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Natascha Honegger
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind
zufällig und nicht beabsichtigt.
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Erstauflage 2012
Titelbild und Illustrationen: Natascha Honegger
ISBN: 978-3-86196-131-4 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-193-0 - E-Book (2020)
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Inhalt
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Wenn die Dunkelheit versucht, das Licht zu binden,
und der letzte Widerstand zu brechen scheint,
dann, ihr Magier, bedenket immer:
Ohne Gutes auch kein Böses sei.
Am Tag der letzten freien Insel Fall,
beginnt der Prophezeiung Hall.
Vier Kinder werden dann geboren sein:
das erste Grün, das zweite Rot, das dritte dunkles und das letzte helles Blau.
Doch erst, wenn sich alle Elemente einen
und die Fehler der Vergangenheit in klarem Licht erscheinen,
dann, sobald der letzte Schnee des Winters schwindet,
wird sich der Zauberer Heer bei der Alten Eich‘ einfinden.
So entsteht ganz ohne Acht
zwischen Licht und Dunkel eine Schlacht.
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Ein Unwetter zog über eine kleine Stadt namens Merlina an der nördlichen Küste des Landes Aria. Es stürmte heftig und es goss wie aus Kübeln. Blitze tauchten alles in ein schauriges Licht und der Donner grollte wie ein wütendes Tier. Gewaltige Wassermassen schlugen unaufhaltsam gegen die steil abfallenden Klippen und versprühten einen salzigen Schauer, bevor sie zurück in die tobende Gischt fielen.
Bei diesem schrecklichen Wetter stand eine junge Frau auf dem höchsten Punkt der Küstenlinie und blickte mit wehendem Haar auf das offene Meer hinaus. Ein mächtiger Wasserzyklon suchte dort wirbelnd seinen Weg und der auffrischende Wind heulte und pfiff um die Ecken der nahegelegenen Häuser. Hätte es jemand gewagt, die schützenden Mauern der Stadt zu verlassen, so wäre er zweifellos in den Abgrund gerissen worden, an dessen Ende die aufgewühlte See tobte.
Nicht so die zierliche junge Frau, deren Schönheit man unter den wallenden Tüchern nur erahnen konnte. Einzig ein sanfter Lufthauch durchdrang die blaue Aura, die sie, ausgehend von einem kleinen Stoffbündel in ihren Armen, wie eine Hülle umgab. Es war ein Baby, fest eingewickelt in warme Decken, sodass nur das kleine, rundliche Gesicht sichtbar war. Das Mädchen schlief ruhig und völlig unbeeindruckt von dem Unwetter, das um es herum tobte, unwissend, welche Kräfte ihm angeboren waren.
Die junge Frau seufzte leise und wandte sich dann von den Klippen ab. In ihren blauen, freundlichen Augen glitzerten Tränen und sie schien dem Sturm ebenso wenig Beachtung zu schenken wie ihre Tochter.
Zielstrebig lief sie durch die vielen verwinkelten Gassen der Stadt bis zu einem alten, heruntergekommenen Haus, welches ein wenig abseits von Merlina stand. Die ehemals weiße Farbe war längst abgeblättert und der Wind peitschte die alten Fensterläden auf und zu. Immer wieder schlugen sie mit einem lauten Knall gegen die Wände, bis sie letztendlich aus den Angeln gerissen und weggeweht wurden.
Dieser trostlose Ort war nichts anderes als das örtliche Waisenhaus.
„Das ist die einzige Möglichkeit“, dachte die junge Frau. „Es ist besser, wenn sie weit weg von ihrem Geburtsort aufwächst, weit weg von allen Gefahren …“
Sie drückte das Baby an sich, gab ihm einen letzten Kuss auf die Stirn und legte es behutsam vor der Eingangstür des Gebäudes auf den Boden. Dann nahm sie vorsichtig das Bruchstück eines Amuletts aus ihrer Tasche hervor und legte es um den Hals des Kindes. Es war aus reinem Gold und mit hellblauen Steinen reich verziert, welche, als sie die Haut des Mädchens berührten, in einem so hellen Licht erstrahlten wie der Vollmond in wolkenlosen Sommernächten. Ein letztes Mal nahm der Sturm in seiner Heftigkeit zu, doch noch immer schlief das Kind so friedlich wie zuvor, und die junge Frau seufzte erleichtert.
Sie wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn das kleine Mädchen noch einmal seine magisch leuchtenden Augen öffnen und sie ansehen würde, mit seinem unschuldigen und unwissenden Blick.
„Hoffentlich werde ich dich irgendwann wieder sehen, meine Isalia“, dachte sie voller Liebe. „Vielleicht, ja vielleicht können wir dann gemeinsam ein normales Leben führen … Vielleicht ist dann alles vorbei …“
Sie legte einen kleinen Umschlag in den Umhang des Kindes. Sie wollte sicher sein, dass der Brief gefunden wurde, auch wenn er nicht mehr als einen einzigen Namen enthielt: Isalia. Das Kind sollte in diesem Namen erzogen werden, dem Namen, den seine Mutter für es bestimmt hatte.
Ein letztes Mal schaute sie auf das winzige Gesicht, das dem ihren schon jetzt ähnlich sah, dann erhob sie sich mit wehenden Tüchern.
Um ihr Kind machte sie sich keine Sorgen. Wind und Wetter, Blitze und Donnergrollen, dies alles gehörte zu seinem magisches Element. Dem Element der Luft.
Nach einem letzten schmerzvollen Blick zurück auf ihre Tochter verschwand die Frau in der Dunkelheit und der Sturm verschluckte das Geräusch ihrer Schritte.
Das kleine Mädchen blieb zurück, unwissend, dass seine Zukunft schon vor der Geburt bestimmt worden war, eine Zukunft, die ihm viel Ruhm oder aber den Untergang bringen würde.
*
Madame Seirone
Aufmerksam blickte sich Isalia, von allen nur Isa genannt, in der Dunkelheit um. Ihre blauen Augen leuchteten hell in der Schwärze der Nacht und suchten die Umgebung nach verdächtigen Bewegungen ab. Sie konnte alles so klar sehen wie am helllichten Tag: die Ziffern der Wanduhr, das alte, abgenutzte Sofa und auch die trüben Fenster, durch die das Mondlicht in milchigem Weiß fiel.
Still und verlassen lag die düstere Eingangshalle unter ihr. Die anderen Bewohner des Waisenhauses schliefen noch tief. So weit, so gut.
„Kommt“, flüsterte sie und drehte sich zu ihren beiden Freundinnen um, die angespannt im Schatten des Ganges warteten, wo sie niemand außer Isa entdeckt hätte. Vor allem eine von ihnen, Serilena, hätten wohl viele übersehen, denn ihre Haut war von dunkler Farbe und ihr Haar tiefschwarz. Nur das Weiße ihrer Augen wäre auch für Menschen ohne besondere Sehfähigkeiten sichtbar gewesen.
Das dritte Mädchen, das sich schüchtern an Serilena presste, nannten alle Pentrilla, doch im Grunde wusste niemand, wie sein richtiger Name lautete. Es hatte langes, braunes Haar, eine helle, fast schon durchscheinende Haut und braune, mandelförmige Augen. Serilena und Pentrilla waren Waisen – genau wie Isa –, aber in ihrer Art und ihrem Äußeren hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Trotzdem waren die drei Mädchen Freundinnen, beste Freundinnen sogar.
Serilenas Mutter, eine Fremde, die eines Nachts hochschwanger in Merlina aufgetaucht war, war bei ihrer Geburt gestorben. Ihre letzten Worte hatte niemand verstanden, denn sie sprach eine den Bewohnern von Merlina unbekannte Sprache. Nur den Namen des Babys hatte man herausfinden können: Serilena.
Pentrillas Geschichte war jedoch weit düsterer als Serilenas. Sie hätte niemals ihren ersten Geburtstag feiern können, wäre der Zufall ihr nicht zu Hilfe gekommen. Halb ausgehungert und bereits zu schwach, um zu schreien, war sie im nahen Wald von einer Gruppe Jäger gefunden und ins Waisenhaus gebracht worden. Ihre Eltern hatten das wehrlose Kind dort ausgesetzt, ob es Verzweiflung gewesen war oder nicht, das wusste niemand.
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