Nadja Solenka
Die heilende Zeit
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Titel Nadja Solenka Die heilende Zeit Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort Vorwort Und wenn der Mensch ein Mensch ... Und wenn der Mensch ein Mensch bleibt, der sich an anderen nicht mehr reibt? der mehr als andere fühlt noch ist kein innerer Kern verglüht Ein Mensch, der sich kein Leben misst? weil keiner weiß, wer er als Mensch doch ist?
1. Kapitel
2. Kapitel
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5. Kapitel
6. Kapitel
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Impressum neobooks
Und wenn der Mensch ein Mensch ...
Und wenn der Mensch ein Mensch bleibt,
der sich an anderen nicht mehr reibt?
der mehr als andere fühlt
noch ist kein innerer Kern verglüht
Ein Mensch, der sich kein Leben misst?
weil keiner weiß, wer er als Mensch doch ist?
Kennenlernen in einem Restaurant
Die Sonne verdunkelte sich durch Wolken, vorher verwandelte sie noch das Bergdorf Kalambaka in sanftes Licht. Trotzdem war es ein warmer Tag, der schwül anmutete. Man dachte sogar, es könnte Regen aufkommen.
Tanita zog sich ihre beige Windjacke zu und wunderte sich, dass sich das Wetter so schnell änderte. Aber es war ja April.
Der Mann, der ihr gegenüber saß, schaute konzentriert die Speisekarte an. Er sah aus wie ein Grieche, mit seinen dunkelbraunen Haaren und seinen schwarzen Augen. Georgios taxierte, nachdem er ein Essen gewählt hatte, ihre außergewöhnliche Schönheit. Es überraschte ihn ihre etwas ungelenke Art.
Tanita schaute auch die Speisekarte durch und überlegte sich ein Gemüsegericht zu bestellen. Fleisch war ihr in der letzten Zeit nicht gut bekommen. Ein „griechischer Salat“ würde bestimmt reichen sie satt zu machen, dachte sie. Die meisten ihrer Freunde waren sehr besorgt gewesen, sie hatte mehr als dreißig Kilos abgenommen – von achtzig Kilos bis an die neunundvierzig Kilogramm runter. „An sich nichts außergewöhnliches“, hatte ihr Arzt versucht sie zu beruhigen. Auch eine Therapieform, man denkt sich das einfach alles anders, überlegte Tanita. Ein wenig unkonzentriert trank sie von ihrem Wein.
Georgios versuchte die schwarz-aschblonde Erscheinung mit den blauen Augen einzuschätzen. Die Frau, die ihm gegenüber saß, wirkte etwas fahrig und gleichermaßen zentriert in ihrer Mitte. Durch ihre Art sich zu kleiden kam er durch seine Reflexionen darauf, dass sie vielleicht Mutter sein könnte.
Alle anderen Tische waren besetzt, er hatte sich also zu dieser Frau hinzu gesellt, als hätte Gott ihm diesen einzigen noch möglichen Platz zugewiesen.
Tanita sah in dem Mann gegenüber, der sie so unauffällig ansah, eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrem ursprünglichen Vater. Ein Mann, den sie früh verloren hatte. Da war sie vierzehn Jahre alt gewesen. Ihr Altvorderer, der Industriekaufmann war, hatte sie stets belassen in ihrer Ähnlichkeit zu ihm. Aggressiv und fordernd zugleich war er aber, wenn sie Gott nicht ein Gemäß geben sollte, wenn Tanita zu beflissen ihr eigenes für andere und nicht für den Himmel abgrasen wollte. Sie wurde jedoch früh zur Selbstständigkeit erzogen, dazu entwickelt für andere da zu sein.
Georgios begann das Gespräch: „Es wird wohl heute noch Regen geben. Eigentlich schade, man kann sich nicht so einfach auf den Weg in die Berge machen, um seiner Langeweile zu entrinnen.“ Tanita zuckte zusammen. Er sprach so vertraut mit ihr, als würden sie sich immer schon kennen. „Ich bin gar nicht mal so schade damit, die Sonne war doch viel zu drückend. Irgendwie musste wohl mal die Spannung raus. Es wird mit Sicherheit ein Gewitter geben müssen.“ Er lächelte, trank an seinem Rotwein und erklärte, dass er ja Unterschlupf finden könnte bei seinen Eltern, die aus diesem Bergdorf stammen würden. Sie hätten sich in Deutschland eine Ferienwohnung erarbeitet. Man könnte letztendlich nichts dagegen haben, außer dass sie weder heimatliche Gefühle für das griechische Land, noch für ihr Leben in deutschen Gefilden hätten. Und dann stellte er sich mit Namen vor: „Ich heiße übrigens Georgios.“ Auch Tanita benannte sich. Er fand ihren Vornamen interessant und selten, aber passend zu ihrer Melange in der Haut, was er nicht laut sagte.
Dann drehte sie nervös an dem Knopf ihrer dunklen Bluse herum, die aus ihrer Jacke hervorschaute. Überrascht war Tanita, dass er so persönliche Worte über sein Leben zum Ausdruck brachte, man kannte sich doch gerade erst. Sie öffnete ihre Windjacke, ohne sich großartig dessen bewusst zu sein.
Als der Kellner kam, errötete Tanita und Georgios schmunzelte in sich hinein. Nachdem sie das Essen bestellten, lächelten sie sich zu, der Kellner war schon außer Sichtweise. Natürlich duzten sie sich, sie waren beide ja erst Anfang um die dreißig.
Georgios aß bedächtig seine Souflakia und Tanita war froh, dass ihr der „griechische Salat“ mundete. Beim Essen sprachen sie wenige Worte. Nachher zündete sich Georgios eine selbst gedrehte Zigarette an.
Tanita, die etwas aufgelockert war durch den Wein, erzählte auch sie würde ihre Familie besuchen. Sie sagte: “Meine Mutter, eine Griechin, ist ebenso hier, mit meinem Stiefvater, einem Deutschen. Vavroula hatte sich im Bergischen viel Geld angespart, zunächst mit meinem leiblichen Vater, der auch Deutscher war und früh verstarb. Es war soviel Geld, dass sie mit meinem Stiefvater so viel ansammelte, dass sie sich hier in Kalambaka ein Häuschen erstehen konnten.“ Georgios meinte: „Komisch, dass mir deine Mutter mit ihrer Familie nie so ins Auge gefallen ist.“ Tanita antwortete: “Ach so, ich war oft bei meiner deutschen Tante untergebracht. Ich war ein schwieriges Kind, musste um meinen Stand in der Schule kämpfen. Meine Mutter war mit meinem Vater und im späteren mit meinem Stiefvater bei den Großeltern mütterlicherseits in Kalambaka. Irgendwie scheint man sich verpasst zu haben, aber die Schulferienzeiten sind ja zumeist unterschiedlich in Deutschland.“ Er nickte. Tanita meinte weiterhin: „Vielleicht war es auch so vorherbestimmt, dass ich die Schule durch meine Tante Hermine schaffte. Sie war halt strenger und kannte sich mit deutschen Schulaufgaben besser aus als meine Mutter, und dann war mir das lieber so. Bestimmt hätte ich mich sonst nicht so zurecht gefunden.“ Georgios meinte zustimmend: „Das ist bei halb-griechischen Migranten nichts seltenes. Vielleicht wollte man dir nur helfen.“
Im weiteren vertrauten Gespräch kam heraus, dass er Physiker und Mathematiker wäre, in Berlin studiert hätte und im Lehramt sein Einkommen haben würde. Tanita erklärte dazu: Sie hätte trotz Kind, einem Sohn mit Namen Stephanos, Soziologie und Germanistik studiert und im weiteren keine Anstellung gefunden. Später wäre sie dann einfach Bäckerei-Fachverkäuferin geworden. Georgios schluckte enttäuscht, dachte seine neue Bekannte wäre schon vergeben, aber im Gespräch stellte sich dann heraus, dass sie alleinerziehend wäre. Er atmete erleichtert auf. Schließlich wurde er aufgrund ihres müden Blickes neugierig und schlug eine Wanderung zu einem der Meteora-Klöster vor. Und Tanita sagte nicht nein, sie hatte gedacht, er würde sie für lebensuntüchtig halten. Laut sagte sie: „Warum nicht.“
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