Am Tauftage kam die Kaiserin nach der Feierlichkeit in mein Zimmer und überreichte mir eigenhändig auf einem goldenen Teller einen Befehl an ihr Kabinett, mir 100 000 Rubel auszuzahlen. Daneben lag ein Schmuckkästchen, welches ich nicht früher öffnete, als bis sie sich entfernt hatte. Das Geld kam mir sehr gelegen, denn ich besaß momentan keinen Pfennig und war mit Schulden überlastet. Was den Schmuckkasten betraf, so machte sein Inhalt nicht den geringsten Eindruck auf mich. Er enthielt ein klägliches kleines Halsband samt goldenen Ohrgehängen und zwei erbärmlichen Ringen, die ich mich geschämt haben würde, meinen Kammerfrauen zu schenken. In dem ganzen Schmuck war nicht ein Stein, der mehr als hundert Rubel wert gewesen wäre, ebenso wenig zeichnete er sich durch Arbeit oder Geschmack aus. Ich schwieg indes und ließ das kaiserliche Schmuckkästchen verschließen. Offenbar fühlte man die wahrhafte Schäbigkeit des Geschenkes selber, denn bald danach kam Graf Alexander Schuwaloff zu mir mit dem Befehle, sich zu erkundigen, wie mir der Schmuck gefalle. Ich erwiderte, alles, was ich aus den Händen Ihrer kaiserlichen Majestät empfange, betrachte ich gewohnheitsgemäß als unschätzbar für mich. Er entfernte sich lächelnd mit diesem Kompliment. Später kam er auf diesen Gegenstand wieder einmal zu sprechen, da er sah, daß ich mein schönes Halsband und besonders die schäbigen Ohrringe niemals trug, und forderte mich auf, es doch manchmal anzulegen. Darauf antwortete ich ihm, ich sei gewöhnt, an den Festen der Kaiserin nur das Schönste zu tragen, was ich besitze, und dies Kollier nebst den Ohrgehängen könnte ich unmöglich dazu rechnen.
Vier oder fünf Tage nachdem mir das von der Kaiserin geschenkte Geld ausgezahlt worden war, ließ mich ihr Kabinettssekretär, der Baron Tscherkassoff, bitten, diese Summe um des Himmels willen dem Kabinette der Kaiserin wieder zu leihen, da sie Geld fordere, aber kein Pfennig da sei. Ich schickte ihm also das Geld zurück, und er gab es mir im Januar wieder. Die Ursache dazu war folgende. Als der Großfürst von dem Geschenke hörte, welches die Kaiserin mir gemacht, geriet er vor Wut fast außer sich, weil sie ihm nichts gegeben hatte, und äußerte sich darüber mit großer Rücksichtslosigkeit gegen den Grafen Alexander Schuwaloff. Dieser sagte es der Kaiserin wieder, worauf sie ihrem Neffen sofort eine der meinigen gleiche Summe schickte.
Nach der Taufe meines Sohnes fanden Festlichkeiten, Bälle, Illuminationen, Feuerwerke bei Hofe statt, während ich noch immer krank und von Langeweile gequält an mein Bett gefesselt war. Endlich wählte man den siebzehnten Tag nach meiner Entbindung, um mir zwei sehr unangenehme Nachrichten auf einmal mitzuteilen: erstens, daß Sergius Soltikoff beauftragt worden sei, die Kunde von der Geburt meines Sohnes nach Schweden zu bringen; zweitens, daß die Hochzeit der Fürstin Gagarin auf nächste Woche festgesetzt war — das heißt auf gut Deutsch, daß ich für immer von den beiden Menschen getrennt werden sollte, die ich von meiner ganzen Umgebung am meisten liebte. Mehr als je vergrub ich mich in meine Kissen und grämte mich. Um mein Bett nicht verlassen zu müssen, schützte ich eine Verschlimmerung der Schmerzen im Bein vor, wodurch ich gehindert werde, mich zu erheben. Allein in Wahrheit wollte und konnte ich niemand sehen, weil ich unsäglich traurig war.
Inzwischen hatte auch der Großfürst einen großen Verdruß gehabt. Graf Alexander Schuwaloff teilte ihm nämlich mit, daß ihm ein früherer Jäger des Großfürsten, namens Bastian — derselbe, dem die Kaiserin vor mehreren Jahren befahl, mein früheres Kammermädchen, Fräulein Schenk, zu heiraten — gemeldet habe, er hätte von irgend jemand gehört, Bresson wolle dem Großfürsten ich weiß nicht was zu trinken geben. Nun aber war dieser Bastian ein Bruder Liederlich und Trunkenbold, der zuweilen mit Seiner kaiserlichen Hoheit zechte. Da er sich mit Bresson, den er beim Großfürsten für bevorzugter hielt als sich selbst, entzweit hatte, gedachte er demselben einen Streich zu spielen. Der Großfürst indes war beiden sehr gewogen. Schließlich wurde Bastian auf die Festung geschickt, und auch Bresson erwartete dieselbe Strafe, kam jedoch mit der Angst davon. Später wurde der Jäger des Landes verwiesen und samt seiner Frau nach Holstein geschickt, während Bresson seine Stelle behielt, weil er jedermann als Spion diente.
Nach einigem Aufschub, der daher rührte, daß die Kaiserin weder oft noch gern unterschrieb, reiste Sergius Soltikoff ab, und die Fürstin Gagarin vermählte sich zur festgesetzten Zeit.
Nachdem die vierzig Tage meines Wochenbetts vorüber waren, kam die Kaiserin zu meiner Einsegnung zum zweiten Male nach meiner Niederkunft in mein Zimmer. Um sie zu empfangen, hatte ich das Bett verlassen, aber sie fand mich so matt und abgemagert, daß sie mich, während ihr Beichtvater die Gebete las, sitzen ließ. Auch meinen Sohn hatte man in mein Zimmer gebracht. Es war das erstemal seit seiner Geburt, daß ich ihn sah. Ich fand ihn sehr schön, und sein Anblick heiterte mich ein wenig auf. Allein unmittelbar nach Beendigung der Gebete ließ ihn die Kaiserin wieder forttragen und entfernte sich ebenfalls. Ihre Majestät bestimmte den 1. November als den Tag, an welchem ich nach den sechs Wochen die üblichen Glückwünsche empfangen sollte. Zu diesem Zwecke möblierte man das Zimmer neben dem meinigen kostbar aus; ich ruhte auf einem Lager von silbergesticktem rosa Samt und jedermann küßte mir die Hand. Auch die Kaiserin fand sich ein und begab sich darauf in den Winterpalast, wohin wir Befehl hatten, ihr in zwei bis drei Tagen zu folgen. Man räumte uns hier die Gemächer ein, welche meine Mutter bewohnt hatte, und die eigentlich einen Teil des Hauses Naguschiski sowie des Hauses Ragusinski ausmachten. Die andere Hälfte des letzteren wurde von dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten eingenommen. Der Winterpalast, an der Seite des großen Platzes, war damals gerade im Bau begriffen.
Ich zog aus dem Sommerpalast in die Winterwohnung mit dem festen Entschluß, mein Zimmer nicht früher zu verlassen, als bis ich mich kräftig genug fühlte, meine Hypochondrie zu überwinden. Ich las damals die Geschichte Deutschlands, sowie die allgemeine Geschichte von Voltaire, und im Winter darauf las ich so viele russische Bücher, als ich mir nur verschaffen konnte; unter andern zwei sehr starke Bände einer russischen Uebersetzung von Baronius. Darauf verfiel ich auf Montesquieus» Geist der Gesetze«, dann auf die Annalen des Tacitus, die eine eigenartige Revolution in meinem Kopfe hervorriefen, wozu vielleicht meine mißvergnügte Stimmung in dieser Zeit nicht wenig beitrug. Ich fing an, die Dinge schwärzer zu sehen und tiefere, den verschiedenen Interessen entsprechendere Ursachen in dem zu suchen, was vor meinen Augen vorging. Und dennoch nahm ich meine Kräfte zusammen, um zu Weihnachten auszugehen. Ich war sogar beim Gottesdienst zugegen, aber schon in der Kirche überfiel mich ein so heftiger Schüttelfrost, mein ganzer Körper schmerzte so, daß ich mich sofort, als ich wieder in meinem Zimmer angelangt war, ins Bett legen mußte. Letzteres war allerdings weiter nichts als eine Chaiselongue, die ich vor eine Tapetentür gestellt hatte, durch welche, wie es mir schien, feine Zugluft wehte, weil außer einem doppelten Türvorhang noch ein großer Wandschirm davor stand. Trotzdem aber glaube ich, daß diese Tür die Ursache aller Leiden gewesen ist, die mich in jenem Winter aufs Krankenlager warfen. Am Tage nach Weihnachten war meine Fieberhitze so groß, daß ich zu phantasieren anfing. Wenn ich die Augen schloß, sah ich nichts als verschwommene Bilder von den Platten des Ofens, der am Fußende meiner Chaiselongue stand, da das Zimmer eng und klein war. Mein Schlafzimmer benutzte ich nie, weil es sehr kalt war, denn die Fenster auf beiden Seiten waren nach Norden und Osten der Newa zu gelegen. Ein anderer Grund, der mich von der Benutzung meines Schlafgemaches fernhielt, war die Nähe der Zimmer des Großfürsten, wo am Tage und während des größten Teiles der Nacht fortwährend ein Lärmen wie in einer Wachtstube stattfand. Außerdem drang ein unangenehmer Tabaksgeruch und Qualm herein, da der Großfürst und seine Umgebung viel rauchten. So hielt ich mich denn den ganzen Winter hindurch in dem ärmlichen, kleinen, schmalen Zimmer auf, das drei Türen, zwei Fenster und einen Fensterpfeiler besaß und kaum sieben bis acht Arschinen (russische Ellen) lang und vier breit war.
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