Kiara Borini
Kannst Du mal auf Safya aufpassen?
Kannst Du mal auf Safya
aufpassen?
Kiara Borini
Impressum
Texte: © Copyright by Kiara Borini
Umschlag: © Copyright by Kiara Borini
Verlag: Kiara Borini
14542 Werder (Havel)
kiara@borini.eu
Druck: epubli ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
“Erinnerst du dich an mich, hier ist Gundula, aus deiner Abi-Klasse von damals?”
Ich hatte das Gespräch mit der mir unbekannten Berliner Nummer ganz gegen meine Gewohnheit angenommen, obwohl ich um diese Zeit davon hätte ausgehen müssen, dass es sich nur um ein Call-Center handeln könne.
Aber mal ehrlich, wer kann jemanden wie Gundula vergessen? Raspel-kurze, feuerrote Haare, Latzhose, üppige Oberweite ohne BH und das Gespräch fortwährend auf das Thema lenkend, dass seit der Einführung des Patriarchats die Unterdrückung der Frau, trotz minimaler Fortschritte, diese eben immer noch traurige Realität wäre.
“Nein, Gundula, natürlich habe ich dich nicht vergessen. Und mal ehrlich, das Abi ist gerade mal zehn Jahre her.”
Das mit der Unterdrückung der Frauen war damals nicht mein wirkliches Hauptproblem gewesen! Meines war die freiwillig gewählte Unterdrückung meiner Gefühle. Wenn man wie ich Melanie heißt, und ständig aufs Neue von seien Lateinlehrern darauf hingewiesen wird, dass blond nun mal für den Namen, humanistisch gesehen, die falsche Haarfarbe sei, dann kam ich halt recht schnell zu dem Schluss, dass ich, so wie ich mich unsterblich in Maren verguckt hatte, neben der falschen Haarfarbe eben auch das falsche Geschlecht für diese Liebe hatte.
Maren war völlig anders als ich. Drahtig, sportlich, mit ihren kurzen, dunklen Haaren; und seit ich ihr in der Oberstufe im Kunstkurs begegnet war, einfach von Anfang an mein Traum.
Früher war sie mir nicht wirklich aufgefallen. Sie war im französischen Zweig, ich schlug mich mit den alten Römern rum. Pa fand das sinnvoll, denn ich sollte doch irgendwann die Apotheke übernehmen.
Ich ertappte mich dann dabei, dass ich tatsächlich freiwillig Volleyball belegte, nur weil sie es auch tat. Dennoch, meine Leidenschaft schwelte heimlich, und wurde von mir immer sofort im Keim erstickt, sobald ich mir ihrer bewusst wurde. Ich hätte wahrscheinlich auch bei einem Jungen nicht den ersten Schritt unternommen. Dabei hätte ich wohl recht gute Chancen gehabt. Nur war mein Herz ja bereits vergeben. Aber bei Maren aktiv werden, niemals!
Bis - ja bis zur Abi-Feier, bei der wir beide genügend Bowle im Blut hatten und überraschend feststellten, dass sie gar nicht so anders empfand als ich.
Was dann folgte, waren zehn turbulente Jahre, in denen die Beziehung sich erst vorsichtig entwickelte, dann hin und her ging, auch, weil wir an unterschiedlichen Orten studierten, wobei wir aber immer wussten, was die andere tat und, dass wir nicht voneinander lassen konnten, bis wir schließlich, am Rande von Berlin, im brandenburgischen, einen gemeinsamen Hausstand gründeten.
“Hast du noch deine Katze?”, hörte ich Gundula fragen.
“Ja, aber es sind inzwischen fünf”, entschied ich mich für eine ehrliche Antwort.
Maren hatte wie ich eine gewisse Sympathie für Fellnasen und als wir zusammenzogen, gab es viele Dinge zu klären, bis uns dämmerte, dass unsere beiden jungen Katzen eben weder platonisch, noch gleichgeschlechtlich miteinander umgingen. Erst als der Nachwuchs bereits da war, sorgte dann der Tierarzt dafür, dass die Katzenpopulation künftig nicht mehr exponentiell wuchs. Und auch wenn das nicht geplant war mit den Katzenbabys, wir hatten sie dennoch alle lieb und irgendwie war es ja auch ein bisschen romantisch, dass unsere beiden Katzen ebenfalls eine Familie gegründet hatten. Maren lachte mich für solche Vorstellungen stets aus.
Gundula war eher der Hunde-Typ gewesen. Sie hatte eigentlich immer einen Hund gehabt, so wie Maren und ich Katzen. Ich kann mich noch an so einen großen zotteligen Mischling erinnern. Es war natürlich eine Hündin! Wie hieß die doch gleich?
“Du bist nach wie vor tierlieb, das ist gut”, vernahm ich von Gundula.
Dann entstand eine längere Pause, während der ich überlegte, dass der bisherige Gesprächsverlauf ja nicht der Grund sein könne, um mich nach zehn Jahren ausfindig zu machen und anzurufen. Zumal ich damals zu Gundula kaum näheren Kontakt hatte.
“Du bist jetzt mit Maren zusammen, das freut mich. Du weißt, dass mir diese patriarchalen Strukturen in den Beziehungen nach wie vor ein Graus sind?!”
Jetzt war ich dann doch etwas irritiert.
“Du, Melanie, ich habe eine große Bitte an dich. Würdest du bitte auf Safya aufpassen, während ich im Krankenhaus bin?”
“Du musst ins Krankenhaus?”, fragte ich irritiert zurück.
“Ja, leider. Zur Beobachtung. Ich hoffe aber, dass ich nur vierzehn Tage dort bleiben muss.
Safya ist im Moment bei meiner Nachbarin von gegenüber. Aber die ist eine alte Dame und nicht mehr gut zu Fuß. Da kann ich ihr die Belastung nicht so lange zumuten. Und bei dir weiß ich Safya in wirklich guten Händen. Sie ist schon zwölf, also aus dem Gröbsten raus. Außerdem ist sie blitzgescheit. Sie wird sich also schnell an dich gewöhnen und wahrscheinlich wenig Probleme bereiten in dem Alter.”
Nun, wer kann da schon “nein” sagen, oder? Jedenfalls habe ich dann eingewilligt, Safya am nächsten Tag bei Frau Michalke abzuholen. Gundula wiederholte dann noch, dass sie nicht plane, für länger als vierzehn Tage im Krankenhaus zu bleiben. Und dass Safya, bevor sie zu ihr kam, in einem Haushalt mit Katzen groß geworden sei, hier also keine Probleme zu erwarten wären.
Als ich bei Frau Michalke klingelte, hielt ich ein getrocknetes Schweineohr in der Hand, das ich auf dem Weg von Steglitz, wo unsere Apotheke lag, nach Charlottenburg geistesgegenwärtig besorgt hatte. Ich wollte ja schließlich bei Safya Sympathiepunkte einstreichen. Das würde die zwei gemeinsamen Wochen sicherlich einfacher gestalten.
“Ick weeß nich, ob die det frisst? Aber kiek selba, wa”, begrüßte mich die alte Dame in der Tür, als ich mit meinem Leckerli vor ihr stand. Und dann war ich auch schon in de jute Stube bugsiert und sie rief “Safya, meene Kleene, komm doch mal zu Oma Michalke.”
Die Tür zum Nebenraum öffnete sich, und ein Mädchen, etwa zwölf Jahre alt, trat zu uns. Sie hatte langes, fast bis zum Po reichendes Haar, dunkelblond bis braun und irgendwie natürlich gesträhnt wirkend. Ihre Augen waren extrem dunkel, ihre Haut mediterran dunkel.
“Ich reichte ihr völlig verdattert die Hand mit dem getrockneten Ohr, wurde mir in dem Moment der grotesken Situation bewusst, und konnte es dann gar nicht mehr kontrollieren.
“Schweineohr”, stammelte ich also zur Begrüßung, worauf mir das Mädchen artig die Hand gab und sich mit “Safya” vorstellte. Das brachte mich nun völlig aus der Fassung und ich wedelte mit dem getrockneten Schweineohr vor ihr her und stammelte:
“Nein, nicht, ich meine, Melanie, also nicht wirklich.”
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