Deportiert auf Lebenszeit
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Markus Clarke
Deportiert auf Lebenszeit
Buch 1
Prolog
Am Abend des dritten Mai 1827 ereignete sich in dem Garten des großen, rothen Hauses mit Bogenfenstern, das »Nordend-Haus« genannt wird und von ausgedehnten Gärten und Parks umgeben, aus der östlichen Erhöhung der Hampstead-Heide zwischen dem Finchley-Wege und der Kastanien-Allee liegt – eine jener Familien-Tragödien, die den Dramatikern Stoff zu einem Trauerspiel und den Schriftstellern Stoff zu einem Roman liefern. Drei Personen standen auf dem Rasenplatz. Die Eine war ein alter Mann, dessen weißes Haar und gefurchtes Gesicht Zeugniß gab, daß er wenigstens sechzig Jahre alt war. Er stand hochaufgerichtet da, mit dem Rücken gegen die Mauer, welche den Garten von der Heide trennt, in der Stellung eines Mannes, der plötzlich in Leidenschaft gerathen ist. Er hielt seinen Ebenholzstock, auf den er sich sonst stützte, hoch erhoben. Ihm gegenüber stand ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, ungewöhnlich groß und stark von Gestalt, der, in grobe Seemannstracht gekleidet, in Seinen Armen, wie beschützend, eine Dame in mittleren Jahren hielt. Das Gesicht des jungen Mannes trug einen Ausdruck von staunendem Entsetzen und die zarte Gestalt der grauhaarigen Dame war von Schluchzen erschüttert. Diese drei Personen waren Sir Richard Devine, seine Frau Lady Devine und sein einziger Sohn Richard, der erst diesen Morgen aus der Ferne nach Hause zurückgekehrt war.
»So, Madame,« sagte Sir Richard in jenem hohen Tone, der selbst den Gefaßtesten unter uns in Augenblicken großer Gemüthsaufregung eigen ist, – »so sind Sie also zwanzig Jahre lang eine lebende Lüge gewesen! Zwanzig Jahre lang haben Sie mich betrogen und verspottet. Zwanzig Jahre lang haben Sie in Gesellschaft eines vornehmen Schurken, dessen Name ein Ausdruck für Alles Liederliche und Gemeine ist, über mich gelacht und mich für einen leichtgläubigen, gehörnten Narren gehalten! Und jetzt, nun ich meine Hand erhebe gegen diesen leichtsinnigen Burschen, jetzt bekennen Sie Ihre Schande und rühmen sich dieses Geständnisses!«
»Mutter, Mutter, liebe Mutter,« rief der junge Mann in leidenschaftlichen Schmerz, »sage, daß Deine Worte nicht wahr sind , sage, daß Du sie nur im Zorn sprachst! Sieh, jetzt bin ich ruhig und er kann mich schlagen, wenn er will.«
Lady Devine schauerte zusammen und suchte sich an der breiten Brust ihres Sohnes zu verbergen. Der alte Mann fuhr fort: »Ich heirathete Dich, Ellinor Wade, wegen Deiner Schönheit, Du heirathetest mich wegen meines Vermögens. Ich war ein Plebejer, ein Schiffszimmermeister, was Du willst. Du warst edelgeboren; Dein Vater war ein Mann nach der Mode, ein Spieler, ein Freund von liederlichen Menschen und Verschwendern. Ich war reich. Man hat mich zum Ritter geschlagen. Ich war bei Hofe in Gunst. Er brauchte Geld und verkaufte Dich. Ich bezahlte den Preis den er forderte, aber es stand nichts von dem Vetter, dem Lord Bellasis und Wotton in dem Vertrage.«
»Schonen Sie meiner, schonen Sie meiner,« sagte Lady Ellinor leise.
»Sie schonen! Ach, haben Sie mich geschont? Hören Sie,« schrie er in plötzlicher Wuth, »ich lasse mich nicht so leicht zum Narren halten. Ihre Familie ist stolz. Oberst Wade hat noch mehr Töchter. Ihr Liebhaber, Lord Bellasis denkt jetzt gerade daran, sein zerrüttetes Vermögen durch eine vortheilhafte Heirath wieder herzustellen. Sie haben Ihre Schande gestanden. Gut. Morgen soll Ihr Vater, sollen Ihre Schwester, die Welt soll die Geschichte hören, die Sie mir so eben erzählt haben!«
»Beim Himmel, Herr, das wird nicht geschehen!« rief der junge Mann.
»Schweig, Bastard!« schrie Sir Richard. »Ha, beiße nur auf Deine Lippen, das Wort hat Deine kostbare Mutter erfunden.«
Lady Ellinor glitt aus ihres Sohnes Armen und fiel aus ihre Knie zu ihres Gatten Füßen.
»Thue das nicht, Richard. Ich bin Dir zweiundzwanzig Jahre lang treu gewesen. Ich habe alle Beleidigungen und Kränkungen ertragen, die Du auf mich gehäuft hast. Das schmachvolle Geheimniß meiner jungen Liebe verrieth sich, als Du in Deiner Wuth ihn bedrohtest. Laß mich von Dir gehen. Laß Dich von mir scheiden, tödte mich, aber belaste mich nicht mit der Schande.«
Sir Richard, der sich schon zum Gehen gewandt hatte, hielt plötzlich an und seine großen, weißen Augenbrauen zogen sich wild über dem rothen Gesicht zusammen. Er lachte und in diesem Lachen schien seine Wuth in kalten, grausamen Haß überzugehen.
»Sie wollen Ihren guten Namen bewahren, Sie wollen Ihre Schande vor der Welt verbergen. Ihr Wunsch soll erfüllt werden, aber nur unter einer Bedingung.«
»Welche Sir?« fragte sie zitternd vor dem unbestimmten, entsetzlichen Etwas, halb erhoben, die Arme herunterhängend und die Augen weit geöffnet.
Der alte Mann blickte sie einen Augenblick an und sagte dann langsam: »Daß dieser Betrüger, der fälschlicherweise so lange meinen Namen getragen mein Geld ungerechter Weise verschwendet und mein Brod ohne ein Recht darauf zu haben, gegessen, – daß er sich packe! Daß er für immer diesen angemaßten Namen ablege, aus meinen Augen gehe und nie wieder einen Fuß in mein Haus setze!«
»Du wirst mich doch nicht trennen von meinem einzigen Sohne!« rief das unglückliche Weib.
»So nimm ihn denn mit zu seinem Vater!«
Richard Devine löste sanft die Arme seiner Mutter, die um seinen Nacken geschlungen waren, küßte das bleiche Gesicht und wandte sein eigenes, nicht weniger bleich, zu dem alten Manne.
»Ich schulde Ihnen nichts,« sagte er, ,denn Sie haben mich immer gehaßt und zurückgestoßen. Als Sie mich durch Ihre Heftigkeit aus dem Hause trieben, hielten Sie sich Spione, die das von mir gewählte Leben bewachten. Ich habe nichts mit Ihnen gemein, das habe ich lange gefühlt. Jetzt, nun ich zum ersten Mal höre, wessen Sohn ich bin, freue ich mich, daß ich Ihnen noch weniger Dank schuldig bin, als ich glaubte. Ich nehme die Bedingungen an, die Sie anbieten. Ich will gehen. – Nein – Mutter, denke an Deinen guten Ruf.«
Sir Richard Devine lachte auf. »Ich freue mich, daß Du so gut gesinnt bist. Jetzt höre. Heute noch lasse ich Quaid holen, um mein Testament zu ändern. Meiner Schwester Sohn Maurice Frere soll an Deiner Stelle mein Erbe sein. Ich gebe Dir nichts. Du verlässest dies Haus binnen einer Stunde. Du änderst Deinen Namen; Du machst niemals durch Wort oder That einen Anspruch an mich oder die Meinigen. Unter keinem Vorwande der Noth oder der Armuth darfst Du es thun, selbst wenn Leben und Tod davon abhängen. In dem Augenblick, da ich höre, daß Jemand auf Erden lebt, der sich Richard Devine nennt, soll Deiner Mutter Schande öffentlich werden. Du kennst mich. Ich halte mein Wort. In einer Stunde kehre ich zurück, dann muß er gegangen sein, Madame.«
Und aufrecht, von Leidenschaft durchbebt, schritt er an ihnen vorüber, hinaus aus dem Garten, mit der Kraft, welche der Zorn verleiht. Er nahm den Weg nach; der Stadt.
»Richard,« rief die arme Mutter, »vergieb mir, mein Sohn, ich habe Dich in’s Verderben gestürzt.«
Richard Devine warf sein schwarzes Haar von seiner Stirn zurück, in leidenschaftlichem Kummer und zärtlicher Liebe.
»Mutter, liebe Mutter, weine nicht,« sagte er.
»Ich bin Deiner Thränen nicht werth. Vergieb! Ich, bin ungestüm und so undankbar während all dieser Jahre Deines Kummers, – ich brauche Vergebung. Laß mich Deine Bürde mittragen, damit sie Dir leichter werde. Er hat Recht. Ich muß gehen. Ich kann mir einen Namen erwerben, den ich ohne erröthen tragen kann und den Du ohne Erröthen hören sollst. Ich bin stark, ich kann arbeiten. Die Welt ist weit. Lebe wohl, meine theure Mutter!«
»Noch nicht! Ach sieh, er hat den Weg nach Belsize eingeschlagen. O Richard, bitte Gott, daß sie einander nicht begegnen.«
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