Kinder mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen verpassen signifikant mehr Schultage als gesunde Gleichaltrige, insbesondere durch Arztbesuche und stationäre Aufenthalte (Assa et al. 2015), sodass ein Teil der Betroffenen sogar das Schuljahr wiederholen muss (Freckmann et al. 2018). Sie zeigen vermehrt depressive Reaktionen mit sozialen Rückzugstendenzen. Im Erwachsenenalter besteht ein größeres Risiko, nicht erwerbstätig zu sein (Marri a. Buchman 2005).
1.5.5Folgen für die betroffenen Patienten und ihre Familien
Allen hier vorgestellten Krankheitsbildern ist gemeinsam, dass die persistierenden krankheitsbedingten Anforderungen an das betroffene Kind die Entwicklung nachhaltig beeinflussen. Bei den vorgestellten Krankheitsbildern finden sich einige Gemeinsamkeiten: So ist zum einen die alltägliche Partizipation der Betroffenen eingeschränkt. Sportliche Aktivitäten können bei allen vorgestellten Erkrankungen kontraindiziert sein, sei es aufgrund der Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel, aufgrund von Schmerzen und einer eingeschränkten Grobmotorik bei Arthritis-Patienten oder aufgrund der Provokation von Asthma-Anfällen. Zum anderen leiden Betroffene häufig an internalisierenden Störungen wie Depressionen (Blackman a. Gurka 2007; Grey, Whittemore a. Tamborlane 2002). Depressive Episoden wiederum können die Therapie-Compliance der Betroffenen verschlechtern und somit die Symptome verschlimmern.
Auch Kinder und Jugendliche mit Arthritis berichten von Einschränkungen und einer verringerten Lebensqualität (Haverman et al. 2012). Bei einem schwereren Krankheitsverlauf werden sie von Gleichaltrigen als weniger beliebt eingeschätzt (Reiter-Purtill et al. 2003). Atopische Erkrankungen führen häufig zu Einschränkungen im Lebensstil, da Allergene vermieden werden müssen. Zudem treten oft Probleme mit Gleichaltrigen auf (Calam, Gregg a. Goodman 2005). Gerade Kinder mit sichtbaren Ekzemen leiden oft unter Hänseleien und Mobbing, was wiederum Depressionen und Schulverweigerung begünstigen kann (Lewis-Jones 2006). Kinder mit Asthma leiden überdies unter einem niedrigeren Selbstkonzept (Padur et al., 2009). Die medizinischen Behandlungszeiten bei chronischen Darmerkrankungen führen zu erhöhten Fehltagen und beeinträchtigen die schulische Entwicklung.
Die Diagnose einer Diabetes-Erkrankung bedeutet eine massive Veränderung der familiären Abläufe und die Notwendigkeit, sich schnellstmöglich umfangreiche und aktuelle Informationen anzueignen. Etwa 70 % der elterlichen Bezugspersonen leiden in den Wochen nach der Diagnose an mindestens subklinisch ausgeprägten Symptomen einer belastenden Anpassungsreaktion (Landolt et al. 2002). Überdies berichten sie in dieser Phase häufiger von Stress, Depressionen und Ängstlichkeit (Streisand et al. 2008). Auch auf die Geschwisterkinder hat die Diagnose weitreichende Auswirkungen. Ein Großteil der Geschwister gibt mittelmäßig bis stark ausgeprägte Ängstlichkeit, ein geringes Selbstkonzept sowie depressive Symptome an. Überdies müssen sich die Geschwisterkinder mit ambivalenten Emotionen auseinandersetzen. So können dem Bedürfnis, das erkrankte Geschwister zu beschützen, unter Umständen Schuldgefühle, Sorge und Eifersucht auf die zusätzliche Fürsorge der Eltern gegenüberstehen (Hollidge 2001). Mit der Zeit findet jedoch meist eine gute Anpassung an die neue Lebenssituation statt (Jackson, Richer a. Edge 2008).
Familien mit einem an Arthritis erkrankten Kind müssen sich ebenfalls an die neuen Anforderungen anpassen. Ausschlaggebend ist dabei die Schwere der Symptome, da diese mit erhöhten depressiven Symptomen bei den Eltern sowie einer schlechteren Beziehung zwischen den Geschwistern korreliert (Daniels et al. 1987).
Auch Familien mit einem atopisch erkrankten Kind berichten von Einschränkungen. Durch die nächtliche Symptomatik der Kinder wie Atemnot, nächtliches Aufwachen, Juckreiz und Kratzen ist auch der elterliche Schlaf beeinträchtigt (Meltzer a. Booster 2016). Weiterhin ist die Pflege des Kindes mit viel Arbeit verbunden: Die Hautpflege bei einem von Dermatitis Betroffenen ist sehr zeitaufwendig. Um allergene Trigger zu minimieren, muss deutlich mehr Zeit in Haushaltstätigkeiten investiert werden. 50 % der betroffenen Eltern berichten, in ihrem Sozialleben eingeschränkt zu sein und gesunde Geschwisterkinder stellenweise zu vernachlässigen (Lenney 1997). Überdies darf auch der finanzielle Mehraufwand für die Familien nicht unterschätzt werden. Eltern berichten von vermehrter Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, Wut und Depressionen. Zudem stellen sich Eltern oft die Frage nach der eigenen Schuld, insbesondere wenn die Krankheit genetisch determiniert und ihr Ausbruch vom Lebensstil der Familie abhängig sein könnte (Lewis-Jones 2006).
Etwa zwei Drittel der Eltern von Kindern mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sorgen sich übermäßig um die Zukunft ihres erkrankten Kindes wie Schule, Arbeit, Autonomieentwicklung. Über die Hälfte der Geschwisterkinder gibt Bedenken an, dass ihnen möglicherweise krankheitsrelevante Informationen vorenthalten werden (Akobeng et al. 1999).
1.6Erkrankungen mit progredientem Verlauf / lebenslimitierende Erkrankungen
1.6.1Zystische Fibrose
Klinisches Krankheitsbild
Die zystische Fibrose ist die am häufigsten zum Tod führende Stoffwechselerkrankung in Europa und Nordamerika, die alternativ auch als Mukoviszidose bezeichnet wird. Die Vererbung erfolgt autosomalrezessiv, die Inzidenz liegt bei etwa 1 : 2.000, wobei Jungen und Mädchen etwa gleich häufig betroffen sind. Charakteristisch für dieses Krankheitsbild ist, dass die Sekrete exogener Drüsen (Schweißdrüsen sowie Drüsen der Atemwege und des Verdauungstrakts) abnormal zusammengesetzt sind. Das Sekret ist zähflüssiger und verklumpt, wodurch sich die Drüsenausgänge erweitern.
In der Lunge führt dies im weiteren Verlauf zu vermehrtem Bronchialschleim sowie zu gehäuft auftretenden Infektionen mit zum Teil therapieresistenten Keimen, die wiederum die Schleimproduktion begünstigen. Betroffene leiden häufiger an Mittelohrentzündungen und folglich Hörschädigungen sowie an chronischer Sinusitis. Vielzählige Komplikationen sind bekannt: Die kleinen Bronchien werden verlegt, im Mediastinum (Mittelfellraum, ein senkrecht verlaufender Gewebsraum in der Brusthöhle) sammelt sich Luft oder ein Pneumothorax entsteht (lebensbedrohliches Krankheitsbild, bei dem Luft in den Pleuraspalt gelangt und damit den Lungenflügel dehnt). Dadurch ist die Lungenfunktion massiv beeinträchtigt. Auch das Herz wird durch die zusätzliche Belastung in Mitleidenschaft gezogen.
Im Magen-Darm-Trakt entzündet sich insbesondere die Bauchspeicheldrüse. Die vorzeitige Sekretion von Verdauungsenzymen in der Bauchspeicheldrüse führt zur Autodigestion (Selbstverdauung). Auch die Produktion von Insulin wird beeinflusst, was sekundär Diabetes mellitus verursacht. Bei mindestens 80 % der Patienten werden Nährstoffe aus der Nahrung nur unzureichend aufgenommen. Folglich sind viele Patienten mangelernährt. Männer sind des Öfteren unfruchtbar, bei Frauen bestehen im Zusammenhang mit der Mangelernährung gehäuft Störungen des Menstruationszyklus. Erste Symptome wie Fütter- und Gedeihstörungen, Atemgeräusche und eine Anfälligkeit für Infekte werden meist schon im Säuglingsalter festgestellt.
Die Lebensdauer der Betroffenen kann mit einem umfassenden Therapiekonzept verlängert werden. Durch Physiotherapie und Inhalation soll es den Patienten erleichtert werden, das Sekret in der Lunge abzuhusten und ihre Lungenfunktion zu verbessern. Die regelmäßige Einnahme von Antibiotika dient der Vermeidung von Infekten. Hochkalorische Lebensmittel stabilisieren das Gewicht, und auch fettlösliche Vitamine und Pankreasenzyme werden substituiert. Defekte des Magen-Darm-Trakts können Darmspülungen und die Anlage eines künstlichen Darmausgangs erfordern. Eine der drastischsten Therapiemaßnahmen ist die Transplantation einer Spenderlunge oder, bei beeinträchtigter Herzfunktion, auch eine Herz-Lungen-Transplantation. Noch immer gibt es keine Heilung für zystische Fibrose. Die Kombination der Therapien dient neben der Lebenszeitverlängerung v. a. der Verbesserung der Lebensqualität. Entscheidende prognostische Faktoren sind der Ernährungszustand sowie das Ausmaß der Lungenbeteiligung. Inzwischen konnte eine signifikante Verbesserung der mittleren Überlebensdauer erreicht werden: Kinder, bei denen eine zystische Fibrose diagnostiziert wird, können bei guter Therapie etwa 50 Jahre alt werden (Muntau 2007).
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