Schon längst waren die alten, von den Tschoglokoffs eingeführten Regeln vergessen, vernachlässigt oder ignoriert, denn Alexander Schuwaloff genoß seiner selbst wegen gar keine oder doch sehr geringe Achtung. Wir machten uns über ihn, seine Frau, seine Tochter, seinen Schwiegersohn fast in ihrer Gegenwart lustig. Aber sie reizten auch dazu, denn niemals wohl sah man unedlere und gemeinere Gesichter, als die ihrigen. Madame Schuwaloff hatte von mir den Spitznamen Salzsäule erhalten. Sie war mager, klein und gedrungen. Ihr Geiz trat selbst in ihrer Kleidung zutage, denn stets waren ihre Kleider zu eng und hatten eine Breite weniger, als sie haben mußten. Ihre Tochter, die Gräfin Golofkin, war ebenso angezogen. Ihr Kopfputz und ihre Manschetten waren gemein und sahen immer aus, als ob sie daran hätte Ersparnisse machen wollen, obgleich sie sehr reich waren. Aber sie hatten einmal Geschmack für alles Kleinliche und Eingeschränkte, das wahre Bild ihres Geistes.
Sobald ich meine regulären Reitstunden wieder angefangen hatte, gab ich mich diesem Sport von neuem mit ganzer Leidenschaft hin. Ich stand morgens um sechs Uhr auf, zog Männerkleider an und begab mich in meinen Garten, wo ich mir einen Platz hatte herrichten lassen, der mir als Reitbahn diente. Ich machte so rasende Fortschritte, daß Zimmermann oft aus der Mitte der Reitbahn mit Tränen in den Augen auf mich zukam, um mir mit einer Begeisterung, die er nicht beherrschen konnte, die Füße zu küssen.»Nie in meinem Leben, «rief er dann aus,»habe ich einen Schüler gehabt, der mir so viel Ehre gemacht, der in so kurzer Zeit so viel gelernt hätte!«Bei diesem Unterricht waren nur mein alter Wundarzt Gyon, eine Kammerfrau und einige Domestiken zugegen. Da ich meine Stunden regelmäßig jeden Morgen, nur Sonntags ausgenommen, nahm, belohnte Zimmermann meinen Fleiß mit ein paar silbernen Sporen, die er mir nach den Regeln der Reitbahn überreichte. Schon nach drei Wochen war ich alle Exerzitien durch, und im Herbst ließ Zimmermann ein Sprungpferd kommen, worauf er mir die Steigbügel geben wollte. Allein am Abend vorher erhielten wir den Befehl, nach der Stadt zurückzukehren, und die Partie wurde bis zum nächsten Frühling verschoben.
Während dieses Sommers machte Graf Poniatowski eine Rundreise in Polen, von der er mit einem Ministerkreditiv des Königs von Polen nach Rußland zurückkehrte. Vor seiner Abreise kam er nach Oranienbaum, um Abschied von uns zu nehmen. Graf Horn, den der König von Schweden unter dem Vorwande, die Nachricht vom Tode seiner Mutter — meiner Großmutter — nach Petersburg zu bringen, nach Rußland geschickt hatte, um ihn den Verfolgungen der französischen oder Hutpartei gegen die russische oder Mützenpartei zu entziehen, begleitete ihn. Diese Verfolgung wurde in Schweden während des Landtages von 1756 so heftig, daß fast alle Anführer der russischen Partei in diesem Jahre hingerichtet wurden. Graf Horn sagte mir selbst, daß, wenn er nicht nach Petersburg gekommen wäre, er unfehlbar das Schicksal der andern geteilt hätte.
Graf Poniatowski und Graf Horn blieben zwei Tage in Oranienbaum. Am ersten Tage behandelte sie der Großfürst sehr gut, aber schon am zweiten langweilten sie ihn, weil ihm die Hochzeit eines Jägers im Sinne lag, wo er trinken wollte. Als er sah, daß die beiden Herren noch blieben, ließ er sie einfach stehen, und ich mußte die Honneurs des Hauses machen. Nach dem Diner führte ich meine kleine Gesellschaft in die innern Gemächer des Großfürsten und die meinigen. Als wir in mein Boudoir traten, kam uns mein Bologneserhündchen entgegen und bellte den Grafen Horn wütend an, doch als es den Grafen Poniatowski bemerkte, glaubte ich, das Tier würde vor Freude toll werden. Da das Kabinett sehr klein war, sah es außer mir niemand, als Leon Narischkin und seine Schwägerin. Aber Graf Horn ließ sich nicht täuschen, und während ich durch die Gemächer nach dem Saal zurückging, faßte er den Grafen Poniatowski beim Rock und raunte ihm zu:»Mein Freund, das Schrecklichste was es gibt, ist ein Bologneserhündchen. Das erste, was ich stets getan habe, wenn ich Frauen liebte, war, ihnen einen solchen Hund zu schenken, und durch diese Tiere habe ich dann immer erkannt, ob jemand mehr in Gunst stand als ich. Diese Ansicht ist vollkommen zutreffend, denn wie Sie sehen, war der Hund wütend, als er mich sah, wollte mich beinahe auffressen, mich, den er nicht kennt, während er nicht wußte, was er vor Freuden tun sollte, als er Sie gewahrte; offenbar war es nicht das erstemal, daß er Sie an diesem Orte sah.«— Graf Poniatowski behandelte die ganze Sache als Torheit, konnte es ihm aber nicht ausreden. Graf Horn erwiderte nur:»Seien Sie unbesorgt, ich bin vollkommen diskret. «Am folgenden Tag reisten sie ab. Horn pflegte zu sagen, daß, wenn er sich verliebte, er es immer in drei Frauen zugleich täte. Und dies führte er praktisch vor unsern Augen in Petersburg durch, wo er drei jungen Mädchen auf einmal den Hof machte. Zwei Tage später reiste Graf Poniatowski nach seinem Vaterlande ab. Während seiner Abwesenheit ließ mir Sir Williams durch Leon Narischkin sagen, daß der Großkanzler Bestuscheff gegen die Ernennung des Grafen Poniatowski intrigierte und versucht hätte, ihn zu bewegen, dem Grafen Brühl, dem damaligen Minister und Günstling des Königs von Polen, diese Ernennung auszureden. Williams jedoch beeilte sich nicht sehr, diesen Auftrag auszuführen, obwohl er ihn nicht abgelehnt hatte. Dies hatte er aber nur deshalb nicht getan, weil er befürchtete, der Großkanzler würde dann jemand anders damit beauftragen, der sich vielleicht pünktlicher dieses Auftrages entledigte, wodurch er nur seinem Freunde, der sehnlichst wünschte, nach Rußland zurückzukehren, geschadet hätte. Williams vermutete, daß Bestuscheff, dem seit langer Zeit die sächsisch-polnischen Minister zur Disposition standen, einen seiner ergebensten Anhänger zu diesem Posten ernennen lassen wollte. Aber Graf Poniatowski erhielt ihn doch. Im Winter kam er als polnischer Gesandter zurück, und die sächsische Gesandtschaft blieb unter der unmittelbaren Leitung des Grafen Bestuscheff.
Einige Zeit bevor wir Oranienbaum verließen, kamen der Fürst und die Fürstin Galitzin in Begleitung Betzkis dort an. Sie reisten gesundheitshalber ins Ausland, besonders der letztere, der sich ein wenig von dem tiefen Kummer zerstreuen wollte, den ihm der Tod der Prinzessin von Hessen-Homburg verursacht hatte. Diese war eine geborene Fürstin Trubetzkoi, Mutter der Fürstin Galitzin und Tochter aus erster Ehe der Prinzessin von Hessen mit dem Hospodar der Walachei, Prina Kantemir. Da die Fürstin Galitzin und Betzki alte Bekannte waren, lag mir viel daran, sie in Oranienbaum aufs beste zu empfangen. Nachdem ich sie überall umhergeführt hatte, bestieg ich mit der Fürstin Galitzin ein Kabriolet, das ich selbst fuhr, und wir machten eine Spazierfahrt in die Umgebung von Oranienbaum. Unterwegs gab mir die Fürstin, eine sehr sonderbare und beschränkte Person, zu verstehen, daß sie glaube, ich grollte ihr. Aber ich versicherte ihr, ich habe durchaus nichts gegen sie, wisse auch nicht, woher mein Groll rühren solle, da ich nie einen Streit mit ihr gehabt. Hierauf erwiderte sie, sie befürchte, Graf Poniatowski habe ihr bei mir geschadet. Diese Worte überraschten mich aufs höchste, und ich sagte ihr, sie müsse geradezu träumen, denn Poniatowski sei nicht der Mann, ihr in meinen Augen zu schaden, da er längst abgereist und mir übrigens nur von Ansehen und als Ausländer bekannt sei. Ich könne mir wirklich nicht erklären, wie sie auf diesen Gedanken gekommen sei. Zu Hause angelangt rief ich Leon Narischkin und erzählte ihm das erwähnte Gespräch, das mir ebenso dumm als dreist und indiskret erschien. Er erzählte mir nun, daß die Fürstin während des ganzen Winters Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hätte, um Graf Poniatowski an sich zu fesseln. Dieser habe ihr auch aus Höflichkeit einige Aufmerksamkeiten erwiesen, sie sei ihm indes auf jede mögliche Weise entgegengekommen, was, wie ich mir wohl denken könne, wenig Erwiderung gefunden, weil sie alt, häßlich, albern und einfältig, ja toll sei. Als sie nun gesehen, daß er ihre Wünsche nicht berücksichtigte, habe sie wahrscheinlich daraus Verdacht geschöpft, daß Poniatowski sich meistenteils in seiner — Leon Narischkins — und seiner Stiefschwester Gesellschaft befand.
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