten einen gewissen Stambke an seiner Stelle vorzuschlagen.
Im Frühjahr gingen wir nach Oranienbaum, wo unsere Lebensweise ganz dieselbe wie in den vorhergehenden Jahren war, nur daß die Zahl der dort stationierten holsteinschen Truppen und der als Offiziere angestellten Abenteurer von Jahr zu Jahr zunahm. Da indes so viele Menschen in dem kleinen Dorfe Oranienbaum, das anfangs aus nicht mehr als achtundzwanzig Hütten bestand, nicht einquartiert werden konnten, wurde ein Lager für die Truppen aufgeschlagen, deren Zahl sich übrigens nie auf mehr als 1300 Mann belief. Die Offiziere dinierten und soupierten bei Hofe, weil es jedoch nur fünfzehn bis sechzehn Hofdamen, die Frauen der Kammerherrn mit inbegriffen, gab, Seine kaiserliche Hoheit aber große Gastmähler leidenschaftlich liebte und solche in seinem Lager und in allen Ecken und Winkeln in Oranienbaum häufig veranstaltete, lud er nicht allein die Sängerinnen und Tänzerinnen der Oper dazu ein, sondern noch eine Menge bürgerlicher Damen aus sehr schlechter Gesellschaft, die man ihm aus Petersburg verschaffte. Sowie ich von der Zulassung der Sängerinnen etc. hörte, enthielt ich mich jeder ferneren Beteiligung an diesen Festen, anfangs unter dem Vorwande einer Brunnenkur. Ich speiste meist mit drei oder vier Personen aus meiner Umgebung auf meinem Zimmer. Später aber sagte ich dem Großfürsten, ich fürchte, die Kaiserin werde es übel aufnehmen, wenn ich in so gemischter Gesellschaft erschiene. Nie kam ich, wenn ich wußte, daß unbeschränkte Gastfreundschaft herrschte, so daß, wenn der Großfürst unbedingt meine Anwesenheit wünschte, nur die Hofdamen zugelassen wurden.
Zu den Maskeraden, die der Großfürst in Oranienbaum veranstaltete, erschien ich immer in sehr einfacher Toilette, ohne Juwelen und sonstigen Schmuck. Dies gefiel besonders der Kaiserin, welche die Feste in Oranienbaum, wo die Gastmähler zu wahren Bacchanalien ausarteten, weder gern sah, noch billigte. Sie ließ sie indes geschehen, oder verbot sie wenigstens nicht. Ich erfuhr, daß Ihre Majestät eines Tages geäußert habe:»Diese Feste machen der Großfürstin ebenso wenig Vergnügen als mir, denn sie erscheint dabei stets in so einfacher Kleidung, wie nur irgend möglich, und speist niemals mit jedermann, der dort Zutritt hat.«
Ich beschäftigte mich damals in Oranienbaum mit der Anlage und Anpflanzung meines Gartens. Während der übrigen Zeit ging, ritt oder fuhr ich aus, und wenn ich in meinem Zimmer war, las ich.
Im Juli erfuhren wir, daß Memel sich den russischen Truppen am 24. Juni durch Vergleich übergeben hätte, und einen Monat später traf die Nachricht von der am 19. August durch die russische Armee gewonnenen Schlacht von Großjägerndorf ein. Am Tage, an dem das Te Deum gesungen wurde, gab ich dem Großfürsten und allen in Oranienbaum anwesenden bedeutenden Persönlichkeiten ein großes Gastmahl, bei welchem der Großfürst und alle übrigen überaus heiter und zufrieden schienen. Dies minderte für kurze Zeit den Schmerz Peters über den zwischen Rußland und dem König von Preußen ausgebrochenen Krieg. Seit seiner Kindheit hatte er für Friedrich den Großen eine große Zuneigung gefaßt, eine Zuneigung, in dem gewiß anfangs nichts Außerordentliches lag, die aber später in reinen Wahnsinn ausartete. Damals indes zwang ihn die allgemeine Freude über den Erfolg der russischen Waffen, seine geheimen Gedanken zu verbergen. Mit Bedauern erfuhr er die Niederlage der preußischen Truppen, die er für unbesiegbar gehalten hatte.
Einige Tage nach diesem Feste kehrten wir in die Stadt zurück und bezogen den Sommerpalast. Hier meldete mir Graf Alexander Schuwaloff eines Abends, daß die Kaiserin sich bei seiner Frau befände und mich auffordere, dorthin zu kommen, um mit ihr zu reden, wie ich es vergangenen Winter gewünscht hätte. Ich begab mich also unverzüglich in die Gemächer des Grafen und der Gräfin Schuwaloff, die hinter den meinigen lagen, und fand dort die Kaiserin ganz allein. Nachdem ich ihr die Hand geküßt und sie mich, ihrer Gewohnheit gemäß, umarmt hatte, erwies sie mir die Ehre, zu sagen, sie habe gehört, daß ich mit ihr zu reden wünsche und sei nun gekommen, um zu erfahren, was ich auf dem Herzen habe. Nun waren aber damals mehr als acht Monate seit meiner Unterredung mit Alexander Schuwaloff, hinsichtlich Brockdorfs, vergangen. Ich erwiderte daher Ihrer Majestät, als ich im vorigen Winter das Benehmen Brockdorfs mit angesehen, hätte ich es für unerläßlich gehalten, mit Graf Alexander Schuwaloff darüber zu sprechen, damit er Ihre Majestät davon in Kenntnis setzen konnte. Er hatte mich dann gefragt, ob er mich erwähnen dürfe, worauf ich ihm erwidert:»Wenn Ihre kaiserliche Majestät es wünschte, würde ich selbst alles wiederholen, was mir bekannt sei. «Dann erzählte ich ihr die Affäre Elendsheim in ihrem wahren Hergange. Sie hörte mir anscheinend mit großer Kälte zu und fragte mich dann nach Einzelheiten über das Privatleben des Großfürsten und über seine Umgebung. Mit der größten Wahrhaftigkeit sagte ich alles, was ich wußte. Als ich aber über die holsteinischen Verhältnisse einige Bemerkungen machte, woraus sie ersehen mußte, daß ich sie gut kannte, sagte sie streng:»Sie scheinen über dieses Land sehr wohl unterrichtet zu sein. «Ich antwortete naiv, dies könne mir nicht schwer fallen, da der Großfürst mir befohlen habe, mich damit bekannt zu machen. Aber ich sah es der Kaiserin an, daß dieses Vertrauen des Großfürsten zu mir einen unangenehmen Eindruck auf sie machte; überhaupt schien sie während der ganzen Unterredung eigentümlich verschlossen. Sie ließ mich reden, fragte mich aus, sagte aber selbst kaum ein Wort, so daß diese Unterhaltung mir von ihrer Seite mehr wie eine Art Verhör, als ein vertrauliches Gespräch vorkam. Endlich verabschiedete sie mich ebenso kalt, als sie mich empfangen, und ich war sehr wenig erbaut von meiner Audienz. Alexander Schuwaloff empfahl mir, sie so geheim wie möglich zu halten, was ich auch versprach — übrigens konnte ich mich ihrer auch nicht rühmen. In mein Zimmer zurückgekehrt, schrieb ich die Kälte der Kaiserin der Abneigung zu, welche, wie ich schon seit längerer Zeit wußte, die Schuwaloffs ihr gegen mich eingeflößt hatten. In der Folge wird man sehen, zu welch abscheulichem Gebrauch von dieser Unterredung, wenn ich so sagen darf, man sie überredete.
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