Nach der Bestattung Tschoglokoffs wollte seine Frau mich besuchen. Als aber die Kaiserin sie über die Jausabrücke kommen sah, schickte sie ihr einen Boten entgegen, der ihr meldete, daß sie ihres Dienstes bei mir enthoben sei und in ihre Wohnung zurückkehren möge. Es mißfiel Ihrer Majestät, daß sie als Witwe so bald ausging. Denselben Tag ernannte sie Alexander Iwanowitsch Schuwaloff zu dem Posten des verstorbenen Tschoglokoff beim Großfürsten. Dieser Schuwaloff war, allerdings nicht an sich selbst, sondern durch die Stellung, welche er einnahm, der Schrecken des Hofes, der Stadt und des ganzen Reiches. Er war Präsident des Tribunals der Staatsinquisition, welche damals die geheime Polizei genannt wurde. Seine amtliche Tätigkeit hatte ihm, wie man sagte, eine Art konvulsivischer Zuckungen zugezogen, die, so oft er Freude, Zorn, Furcht oder Unruhe empfand, die ganze rechte Seite seines Gesichtes vom Auge bis zum Kinn verzerrten. Es war daher sehr zu verwundern, wie man diesen Mann mit einer so abschreckenden Fratze hatte wählen können, fortwährend in der Gesellschaft einer jungen Frau zu sein, die guter Hoffnung war. Hätte ich ein mit dieser unglücklichen Gewohnheit behaftetes Kind zur Welt gebracht, so würde die Kaiserin sicherlich sehr ärgerlich gewesen sein. Und doch hätte nichts leichter geschehen können als das, da ich ihn fortwährend sah, aber niemals gern, vielmehr meist mit einem Gefühl unwillkürlicher Abneigung wegen seiner Persönlichkeit, seiner Verwandten und seines Amtes, von welch letzterem man sehr bezweifelte, ob der gesellschaftliche Zustand dadurch gebessert werde. Allein dies sollte nur der Anfang der schönen Zeit sein, die man uns, besonders aber mir, bereitete.
Tags darauf meldete man mir, daß mir die Kaiserin wieder die Gräfin Rumianzoff beigeben werde. Da ich wußte, daß sie die verschworene Feindin Sergius Soltikoffs war, daß sie ferner die Fürstin Gagarin ebenso wenig liebte, als ihn, und einst meiner Mutter bei der Kaiserin großes Unrecht getan hatte, verlor ich für einen Augenblick all meinen Mut, als ich dies hörte. Ich weinte bitterlich und sagte dem Grafen Alexander Schuwaloff, wenn man mir die Gräfin Rumianzoff gebe, könnte ich darin nur ein großes Unglück für mich erblicken, denn diese Frau habe früher meiner Mutter durch Anschwärzungen bei der Kaiserin geschadet und werde es nun genau so mit mir machen. Als sie bei uns gewesen sei, habe man sie gefürchtet wie die Pest, und wenn er kein Mittel fände, diese Verfügung abzuwenden, würden viele Personen dadurch ins Unglück gestürzt werden. Er versprach, sich darum zu bemühen und suchte mich zu beruhigen. Da er besonders meinen damaligen Zustand befürchtete, begab er sich auch sofort zur Kaiserin, und als er zurückkam, drückte er die Hoffnung aus, daß sie mir die Gräfin Rumianzoff wahrscheinlich nicht beigeben werde, wirklich hörte ich nichts mehr davon, und man beschäftigte sich ausschließlich mit der Abreise nach Petersburg. Es wurde bestimmt, daß wir neunundzwanzig Tage unterwegs sein sollten, also jeden Tag nicht mehr, als eine Poststation zurücklegen durften. Ich kam bald um vor Angst, man werde Sergius Soltikoff und Leon Narischkin in Moskau zurücklassen, allein man hatte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, die Gnade, sie mit auf die Liste unseres Gefolges zu setzen.
Am 10. oder 11. verließen wir endlich den Moskauer Palast. Ich fuhr in einem Wagen mit der Gemahlin des Grafen Alexander Schuwaloff, der langweiligsten Frau, die man sich denken kann, ferner mit Madame Wladislawa und der Hebamme, die man sich nicht ersparen zu können glaubte, weil ich guter Hoffnung war. Ich langweilte mich zum Sterben, und weinte beständig. Endlich paßte die Fürstin Gagarin einen günstigen Augenblick ab, wo sie sich mir nähern konnte, um mir zu sagen, daß sie sich bemühe, Madame Wladislawa günstig für mich zu stimmen, weil sie und alle andern fürchteten, die Hypochondrie, in welche mein Zustand mich versetzte, könnte mir und dem Kinde unter meinem Herzen schaden. Was Sergius Soltikoff angehe, so wage er sich mir weder von nah noch von fern zu nähern wegen der Aufsicht und fortwährenden Gegenwart des Schuwaloffschen Ehepaares. Sie persönlich liebte die Gräfin Schuwaloff nicht, weil deren mit Golowkin, einem Vetter der Fürstin Gagarin, vermählte Tochter sich gegen die Eltern ihres Gemahls sehr wenig zuvorkommend benahm. Es gelang ihr denn auch wirklich, bei Madame Wladislawa Gehör zu finden, die sich endlich hinsichtlich meines Zustandes und des drückenden Zwangs, aus dem eben jene Melancholie entsprang, deren ich nicht mehr Herr werden konnte, bewegen ließ. Es handelte sich übrigens um ein Geringes; nämlich um nichts weiter, als um eine kurze Unterhaltung mit Sergius Soltikoff. Endlich wurde mir dieselbe gewährt.
So kamen wir nach neunundzwanzig langweiligen Reisetagen in Petersburg im Sommerpalast an, wo der Großfürst sofort wieder seine Konzerte einführte. Dies gewährte mir indes bisweilen die Möglichkeit eines Zusammenseins mit Soltikoff. Allein meine Melancholie hatte einen so hohen Grad erreicht, daß ich bei der geringsten Veranlassung in Tränen ausbrach. Tausend Befürchtungen erfüllten meine Seele; kurz, ich konnte mich nicht von dem Gedanken befreien, daß alles auf die Entfernung Sergius Soltikoffs hinziele.
Geburt meines Sohnes Paul. — Man entfernt mein Kind sofort nach der Geburt von mir. — Rücksichtslose Behandlung einer Wöchnerin. — Von aller Welt verlassen! — Die blaue Atlasmantille der Kaiserin. — Kurioser Hund unter dem Kopfkissen Elisabeths. — Der Großfürst macht der Gräfin Woronzow den Hof. — Taufe meines Sohnes. — Das Wochengeschenk der Kaiserin. — Mein Gemahl ist neidisch darauf. — Tauffestlichkeiten. — Verdruß des Großfürsten. — Ich sehe meinen Sohn zum ersten Male. — Erste Huldigungen und erster Ausgang. — Fieberanfälle.
Wir begaben uns nach Peterhof. Ich ging dort viel spazieren, aber mein Kummer verließ mich nicht. Im Herbst kehrten wir in die Stadt zurück. Wie ein tödlicher Schlag traf es mich, als ich erfuhr, daß man für meine Niederkunft Zimmer einrichtete, welche an die Gemächer der Kaiserin stießen und ihr gehörten. Alexander Schuwaloff war beauftragt, mir dieselben zu zeigen. Ich fand zwei Zimmer wie alle andern im Sommerpalast, düster und nur mit einem Ausgang versehen, schlecht möbliert in rotem Damast und jeder Bequemlichkeit bar. Daß ich hier einsam, ohne alle Gesellschaft und sehr unglücklich sein werde, sah ich im voraus, und äußerte dies auch gegen Sergius Soltikoff, sowie gegen die Fürstin Gagarin, die sich gegenseitig zwar nicht eben geneigt waren, aber sich aus Freundschaft für mich vereinigten. Sie waren beide derselben Ansicht wie ich, konnten indes nichts daran ändern. Diese, von den Gemächern des Großfürsten sehr entfernten Zimmer sollte ich am Mittwoch beziehen. Am Dienstag abend jedoch ging ich in meinem Schlafzimmer zu Bett und wachte in der Nacht mit heftigen Schmerzen auf, so daß ich Madame Wladislawa weckte. Sie ließ sofort die Hebamme holen, welche erklärte, daß die Zeit meiner Niederkunft da sei. Darauf weckte man den Großfürsten, der in seinem Zimmer schlief, und den Grafen Alexander Schuwaloff.
Der letztere schickte sogleich nach der Kaiserin, die etwa um zwei Uhr morgens eintrat. Aber erst gegen Mittag des folgenden Tages, am 20. September, wurde ich von einem Sohne entbunden. Nachdem das Kind bekleidet war, ließ die Kaiserin ihren Beichtvater rufen, der ihm den Namen Paul gab. Hierauf befahl sie der Hebamme, das Kind zu nehmen und ihr zu folgen. Mich ließ man indes auf meinem Schmerzenslager liegen, das einer Tür gegenüber stand, durch welche das helle Tageslicht hereinfiel; hinter mir waren zwei mächtige Fenster, welche schlecht schlossen, und zur Rechten und Linken zwei Türen, von denen die eine in mein Ankleidezimmer, die andere in das von Madame Wladislawa bewohnte führte.
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