Georgios bezahlte für sie mit und Tanita war das etwas peinlich, kannten sie sich doch kaum, aber sie wollte ihm nicht vor dem Kopf stoßen. Nachdem sie das Restaurant verlassen hatten, schien die Sonne wieder heiß. Ein angenehmer Wind blies.
Während der Wanderung schwiegen sie eine Weile und Tanita wurde diese Wortlosigkeit schon unangenehm, da durchbrach Georgios die Stille und fragte fast unmotiviert: „Bist du eigentlich Einzelkind?“ Tanita antwortete direkt, froh, dass man einen Gesprächsstoff gefunden hatte: „Nein, meine Halbschwester Kassie ist auch hier, sie ist siebzehn Jahre alt.“ Georgios wich einem Stein, der auf dem Boden lag, aus und meinte: “Die habe ich bestimmt noch nicht großartig hier bemerkt.“ „Dieses Dorf hat augenscheinlich einen anonymen Charakter. Schon zwei Straßen weiter und man weiß nicht genau, wer wer ist“, entgegnete sie. Tanita duckte sich dann vor einem herunter hängendem Ast und fragte: „Aber mal was anderes, hast du eigentlich auch noch eine Schwester oder einen Bruder?“ Georgios sagte: „Ja, ich habe Geschwister, die aus einer zweiten Ehe meines Vaters stammen. Meine beiden Schwestern sind diesmal nicht dabei. Und dazu, dass man sich nicht so traf, ist zu sagen, dass ich mit meiner Familie nach Frankfurt kam, als ich noch klein war. Auch ich war seltener bei den Ferien dabei, aber erst in späteren Jahren. Da war ich schon älter. Ich kam dann wenig hierhin. Ging mehr in die Jugend-Freizeiten. Das wurde damals gesellschaftsfähig in Deutschland und außerdem wollte ich nicht ständig mit meinen Eltern und den Großeltern zusammen sein.“ Tanita nickte verständnisvoll. Sie war erstaunt über sein Vertrauen und seine persönliche Ausdrucksweise. Georgios sagte dann, als sie so gar nichts dazu sagen wollte: „Dann haben meine Eltern die Mietwohnung erst erstanden, als ich siebzehn war. Sie sind sehr stolz auf ihren Besitz. Ich kann damit weniger anfangen, aber ich gönne es ihnen. Sie haben es sich schließlich hart erarbeitet.“ Tanita, die nicht ahnte, dass dieser beinahe Vortrags-artige Monolog seine Art war zu werben, antwortete begeistert über seine Redeweise: „Das tun die Griechen in Deutschland zumeist, das arbeiten bis zum Umkippen, hier kennt man sie anders.“
Tanita erzählte während ihrer Wanderung durch das Tal, dass sie viel zu früh Mutter geworden war. Stephanos wäre ein „Betriebsunfall“ gewesen, als sie ihn gebar wäre sie gerade mal fünfzehn Jahre alt gewesen.
Georgios atmete nervös aus, ein wenig enttäuscht war er, dass ihr das Leben so etwas angetan hatte. Laut sagte er hingegen, als sie durch ein Dickicht gingen: „Eine junge Mutter zu sein, damit hat man wenigstens eine Aufgabe und ist früher wieder aus der Kiste raus.“ Tanita lächelte und sagte: “Stephanos ist ein wissbegieriger Junge, und es macht mir viel Spaß ihn großzuziehen. Außerdem habe ich schon noch Hilfe mit ihm. Momentan ist er bei Bertine, meiner Großmutter, in Deutschland. Sie ist gerne mit Stephanos, weil er der einzige Enkelsohn ist, ist sie ganz vernarrt in ihn.“ Georgios antwortete einfühlend: „Dann kannst du dich von der schweren Verantwortung immer mal erholen.“ Schließlich stellte er beiläufig die Frage: „Und gibt es einen sozialen Ersatzvater?“
Tanita erbleichte, dann sagte sie: „Momentan nicht. Ich möchte auch weniger einen Mann, der meinen Sohn mit anderen Vorstellungen erzieht, da bin ich ganz eigen. Dann finde ich es auch spannend einen Sohn groß werden zu sehen, der dann später etwas besonderes wird. Ich musste mir bei allem, was ihm und mir im Leben so geschah, sehr viel selber einfallen lassen.“ „Und was war das alles?“, fragte Georgios interessiert. Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass einem dies oder das schwer sein könnte, wenn man wirkliche Hilfe hatte, was er dann auch laut thematisierte. Tanita zog die Stirn kraus, fast wirkte es so, dass sie etwas wütend werden wollte, weil er ihr vielleicht schweres unterstellen wollte. Aber sie lenkte innerlich ein, sie wollte nichts laut sagen. Und Tanita erinnerte sich daran, dass ihre Mutter zumeist in so einem Zusammenhang erklärte, dass man selber Kinder haben müsste, um über die Aufzucht etwas zu wissen. Tanita überlegte deswegen, dass sie Georgios nicht erklären würde, was genau das Schwere an der Erziehung von anspruchsvolleren Kindern wäre. Sie bevorzugte es zu erzählen, dass sie des öfteren mit Stephanos zu den Meteora gegangen wäre. Und ihr Sohn ihr eines Tages eine schwierige Frage stellte, die sie merkwürdigerweise direkt beantworten konnte, als hätte Gott seine Hand dabei im Spiel gehabt. „Und welche Frage war das?“, fragte Georgios gespannt. „Er wollte wissen, wie die Monolithen entstanden wären“, antwortete Tanita direkt.
„Und dann konntest Du also antworten, auch nicht schlecht“, meinte Georgios irgendwie überrascht.
Dann nickte er innerlich, als hätte er gar keine Frage mehr zu stellen. Dachte er wohl an Gottes Fügungen? Georgios wirkte vertraut und unnahbar zugleich. Tanita erzählte weiter: „So konnte ich Stephanos erklären, dass die Monolithen Ablagerungen eines Binnenmeeres sind. Und das durch tektonische Verschiebungen vor zehn Millionen Jahren ein Bergmassiv nach oben gedrückt wurde. Dabei sind dann Risse entstanden an den Flanken des Bergmassivs, die sich nach und nach zu Spalten ausweiteten. So hatten die weichen Gesteinsschichten verloren. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Gesteinsschichten dann von kontinuierlicher Korrosion durch Wind und Regen abgetragen.“ Georgios schmunzelte, und dann sagte er: „Dann weißt du ja was Jungen wissen wollen.“ Tanita meinte lächelnd: „Na, ja.“
Als sie eine Weile stillschweigend so daher wanderten, war auch Georgios bemüht, die Stimmung etwas aufzulockern, noch kannten sie sich ja kaum. Er kam auf ihr Tief, weil Tanita etwas heiser meinte, dass die Klöster uneinnehmbar schienen. Man könnte sie betrachten, ohne das Gefühl zu haben, man hätte etwas darauf gepachtet. Deswegen antwortete Georgios gestikulierend: „Geschichtlich lässt sich zu diesen Himmels-nahen Bauten sagen, dass im vierzehnten Jahrhundert die damalige byzanthinische Macht bröckelte. So flohen viele der thessalischen Mönche in die Meteora-Berge. Und als die Gewalt sich steigerte, sahen die Mönche sich gezwungen, die Klöster weiter oben zu errichten, was eigentlich den Bau der spektakulären Gebäude erklärt.“ Tanita erwiderte: „So in etwa habe ich das von meinen Eltern auch beschrieben bekommen.“
Nachdem Georgios dann im weiteren Gesprächsverlauf aufgrund von Tanitas Argwohn versicherte, noch rechtzeitig auf Aghia Triada ankommen zu können: „Die Klosteranlage hat bis siebzehn Uhr geöffnet“, zog Tanita ihre Jacke aus. Georgios zuckte unmerklich zusammen. Und Tanita fuhr sich durch die verschwitzen Haare.
Bei den Stufen hin zum Kloster vergegenwärtigte sie sich die vielen Stufen und dachte nur, sie würde es schon schaffen. Er hielt ihr sensitiv seine Hand hin, als es auf den Stiegen unwegsamer wurde. Tanita schlug sie aber aus, er sollte nichts falsches über sie und ihre Ängste denken. Nur um etwas interessantes zu sagen meinte sie, dass auf Triada im Jahr 1981 ein James Bond Film gedreht worden wäre: „In tödlicher Mission“. Georgios sagte dazu: “Ja, davon habe ich gehört.“
Er half ihr dann doch, um Tanita weiter nach oben zu bringen, weil sie schlapp machte mit ihrer Höhenangst. So meinte er, um sie von ihrer Furcht abzulenken: „Die Treppe soll es erst seit 1925 geben.“ Sie nickte nervös, aber sie sagte dann, auch nur um etwas von sich zu geben: „Das Hinaufziehen der Mönche per Seilkraft gibt es übrigens heute noch.“ „Ja, das fand ich als Kind immer so spannend“, entgegnete er etwas belustigt.
Als sie den schwierigen Aufstieg geschafft hatten, machten sie sich besinnlich daran, das Kloster der Dreifaltigkeit, das immer noch bewohnt war, zu besichtigen. Ein kühler, stiller Raum beruhigte Tanitas Sinne. Und als sie sich draußen an das Kreuz stellten, das direkt vor dem Abgrund fest gemacht worden war, und sie in das tiefe Tal schauten, schauderte es ihr unmerklich. Doch der warme Wind schmeichelte Tanitas Verliebtheit, während der Wanderung hatte sie sich immer mehr in Georgios warme Stimme und in seine Seele verguckt. Seine direkte Nähe ließ sie an die Reinkarnation glauben. Er sah sie konzentriert an, auch er fühlte sich im siebten Himmel der Verliebten, dann zog Georgios sie von dem Kreuz weg und sagte: „Lasse uns den Weg zurück ins Dorf finden.“
Читать дальше