Rückkehr Soltikoffs. — Ich erwarte ihn vergebens bei mir. — Meine Vorwürfe und seine Ausreden. — Ich lasse verschiedene Personen meine Verachtung fühlen. — Kammerherr Brockdorf und der Makler Braun. — Wortwechsel zwischen mir und dem Großfürsten. — Umzug nach Oranienbaum. — Der Großfürst läßt ein ganzes Truppendetachement aus Holstein kommen. — Man findet das Ganze sehr lächerlich. — Prophezeiung. — Sir Williams. — Graf Poniatowski. — Namensfest meines Sohnes. — Sergius Soltikoff verliert in meinen Augen. — Die holsteinschen Truppen reisen ab. — Briefe Leon Narischkins an mich. — Der wirkliche Verfasser dieser Briefe ist Poniatowski. — Angenehmer Aufenthalt im Winterpalast. — Des Großfürsten liebstes Spielzeug. — Bälle und Konzerte beim Großfürsten. — Tollheiten Narischkins. — Heimliche nächtliche Besuche bei den Narischkins und bei mir.
Das Jahr 1755 begann. Von Weihnachten bis zur Fastenzeit gab es nichts als Feste am Hofe und in der Stadt. Anlaß dazu war noch immer die Geburt meines Sohnes. Jedermann beeilte sich, die schönsten Gastmähler, Bälle, Maskeraden, Illuminationen und Feuerwerke um die Wette zu veranstalten. Aber unter dem Vorwand von Krankheit war ich selbst bei keinem dieser Feste dabei.
Als der Karneval sich seinem Ende näherte, kam Sergius Soltikoff endlich wieder aus Schweden zurück. Während seiner Abwesenheit schickte mir der Großkanzler Graf Bestuscheff alle Nachrichten, die er von ihm empfing, sowie die Depeschen des Grafen Panin, der damals russischer Gesandter in Schweden war, durch Madame Wladislawa. Diese bekam sie durch ihren Schwiegersohn, den ersten Schreiber des Großkanzlers, zugestellt, und ich meinerseits sandte auf demselben Wege Briefe an Sergius. Auf diese Weise hörte ich auch, daß, sobald Sergius Soltikoff zurückgekommen sein würde, man entschlossen war, ihn als russischen Bevollmächtigten nach Hamburg zu senden, an Stelle des Fürsten Galitzin, den man zur Armee versetzte. Diese Nachricht trug natürlich nicht dazu bei, meinen Kummer zu vermindern.
Als Sergius Soltikoff zurückgekehrt war, ließ er mich durch Leon Narischkin bitten, ihm mitzuteilen, ob ich es möglich machen könnte, ihn zu empfangen. Ich sprach mit Madame Wladislawa darüber, die denn auch in eine Zusammenkunft willigte. Er sollte erst zu ihr, dann durch ihr Zimmer zu mir kommen. Ich wartete die ganze Nacht bis drei Uhr morgens, aber er kam nicht. Während ich in Todesangst schwebte und mir den Kopf zerbrach, was ihn vom Kommen abgehalten haben könnte, erfuhr ich am folgenden Tage, daß er vom Grafen Roman Woronzow in eine Freimaurerloge geschleppt worden war, und er selbst behauptete, er habe sich nicht zurückziehen können, ohne Verdacht zu erregen. Aber ich fragte und forschte Leon Narischkin so lange aus, bis es mir schließlich klar wie der Tag ward, daß er bloß aus Mangel an Zuneigung und Aufmerksamkeit für mich nicht gekommen war, ohne die geringste Rücksicht auf das, was ich seit langer Zeit allein aus Liebe zu ihm litt.
Sogar Leon Narischkin, sein Freund, entschuldigte ihn nicht, und ich will es nur gestehen, ich selbst fühlte mich aufs äußerste beleidigt. So schrieb ich ihm denn einen Brief, worin ich mich bitter über sein Benehmen beklagte. Er antwortete mir und kam. Es war für ihn ein leichtes, mich zu besänftigen, weil ich nur allzu sehr geneigt war, mich von ihm beruhigen zu lassen. Er redete mir zu, in der Oeffentlichkeit zu erscheinen; ich folgte seinem Rate und war am 10. Februar zum Geburtstage des Großfürsten und Palmsonntag am Hofe zugegen. Ich ließ mir eigens für diesen Tag ein hellblaues, goldbesticktes Samtkleid machen. Da ich während meiner Einsamkeit eine Menge Beobachtungen gemacht hatte, faßte ich den Entschluß, diejenigen, die mir so manchen Kummer verursacht, so viel an mir lag, es fühlen zu lassen, daß man mich nicht ungestraft beleidigt und man meine Zuneigung oder Billigung nicht durch schlechtes Betragen gewinne. Daher versäumte ich auch keine Gelegenheit, den beiden Schuwaloffs merken zu lassen, wie sehr sie mich zu ihren Gunsten eingenommen hatten, und bezeigte ihnen meine tiefste Verachtung. Ich deckte gegen andere ihre Schlechtigkeit und Dummheit auf, machte sie lächerlich, wo ich nur konnte, wußte ihnen immer einige Sarkasmen zu sagen, welche sich blitzschnell in der ganzen Stadt verbreiteten und ihre schadenfrohen Feinde auf ihre Kosten amüsierten. Mit einem Wort, ich rächte mich an ihnen auf jede nur mögliche Weise. Waren sie anwesend, so verfehlte ich niemals, diejenigen auszuzeichnen, die sie nicht leiden mochten, und da eine große Anzahl Leute sie haßten, hatte ich keinen Mangel an Personen, die für meine Zwecke geeignet waren. Besonders bezeigte ich den beiden Grafen Razumowski, die ich sehr gern hatte, mehr Gunst denn je, verdoppelte meine Aufmerksamkeit und Höflichkeit gegen jedermann, mit Ausnahme der Schuwaloffs. Kurz, ich hielt mich aufrecht, ging erhobenen Hauptes, mehr als Anführer einer großen Partei, als ein gedemütigtes und unterdrücktes Wesen einher. Einen Augenblick wußten die Herren Schuwaloff nicht, wie sie sich dazu stellen sollten. Sie hielten Rat und nahmen ihre Zuflucht zu höfischen Listen und Ränken. Zu jener Zeit erschien in Rußland ein Herr Brockdorf, ein holsteinscher Edelmann, der früher durch die damalige Umgebung des Großfürsten, Brummer und Berkholz, aus Rußland ausgewiesen worden, weil er als intriganter Mensch von schlechtem Charakter bekannt war. Dieser kam den Schuwaloffs sehr gelegen. Da er vom Großfürsten als Herzog von Holstein einen Kammerherrnschlüssel erhalten, hatte er Zutritt bei Seiner kaiserlichen Hoheit, die überhaupt für jeden Dummkopf, der aus Holstein kam, günstig gestimmt war. Brockdorf wurde bald mit Peter Schuwaloff bekannt, und zwar auf folgende Weise. In dem Gasthause, wo er logierte, machte er die Bekanntschaft eines Menschen, der die Gasthäuser Petersburgs nur verließ, um drei sehr hübsche deutsche Mädchen namens Reifenstein zu besuchen, von denen die eine vom Grafen Peter Schuwaloff unterhalten wurde. Der Erwähnte hieß Braun und war eine Art Makler für alle möglichen Dinge. Er brachte auch Brockdorf zu den Mädchen, wo dieser den Grafen Schuwaloff traf. Letzterer erklärte in den überschwenglichsten Ausdrücken seine Ergebenheit für den Großfürsten und beklagte sich selbstverständlich über mich. Brockdorf berichtete alles bei der ersten Gelegenheit dem Großfürsten wieder und bearbeitete ihn, er solle, wie er sich ausdrückte, seine Frau zur Vernunft bringen. Zu diesem Zwecke kam Seine kaiserliche Hoheit eines Tages nach dem Diner in mein Zimmer und sagte, ich fange wirklich an, ganz unerträglich stolz zu werden, aber er wolle mich schon zur Vernunft bringen. Als ich ihn fragte, worin denn dieser Stolz bestehe, antwortete er:»Sie halten sich außerordentlich gerade. «Darauf fragte ich aufs neue, ob man, um ihm zu gefallen, mit gekrümmtem Rücken, wie die Sklaven des Sultans, gehen müsse? Hierüber wurde er böse und sagte, er werde mich schon zur Vernunft zu bringen wissen. — »Wie?«fragte ich. Da stellte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, zog seinen Degen bis zur Hälfte und zeigte ihn mir. Ich fragte ihn, was dies bedeute, ob er sich mit mir schlagen wolle? Aber dann müsse auch ich einen Degen haben. Er stieß seinen Säbel wieder in die Scheide und sagte, meine Schlechtigkeit überschreite jegliche Grenze, und als ich ihn fragte, inwiefern? erwiderte er stotternd:»Nun, den Schuwaloffs gegenüber. «Hierauf antwortete ich, er schwatze alles nach, was er höre, und würde gut tun, lieber nicht von Dingen zu sprechen, die er nicht wisse oder verstehe. Er indes fuhr fort:»Das sind die Folgen, wenn man seinen wahren Freunden nicht traut; es geht einem schlecht dabei. Hätten Sie Vertrauen zu mir gehabt, Sie würden sich sehr wohl dabei befunden haben.«— Ich erwiderte:»Vertrauen, worin?«— Und nun begann er eine so unsinnige und gegen die gewöhnlichen Regeln des gesunden Menschenverstandes verstoßende Auseinandersetzung, daß ich, da ich sah, daß er einzig und allein faselte, ihn reden ließ, ohne zu antworten, und eine günstige Pause benutzte, um ihm den Rat zu geben, er solle zu Bett gehen. Denn ich sah deutlich, daß der Wein ihm sein ganzes bißchen Vernunft genommen und allen Verstand in ihm abgestumpft hatte. Er folgte denn auch meinem Rate und legte sich schlafen. Schon damals fing er an, fortwährend nach Wein und Tabak zu riechen, ein Geruch, der allen, die ihm nahe kamen, unerträglich war.
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