CELINE
(kommt zurück mit dem eingerahmten Foto in den Händen, sie hat sich umgezogen: sie hat jetzt schwarze Pumps, einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse an, wie zu Feierlichkeiten, sie liefert auch entsprechend feierliche Stimmung dazu, spricht lauter, heiterer) Wo bleibt denn Roberto so lange? Manchmal frage ich mich, ob ich ihm nicht zu viel erlaube, aber – Kriegen Sie Ihren Koffer nicht auf?
CLAUDIA
Der Verschluss klemmt, ich glaube, er ist verrostet. Der ist schon uralt, der Koffer.
CELINE
Die Lippen hat er von seinem Vater. Eindeutig.
CLAUDIA
Wer jetzt? Roberto oder der Herr auf dem Foto? Wer hat die Lippen von seinem Vater?
CELINE
Roberto. Sie werden es gleich sehen, er sollte jede Minute da sein. Um diese Zeit ist er normalerweise zu Hause – Er hat sicherlich jemanden getroffen und unterhält sich auf der Straße, vor dem Haus. Er hat viele Freunde. (drückt ihr Gesicht an die Fensterscheibe) Man kann leider das Fenster nicht öffnen, so sehe ich nichts. Die Straßen sind so schlecht beleuchtet, vor unserem Haus ist die Lampe schon seit zwei Jahren kaputt, keiner kümmert sich aber darum. (reicht Claudia das Foto) Schauen Sie, solche schwungvollen Lippen hat nicht jeder. Besonders die Oberlippe, die ist besonders schwungvoll. Warum lachen Sie? (schaut auf sich runter, dann auf das Foto) Wie würden Sie solche Lippen beschreiben? Was lachen Sie so? Wegen meiner Bluse? Das ist – Wie Sie schon sagten, wie mit dem Klima: Von Land zu Land unterschiedlich. Bei uns trägt man solche Blusen sehr wohl und –
CLAUDIA
Entschuldigen Sie, ich muss mich beruhigen, sonst – (prustet vor Lachen)
CELINE
(träumerisch) Lachen Sie nur, es ist schön, wie Sie so gesund lachen. (dreht wieder auf) Ich habe drei solche Blusen. Habe ich mir gekauft. In blau, in rot und in weiß. Soll ich Ihnen die anderen zwei zeigen? Die sind schon ähnlich wie diese, aber – Die Knöpfe sind anders, glaube ich. Warten Sie – Nein, die Blaue kann ich Ihnen nicht zeigen, die ist in der Wäsche. Aber die Rote – Warten Sie, wo habe ich sie denn hingelegt – Ach so, hier an der Leine hängt sie, frisch gewaschen. Sehen Sie, die Knöpfe sind ein wenig anders, aber sonst – Der Schnitt ist gleich. Möchten Sie die haben? (reicht Claudia die Bluse)
Claudia zögert die Bluse entgegen zu nehmen.
CELINE
Ich dachte, sie wollten sich umziehen. Nach einer Reise hat man immer das Bedürfnis, sich umzuziehen. Nehmen Sie die Bluse, ich schenke sie Ihnen. Ich habe die Bluse nur zwei oder drei Mal angehabt, sie ist noch ganz neu. Und, wie gesagt, frisch gewaschen ist sie auch. Man muss sie nach jedem Tragen waschen.
CLAUDIA
(nimmt zögerlich das Geschenk an, unsicher) Danke.
CELINE
Bedanken Sie sich nicht lange, ziehen Sie sich um.
CLAUDIA
Soll ich sie wirklich anziehen? Und wenn Roberto zurückkommt?
CELINE
Es geht doch schnell. Den Pulli aus, die Bluse an. Ich stelle mich solange an die Tür.
CLAUDIA
Ich meine, was wird er sagen, dass ich die Bluse von seiner Mutter trage.
CELINE
Männer merken so was nicht. Roberto ist inzwischen ein richtiger Mann geworden.
Claudia zieht sich zögerlich um.
CELINE
(stellt sich an die Tür) Was für ein Deo benutzen Sie?
CLAUDIA
Ich?
CELINE
Man schwitzt schon ganz schön darin.
CLAUDIA
(prustet vor Lachen) Ich benutze gar kein Deo.
CELINE
Sind Sie allergisch gegen Deos?
CLAUDIA
Ich bin nicht allergisch, ich benutze einfach kein Deo.
CELINE
Das habe ich auch gelesen, dass die ganzen Scheidungen, die ganzen kranken Kinder, die ganzen Neurosen, die ganzen Nervenzusammenbrüche nur daher kommen, dass die Leute sich mit verschiedenem chemischen Zeug besträuben. Das ist so ein Quatsch alles. Angeblich findet man den richtigen Partner nicht, weil der natürliche Körpergeruch von den verschiedenen Duftstoffen verdeckt wird. Man kann sich nicht mehr beriechen, haben die geschrieben. (geht auf Claudia zu) Riechen Sie an mir!
CLAUDIA
Was soll ich machen?
CELINE
Ich laufe an Ihnen vorbei und Sie sollen die Geruchswolke riechen. Einfach riechen.
CLAUDIA
Sind wir im Zoo oder wie?
CELINE
Wenn Sie lachen, werden Sie nichts riechen. Wonach rieche ich?
CLAUDIA
Nach Schweiß gemischt mit Polyesterstoff, nehme ich an.
CELINE
Eben nicht, aber das ist es genau, das wäre mein natürlicher Geruch. Möchten Sie den Partner haben, der auf so einen Geruch steht?
(Claudia prustet)
Was ist?
CLAUDIA
Sie laufen irgendwie komisch.
CELINE
Finden Sie das auch? Oma Franzi –
CLAUDIA
Habe ich schon zwei Gemeinsamkeiten mit Oma Franzi oder wie?
CELINE
Oma Franzi sagt, wenn ich laufe, sieht es so aus, als ob ich Angst hätte, dass mir jeden Moment ein Arschtritt verpasst werden könnte, und wenn ich noch etwas aus meinem Leben machen möchte, sollte ich laufen, wie eine Frau, die weiß, dass ihr die Männer nachschauen.
CLAUDIA
Haben Sie das versucht?
CELINE
Mir schaut keiner nach. Eigentlich bin ich froh darüber, dass mir keiner nachschaut, weil ich nie sicher bin, ob meine Strumpfhose nicht wieder eine Laufmasche hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass es auch früher so war. Ich glaube, früher hatten die Strumpfhosen einfach bessere Qualität. Ich war schon immer sehr streng, was die Laufmaschen betrifft, aber jetzt – Wissen Sie, ich hasse es, wenn die Lebensumstände den Charakter eines Menschen beeinträchtigen. Ich hasse es wirklich. Früher, sobald ich eine Laufmasche entdeckt habe, bin ich in den nächsten Laden gerannt und habe mir eine neue Strumpfhose gekauft, und dann bin ich zur nächsten öffentlichen Toilette gerannt, in der Hand die neue Strumpfhosenpackung, damit alle sehen, dass jetzt eine Notsituation ist, dass es für mich nicht üblich ist, mit einer Laufmasche rumzulaufen, dass ich gerade auf dem Weg bin, nach einer öffentlichen Toilette zu suchen, und sobald ich sie gefunden habe, werde ich die alten Strumpfhosen ausziehen, wegwerfen und die neuen anziehen. Man hat oftmals eine Frau mit einer neuen Strumpfhosenpackung in der Hand die Straße entlang rennen sehen. Und wenn man wusste, wo die nächste öffentliche Toilette ist, hat man es ihr gezeigt, ohne dass sie danach gefragt hätte. Und sie bedankte sich mit einem Lächeln. Und man lächelte zurück. Nur unter Frauen, natürlich, Männer hatten damit nichts zu tun. Obwohl, das ist vielleicht das Einzige, was ein Mann an einer Frau bemerkt: Eine Laufmasche. (Pause) Wissen Sie, das war ein ganz anderes Leben.
CLAUDIA
Ich sehe gerade, dass meine Strumpfhosen auch eine Laufmasche haben und der Kofferverschluss klemmt immer noch.
CELINE
Oma Franzi sagt, er kann gar nicht Robertos Vater sein, aber – Roberto hat genau die gleichen Lippen wie er. Schauen Sie sich die Lippen an, die sind wirklich außergewöhnlich für – wie Sie so schön sagten – Für das Klima hier.
(Claudia prustet vor Lachen.)
CELINE
Er ist ein Italiener. Roberto lernt auch Italienisch. Jetzt kommen immer mehr Italiener hierher. Die sind hier stationiert. Wir haben einen Exerzierplatz, der sehr gut ausgestattet ist. Deswegen kommen die Italiener hierher. Zum Üben. Ich bin echt froh, dass Roberto kein Mädchen ist, er fühlt sich so von denen angezogen. Er geht direkt nach der Schule in das italienische Café und sitzt dort bis zum Abend. Manchmal gehe ich einfach dahin, um ihn abzuholen. Dann ärgert er sich. Aber er will doch Medizin studieren, er braucht Zeit zum Lernen. Vor allem Latein. Er ist ganz schlecht in Latein. Es ist nicht so, dass er sprachunbegabt ist oder kein Interesse daran hat, nein. Italienisch lernt er gerne. Aber was kann er mit Italienisch werden?
CLAUDIA
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