So musste er schließlich nachgeben und den Protestanten das Kirchenschiff zurückgeben.
Der Bruch – die neue Residenz in Mannheim
Aus Verärgerung machte der Kurfürst seine Drohung wahr, die Residenz zu verlegen.1720 ließ er mit dem Bau eines neuen Schlosses in Mannheim beginnen.
Mannheim zählte vor dem Dreißigjährigen Krieg bis zu 7.000 Einwohner. Durch die andauernden Kriege, insbesondere die Erbfolgekriege, wurde es total entvölkert.
Der Vorgänger Karl Phillips, Kurfürst Johann Wilhelm 26(1690 bis 1716), regierte und residierte zuvor als Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz im Schloss von Düsseldorf und nicht im zerstörten Heidelberg. Er betrieb die Wiederbesiedlung Mannheims ab 1698 und belebte die Stadt aufs Neue. 1719 war die Bevölkerung in etwa wieder auf die Zahl vor dem Krieg angewachsen.
Mit der Verlegung der kurpfälzischen Residenz nach Mannheim im Jahr 1720 setzte ein weiterer Schub ein.
In mehr als 20 Jahren Bauzeit entstand die nach Versailles zweitgrößte Schlossanlage Europas. Auch die Stadt Mannheim selbst musste, da vollständig kriegszerstört, von Grund auf neu geplant werden. Sie wurde nach Schachbrettmuster streng geometrisch in Quadraten angelegt. Unter Kurfürst Karl Theodor 27 (1742-1799) nahm die Kurpfalz dann wahrlich einen Aufschwung. Die Stadtbewohner vermehrten sich in der Folge rasant und erreichten mit rund 26.000 um 1770 einen beachtlichen Höchststand.
Karl Theodors Name steht für die wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit Mannheims im 18. Jahrhundert und für den Aufstieg der Stadt zu einem der Kristallisationspunkte des europäischen Barock.
Karl Theodor war den Ideen der Aufklärung verbunden. Er war ein großer Bauherr und Förderer der Wissenschaften. Ganz Menschenfreund, schaffte er 1776 die Folter ab.
Besonderen musikalischen Glanz brachte die „Mannheimer Schule“, ein neuer Instrumentalstil als Wegbereiter der europäischen Klassik. Auch der junge Wolfgang Amadeus Mozart erhielt hier 1777/78 wesentliche Anregungen.
Daneben war das Schauspiel im Nationaltheater ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Der noch unbekannte Friedrich Schiller schaffte mit der Uraufführung von „Die Räuber“ Anfang 1782 den Durchbruch. Und auch Johann Wolfgang von Goethe weilte zu jener Zeit in der Kurpfalz-Metropole. Das barocke Mannheim war einfach schick.
Alt Heidelberg, du Feine: Nachtragend?
Und Heidelberg – war zwar weiterhin Universitätsstadt mit wachsendem Akademikeranteil, hatte aber den Status der kurfürstlichen Residenz eingebüßt.
Und ich befürchte (schmunzel), die Folgen dieser Missachtung spürt man im gegenseitigen Umgang der teils calvinistisch geprägten Heidelberger und der von je her liberalen Mannheimer noch heute.
Und noch etwas bringt mich zum Lächeln. War es damals der reformierte Kirchenrat, der dem Kurfürsten das Regieren erschwerte, ist es heute der bunte Gemeinderat, der das Stadtoberhaupt oftmals einbremst.
Während also Heidelberg die romantische Universitätsstadt am Neckar blieb und jährlich Heerscharen von Touristen anzieht, entwickelte sich Mannheim bereits 1896 zur Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. Heidelberg erreichte diesen Status erst 1946 nach dem Zweiten Weltkrieg.
Mannheim prosperierte um 1900 insbesondere durch die Industrialisierung. Viele wichtige Erfindungen, wie das erste Fahrrad von Karl Freiherr von Drais oder das Automobil von Carl Benz, stammen aus der Stadt am Zusammenfluss von Neckar und Rhein. Mannheim ist heute sowohl eine bedeutende Industrie- und Handelsstadt, als auch renommierte Universitätsstadt.
Im Boom des 18. Jahrhunderts profitierte auch Mannheim erheblich von der Zuwanderung religiös Verfolgter aus ganz Europa.
Mit der Industrialisierung und der Ansiedlung von immer mehr produzierendem Gewerbe wuchs auch die Zahl der Arbeiterschaft. Jetzt bildete sich die unverwechselbare Sozialstruktur Mannheims aus Intellektuellen, Industriellen, dem Bürgertum und dem Arbeitermilieu.
Der Dialekt und seine Melodie
Die „Kurpfälzer“ sind sowohl von der Klangfarbe und dem Dialekt der Sprache als auch ihrer Sozialisierung und Mentalität sehr stark von den unruhigen und kriegerischen Zeiten seit dem 16. Jahrhundert geprägt.
Horsch ämol – weesch – määnsch – kannsch – hosch – uffbasse: alles nasal und weich, fast gesungen ausgesprochene Worte, die sehr an das Französische erinnern. Je näher man dem Oberzentrum der Kurpfalz, den Mannheimer Quadraten kommt, desto mehr wandelt sich das „a“ wie in „kannsch“ zum „o“ wie in den Wörtern Sonne oder Wonne.
Typisch mannemerisch ist das Füllwort alla , das in kaum einem Satz fehlt. Es kommt vom französischen allez und dient hier wie dort als Aufforderung: Los! Auf!
Es kann aber auch die Bedeutung von „alsdann“ haben: allaa, machs gud! Ein alleinstehendes allaa! h eißt so viel wie: Hab ich’s nicht gesagt! 28
Oft wird ein Satz mit einem heer! begonnen.
Nehmen wir die folgende Konversation am Telefon:
Er: |
Kannst du nicht nach Mannheim kommen? |
Sie: |
Du weißt doch, dass ich nicht kann! |
Er: |
Na dann . |
So klängen dieselben Sätze in einer Unterhaltung zweier Mannheimer:
Er: |
Heer, konnsch nät nach Monnäm kumme? |
Sie: |
Heer, isch konn nät! |
Er: |
allaa gud . |
Jedes Monnäma Mädel kennt die Warnung der Mutter: Mach kää Fissematente!
Auch wenn es dafür andere Erklärungen geben mag – meine liebste leitet sich vom Locken des französischen Besatzungssoldaten ab, wenn er ein junges einheimisches Mädchen verführen wollte und sie aufforderte, ihn in seinem Zelt zu besuchen: Mademoiselle, visit ma tente . (Gnädiges Fräulein, besucht mein Zelt).
Vielleicht waren es aber auch die charmanten jungen Männer der zugewanderten Hugenotten, Flamen oder Wallonen, die anfangs in Zelten lebten.
Egal – die Monnemer Mütter erlebten die Folgen und machten daraus die Fissematente und jeder kann sich denken, was die, manchmal auch heute noch, mit erhobenem Zeigefinger ausgesprochene Ermahnung bedeutet.
Was lernen wir daraus? Zum Stereotyp des Mannheimers gehört untrennbar die kurpfälzische Liberalität und Heiterkeit.
Allgegenwärtig versprüht die derbe dialektische Mischung der Sprache der im Arbeitermilieu geborenen Mannheimer einen unvergleichlichen Charme.
Legendär ist beispielsweise der Polizei-Notruf der Frau Zehntbauer aus den Mannheimer „Benz-Barracken“, in welchem sie ihren Nachbarn der Ruhestörung bezichtigt 29.
Das Zwiegespräch mit dem Polizisten vermittelt genau den beschriebenen Eindruck von derber Herzlichkeit, die die einfachen Leute hier leben.
Aber: dieselbe, in Mannheim angemessene, schlichtende Ansprache in einem Konflikt, kann für den einschreitenden Polizeibeamten in Heidelberg postwendend zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde führen. So wird Polizei als Erfahrungsberuf für den jungen Beamten blitzschnell und schmerzhaft begreifbar.
Multi-Kulti und dennoch verschieden
In Mannheim leben schon immer viele Nationalitäten Tür an Tür. Heute zählt die Stadt 166 davon. Die Vereinten Nationen haben im Vergleich dazu nur unwesentlich mehr, nämlich 193 Mitgliedsstaaten. Ein Viertel der heutigen rund 320.000 Stadtbewohner sind Ausländer und fast 45 Prozent haben Migrationshintergrund 30. Die Leute haben gelernt, miteinander auszukommen – manchmal derb, aber immer herzlich – naja meistens.
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