Arna Aley - Die letzte Soirée

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"Mir ist die Kunst alles, ich bin der Kunst nichts."
Der Galerist Alfred Flechtheim gehört zweifellos zu den schillerndsten Figuren im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts. Fred, wie er genannt wurde, entstammt einer jüdischen Münsteraner Kaufmannsfamilie. Doch mit Getreidehandel hat der junge Mann nichts am Hut – auf dem Schweizer Internat, auf das ihn der Vater schickt, lernt er lieber Französisch, das Kaufmännische interessiert ihn nicht. Statt im Getreidekontor verbringt er seine Zeit lieber in Berliner, Pariser und Londoner Künstlerkreisen. Der Kunstliebhaber heiratet die vermögende Betti Goldschmidt, gründet 1913 in Düsseldorf seine erste Galerie und beginnt, alle Größen der Moderne zu sammeln – was er entdeckt, wird später Kunstgeschichte schreiben. Im Berlin und Paris der 1920er-Jahre umgibt sich Fred mit der aufstrebenden Avantgarde und einem Bekanntenkreis von Matisse über Picasso bis zu George Grosz. Seine Soiréen, Ausstellungseröffnungen und Bälle waren legendär und galten als gesellschaftliche Ereignisse.
Der Erste Weltkrieg und die Machtergreifung der Nazis zerstören dem Förderer, Verleger und Sammler die wirtschaftliche und persönliche Existenz. 1937 stirbt Flechtheim verarmt im Londoner Exil. 1941, am Vorabend der drohenden Deportation seiner inzwischen geschiedenen Frau Betti, kehrt Fred aus dem Totenreich zu ihr zurück, um noch einmal zurückzublicken und so etwas wie eine Idee vom Menschen Alfred Flechtheim zu hinterlassen. Wie sieht ihn die Welt am Ende – als kalkulierenden Kunstspekulanten, dekandenten Kunstliebhaber, spendierfreudigen Kunstsammler oder durchgeknallten Kunstvisionär?
Arna Aley hat sich des Stoffes im Auftrag des Wolfgang Borchert Theaters angenommen und ein dokumentarisch-fiktionales Bild des großen und extravaganten Kunstmäzens geschrieben.

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Arna Aley

Die letzte Soiree

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page Arna Aley Die letzte Soiree FELIX BLOCH ERBEN Verlag für Bühne, Film und Funk

Personenverzeichnis Personenverzeichnis Fred, ein Kunsthändler Betti, 60 Jahre, seine Ehefrau Betti, seine Ehefrau (jung) Erste Sentimentale, eine Schauspielerin Hella (Airport Boy), Bettis Nichte Fräulein Brigitte Böff, Empfangsdame im Kontor, später Tiller-Girl in Berlin Nils, ein Maler, Freds Liebhaber Hartwig, Freds persönlicher Assistent Fotojournalist, ein Fotojournalist Journalist, ein Journalist Ausstellungsbesucher, ein Ausstellungsbesucher Offizier, ein Offizier Pascin, ein Maler in Paris Madame W., eine Kneipenwirtin in Paris Kiki, Kiki de Montparnasse König Ubu, ein Kriegsbeschädigter Kriegsblinder, ein Kriegsblinder Garçon, ein Garçon George, ein Maler Max, ein Boxer Sanitäter / SA-Leute

Am Kap der Arrivierten Am Kap der Arrivierten ERSTE SENTIMENTALE Du lügst, Fred! Du willst mich bloß loswerden! FRED Wir sind auf ewig miteinander verbunden! Wir sind tot! Alle. ERSTE SENTIMENTALE Das verstehe ich nicht! FRED Dass wir alle tot sind? Das verstehe ich auch nicht. ERSTE SENTIMENTALE Nein! Warum du mir damals erzählt hast, dass du als Fünfjähriger von Zigeunern verschleppt worden bist! (Fred lächelt.) Angeblich hätte dich ein reicher Spaniole freigekauft und in den Getreidehandel eingeführt. Warum hast du mir das alles erzählt? Fred! (Fred zuckt mit den Schultern.) Dass du angeblich ein Großneffe von Heinrich Heine bist und deine Mutter die Schwester der Fürstin von Monaco wäre, das kann ich verstehen, das ergibt noch Sinn. Du wolltest einfach angeben. Genauso wie mit deinen Millionen. Angeblich hättest du damals ebenso viele Millionen besessen wie du Jahre alt warst. FRED Wie alt war ich da? ERSTE SENTIMENTALE Sechsundzwanzig. FRED Oh! So viele Millionen habe ich nie im Leben besessen. ERSTE SENTIMENTALE Das ist egal. Ich kann es nachvollziehen, dass man damit angibt. Aber von Zigeunern verschleppt, die dir angeblich das Seiltanzen beigebracht haben! FRED Seiltanzen kann ich immer noch. Das habe ich nicht verlernt. ERSTE SENTIMENTALE Fred! FRED Willst du es sehen? ERSTE SENTIMENTALE Ich meine es ernst. Es beschäftigt mich. FRED Sogar nach dem Tod? ERSTE SENTIMENTALE Du bist noch nicht so lange hier, du kennst das nicht. Man plagt sich hier mit jeder Kleinigkeit aus seinem Leben herum. Man hat ja ewig Zeit. Fred, bitte! Du musst es mir sagen. FRED Ich sage es dir, wenn ich zurück bin. Ich muss jetzt los. ERSTE SENTIMENTALE Fred, bitte! FRED Okay. Ich habe den Moses-Komplex. Reicht dir das als Erklärung? ERSTE SENTIMENTALE Was ist der Moses-Komplex? FRED Ich muss los.

Berlin, 1941

Bettis Wohnung

Getreidekontor. Long, long ago.

Galerieeröffnung. Alleestraße 7, Düsseldorf. 1913.

Krieg

Paris. „Là-haut sur la butte“

Bettis Wohnung. Ein Fest für Betti.

Nachspiel. Am Kap der Arrivierten

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Fred, ein Kunsthändler Betti, 60 Jahre, seine Ehefrau Betti, seine Ehefrau (jung) Erste Sentimentale, eine Schauspielerin Hella (Airport Boy), Bettis Nichte

Fräulein Brigitte Böff, Empfangsdame im Kontor, später Tiller-Girl in Berlin Nils, ein Maler, Freds Liebhaber Hartwig, Freds persönlicher Assistent

Fotojournalist, ein Fotojournalist Journalist, ein Journalist Ausstellungsbesucher, ein Ausstellungsbesucher

Offizier, ein Offizier

Pascin, ein Maler in Paris Madame W., eine Kneipenwirtin in Paris Kiki, Kiki de Montparnasse König Ubu, ein Kriegsbeschädigter Kriegsblinder, ein Kriegsblinder Garçon, ein Garçon

George, ein Maler Max, ein Boxer Sanitäter / SA-Leute

Am Kap der Arrivierten

ERSTE SENTIMENTALE

Du lügst, Fred! Du willst mich bloß loswerden!

FRED

Wir sind auf ewig miteinander verbunden! Wir sind tot! Alle.

ERSTE SENTIMENTALE

Das verstehe ich nicht!

FRED

Dass wir alle tot sind? Das verstehe ich auch nicht.

ERSTE SENTIMENTALE

Nein! Warum du mir damals erzählt hast, dass du als Fünfjähriger von Zigeunern verschleppt worden bist!

(Fred lächelt.)

Angeblich hätte dich ein reicher Spaniole freigekauft und in den Getreidehandel eingeführt. Warum hast du mir das alles erzählt? Fred!

(Fred zuckt mit den Schultern.)

Dass du angeblich ein Großneffe von Heinrich Heine bist und deine Mutter die Schwester der Fürstin von Monaco wäre, das kann ich verstehen, das ergibt noch Sinn. Du wolltest einfach angeben. Genauso wie mit deinen Millionen. Angeblich hättest du damals ebenso viele Millionen besessen wie du Jahre alt warst.

FRED

Wie alt war ich da?

ERSTE SENTIMENTALE

Sechsundzwanzig.

FRED

Oh! So viele Millionen habe ich nie im Leben besessen.

ERSTE SENTIMENTALE

Das ist egal. Ich kann es nachvollziehen, dass man damit angibt. Aber von Zigeunern verschleppt, die dir angeblich das Seiltanzen beigebracht haben!

FRED

Seiltanzen kann ich immer noch. Das habe ich nicht verlernt.

ERSTE SENTIMENTALE

Fred!

FRED

Willst du es sehen?

ERSTE SENTIMENTALE

Ich meine es ernst. Es beschäftigt mich.

FRED

Sogar nach dem Tod?

ERSTE SENTIMENTALE

Du bist noch nicht so lange hier, du kennst das nicht. Man plagt sich hier mit jeder Kleinigkeit aus seinem Leben herum. Man hat ja ewig Zeit. Fred, bitte! Du musst es mir sagen.

FRED

Ich sage es dir, wenn ich zurück bin. Ich muss jetzt los.

ERSTE SENTIMENTALE

Fred, bitte!

FRED

Okay. Ich habe den Moses-Komplex. Reicht dir das als Erklärung?

ERSTE SENTIMENTALE

Was ist der Moses-Komplex?

FRED

Ich muss los.

Berlin, 1941

Ein Airport Boy in einer Chauffeursuniform kommt auf Fred zu.

AIRPORT BOY

Sir.

FRED

Sir?

AIRPORT BOY

Folgen Sie mir unauffällig, Sir.

FRED

Wo bin ich gelandet?

AIRPORT BOY

In Berlin, Sir.

FRED

Und warum Sir?

AIRPORT BOY

Sie sind aus London gelandet, Sir.

FRED

(schaut nach oben) Siehst du! Der junge Mann glaubt, ich sei ein Engländer! Ich bin das, was die Leute in mir sehen. Ich lüge nie. „The Man About Town“. „Alfred l’International“. Du kannst mich auch König David nennen!

ERSTE SENTIMENTALE

Wann kommst du zurück, Fred?

FRED

Ich bin gerade erst angekommen. (zum Airport Boy) Was haben Sie mit mir vor?

AIRPORT BOY

Ich geleite Sie zum Wagen, Sir.

FRED

Betti, du Schlawinerin! Ich durchschaue deine Absicht! Genau mein Typ! (zum Airport Boy) Ist das eine Einladung zu einem Narrenball?

AIRPORT BOY

Wie meinen Sie das, Sir?

FRED

Sie weiß ganz genau, wie sie mich anpackt! Betti, Betti, Betti!

AIRPORT BOY

Wir müssen nach links, Sir.

FRED

Hat meine Frau Sie engagiert?

AIRPORT BOY

Das weiß ich nicht, Sir.

FRED

Wo fahren wir hin?

AIRPORT BOY

In die Düsseldorfer Straße.

FRED

In eine Wohnung?

AIRPORT BOY

Ja, Sir.

FRED

In eine leerstehende Wohnung?

AIRPORT BOY

Ab morgen wird sie leer sein, Sir.

FRED

Ist es bloß meine überreizte Fantasie, die mir einen Streich spielt, oder erwartet mich dort eine Überraschung?

AIRPORT BOY

Das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir.

FRED

Darf ich Ihnen eine direkte Fragen stellen?

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