Neben diesem, umgeben von Rosensträuchern in kunstvollen Vasen, warteten ein Junge und ein Mädchen.
Der Junge, Alessandro, trug sein schwarzes Haar seitlich gescheitelt und hatte grün leuchtende Augen, die sich sofort verächtlich auf die fremden Kinder richteten. Isa fragte sich, was er sich alles in die Haare geschmiert hatte … nun ja, wenn sie ehrlich war, wollte sie das lieber gar nicht wissen. Ganz im Allgemeinen zeugte alles an ihm von Arroganz und Eitelkeit, von seiner Haltung über den eben schon erwähnten Blick bis hin zu seiner Kleidung.
„Ziemlich unsympathisch!“, befand Isa. Aber vielleicht täuschte der erste Eindruck.
Das Mädchen, das neben ihm stand, musste Valeria sein. Es hatte ebenfalls schwarzes Haar, das man in einen langen, kunstvollen Zopf geflochten hatte. Es war außergewöhnlich hübsch, auch wenn seine roten Augen etwas Furchteinflößendes und Irritierendes an sich hatten.
Alessandro und Valeria standen demonstrativ in einigem Abstand und mit dem Rücken zueinander, was deutlich zeigte, dass sie sich nicht leiden konnten. Erst als Valeria ihre Eltern sah, legte sich ein glückliches Lächeln auf ihr Gesicht und sie schien sich zu entspannen.
„Ihr seid zurück!“, jauchzte sie und fiel ihrer Mutter stürmisch um den Hals. „Das ist so wundervoll!“
„Hallo, mein Schatz!“ Vega drückte ihre Tochter fest an sich, dann drehte sie sich zu Isa und Jerino um. „Valeria“, verkündete sie mit feierlicher Stimme, „ich möchte dir Isalia und Jerino vorstellen. Isalia und Jerino, das ist Valeria.“
„Isa, einfach nur Isa“, murmelte die Wettermagierin leise, doch laut genug, dass es das Feuermädchen gerade noch hören konnte.
Ein wenig skeptisch blickte dieses die beiden Neuankömmlinge an, schenkte ihnen dann jedoch ein höfliches Lächeln. „Es freut mich, euch kennenzulernen“, hauchte sie.
Alessandro war da anders. Zuerst schüttelte er seiner Mutter und dann seinem Vater steif die Hand. Die beiden Neuen schien er gar nicht erst wahrzunehmen.
Erst als Vega ihn fragte, ob er die beiden nicht auch begrüßen wolle, nickte er ihnen kurz zu. Der Spott in seinen Augen war nicht zu übersehen.
Valeria wurde aufgetragen, Isa ihr neues Zimmer zu zeigen. Jerino sollte sich von Alessandro einweisen lassen. Isa war amüsiert darüber, als sie sah, wie wenig dies dem eingebildeten Jungen gefiel. Nur Jerino tat ihr leid. Doch er würde schon mit ihm fertig werden.
Was Valeria darüber dachte, ihr das Zimmer zu zeigen, konnte Isa nicht erraten. Ihre roten Augen verwirrten sie und machten es schwer, ihren Charakter oder ihre Denkweise zu erahnen. Isa folgte dem Mädchen über eine der marmornen Treppen in den zweiten Stock hinauf und weiter in den Westflügel des Gebäudes.
„Euer Zuhause ist ja riesig!“, meinte Isa beeindruckt, um das angespannte Schweigen zu brechen.
„Ja.“ Stille.
„Sie scheint ja nicht gerade die Person zu sein, die viel spricht“, dachte Isa, „aber Vega hatte etwas in der Art erwähnt.“
„Du heißt also Valeria, richtig?“
„Ja.“
„Und wie alt bist du?“ Isa hoffte, dass sie endlich einen längeren Satz von sich gab. Doch sie wurde enttäuscht.
„Dreizehn.“
Langsam ging Isa diese Einsilbigkeit etwas auf die Nerven. „Sag mal, kannst du eigentlich nicht mehr als ein einziges Wort auf einmal sagen?“
Das Mädchen blieb verdutzt stehen und schaute sie ungläubig an. Dann wurde es rot und starrte zu Boden.
„Na ja, ich spreche fast nie mit anderen Kindern. Nur mit meinem Bruder und den kann ich nicht leiden …“ Valeria blickte weiterhin beschämt zu Boden. „Weißt du, die meisten Menschen haben Angst vor mir und ich dachte, das würde bei dir kaum anders sein.“
Isa schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keine Angst vor dir. Du hast rote Augen, was natürlich ungewöhnlich ist, aber das hat doch gar nichts mit deiner Persönlichkeit zu tun.“
Das Mädchen lächelte scheu. „Danke.“ Dann zögerte es und in seinen Augen konnte Isa ganz plötzlich eine Regung erkennen: Trauer. „Leider bist du die Einzige, die so denkt“, fuhr sie leise fort und schloss die Augen.
„Ach was! Hast du denn nicht irgendwelche Freundinnen?“
Schweigen folgte und Isa bemerkte erschrocken, dass sie genau den wunden Punkt getroffen hatte.
„Oh, Valeria, es tut leid!“, murmelte Isa.
„Es muss dir nicht leidtun. Du konntest ja nicht wissen, dass ich das einzige Mädchen in Aria bin, das noch niemals eine Freundin hatte“, murmelte sie betrübt.
„Noch nie?“
„Noch nie.“ Sie lächelte traurig.
Isa legte eine Hand auf ihre Schulter und schwieg mitfühlend. Dann wechselte sie das Thema.
„Du hast das Zimmer deines Bruders in Brand gesteckt?“, fragte sie daher.
„Ja … allerdings nicht wirklich mit Absicht.“ Valerias Augen loderten plötzlich wie Feuer.
„Natürlich nicht. Aber das Feuer ist schließlich auch das wildeste der vier Elemente.“
„Ja, leider. Weißt du, ich versuche, meine Gefühle zu kontrollieren. Ich kann das auch immer besser, aber wenn Alessandro mir wieder irgendeinen dummen Streich spielt … dann explodiere ich ganz einfach … wortwörtlich.“
Isa lächelte. „Ich werde genauso wütend, wenn mich jemand angreift. Bei deinem Bruder ist das ja auch mehr als verständlich. Er scheint mir nicht einer der nettesten Menschen zu sein. Ist er wirklich einer von uns?“
„Ein Amulettmagier? Ich weiß nicht so genau.“ Valeria zögerte. „Lange dachte ich, dass er einer von uns ist. Nur … er scheint keinen Zauber hinzukriegen. Mutter sagt, das sei, weil er nicht an Magie glaube. Sie sagt, er müsse sein wahres Wesen selbst erkennen.“
„Du glaubst also nicht, dass er ein Amulettmagier ist?“
Valeria schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich hoffe es für uns. Das Einzige, was er zustande bringt, ist, andere Leute zu ärgern. Verantwortung zu übernehmen ist ihm fremd.“
Isa nickte nachdenklich.
Ganz plötzlich lächelte Valeria. „Mutter hat lange nach euch gesucht, nach dir und diesem Jungen.“
„Jerino?“
„Ja, genau. Wo kommt ihr eigentlich her?“
„Ich lebte in einem Waisenhaus in Merlina. Jerino war … er war ein …“ Sie zögerte. „… Straßenkind in Karpensas.“
„Ein Dieb?“, fragte Valeria, der Isas Zögern nicht entgangen war. Ihre Augen weiteten sich. „Ist er gefährlich?“
Isa lachte. „Nein, er ist vollkommen in Ordnung. Du wirst ihn bestimmt mögen, wenn du ihn erst einmal kennenlernst.“
Valeria runzelte unsicher ihre Stirn. „Hoffentlich hast du recht!“, argwöhnte sie, ehe sich ihre besorgten Gesichtszüge glätteten. „Wie sehen eure Amulettstücke aus?“
„Jerinos Amulett ist geschmückt mit dunkelblauen Steinen. Bei mir sind sie hellblau.“
Valeria lachte. „Meine sind natürlich rot!“ Sie zeigte das Amulettstück, das sie an einem ledernen Band um den Hals trug, und nahm es dann vorsichtig ab. Rubine zierten das filigran gearbeitete Gold und die Flammen in ihrem Innern loderten heller als jedes Feuer.
„Sie sind faszinierend …“, flüsterte die Wettermagierin und berührte das Amulett des anderen Mädchens. Es fühlte sich ebenso warm an wie ihr eigenes, wenn nicht noch wärmer.
Vorsichtig nahm Isa ihr blaues Stück ab und wollte es danebenlegen. Doch weit kam sie nicht. Kaum näherten sich die beiden Teile, begannen sie plötzlich, lebendig zu werden. Sie entglitten den Händen ihrer Besitzerinnen und begannen immer heller und heller zu leuchten. Rasend schnell schwebten sie aufeinander zu und begannen, sich in einem stillen Tanz zu drehen. Dann, in einer gleißenden Explosion von Licht und Funken, trafen sie zusammen!
Isa und Valeria schrien gleichzeitig auf und taumelten mehrere Schritte zurück. Eine Woge aus Magie brandete durch ihre Körper.
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