Aber alles, was mit Gewalt erlangt wird, muss einem wieder mit Gewalt genommen werden
Francisco Pizarro, der Anführer der spanischen Abenteurer und Eroberer, forderte für die Freilassung von Atahualpa von dessen Volk ein ganzes Zimmer gefüllt mit Gold. Hinzufügen muss man nun, dass Gold für die Inka sehr wichtig war, denn die meisten Gebäude und Tempel waren mit Gold verziert. Gold hatte bei ihnen allerdings nicht den Stellenwert, wie es bei den Spaniern und allen anderen Europäern der Fall war. Das Gold wurde herangeschafft, doch Pizarro hielt sein Wort nicht. Er ließ Atahualpa 1533 hinrichten. Somit endet die Herrschaft der Inka, die Kolonialisierung durch die unersättlichen Spanier begann. Der allerletzte Inka, Manco Inka, so heißt es in mehreren Legenden, hätte sich mit seinem übriggebliebenen Volk nach Vilcabamba zurückgezogen.
Dies sollte als geschichtlicher Überblick genügen. Denn, war es wirklich so? Wer weiß dies so genau.
Auf dem Weg nach Machu Picchu
Im Schnittpunkt der Unendlichkeit
Gehst du, dem Licht dich schenkend,
in eine neue Wesenheit ...
Die Zukunft ist Vergangenheit,
in Raum und Zeit sich senkend.
Der zweite ganze Tag in Peru endete damit, dass wir nach unserer Busreise durch das Heilige Tal der Inka in unser Bett fielen, denn am nächsten Morgen früh um sechs Uhr fuhr der Zug nach Machu Picchu.
Heute, an unserem dritten Hochzeitstag, würden wir auf Machu Picchu ankommen. Ich konnte es kaum erwarten und war froh, als der Zug endlich losfuhr. Es wurde langsam hell und wir fuhren am Anfang ungefähr eine halbe Stunde durch die ganzen Armenviertel von Cusco. Auch hier sah man viele herrenlose Hunde in einer Dumpfheit versunken durch die Schlammgassen marschieren. An jeder Ecke standen zusammengeflickte Fußballtore. Kinder, vielleicht vier Jahre alt, schleppten Körbe, die größer waren als sie selbst.
Wir fuhren aus Cusco in das Heilige Tal hinein. Die Landschaft wurde wieder abwechslungsreicher, dafür aber karger. Überall lagen Lehmbacksteine gestapelt auf den Feldern neben den armseligen Hütten. Auch hier gingen, wo man weit und breit keine Hütte sah, Kinder mit ihren Körben durch die weiten Felder. In regelmäßigen Abständen standen wieder die gewohnten Fußballtore und wenn man die Jugendlichen betrachtete, sah man, dass zwei von dreien Fußballtrikots von irgendwelchen Mannschaften trugen. Auch hier sind mitten auf dem Land auf ganz vielen Häusern kleine Kreuze auf den Dächern angebracht und Marienstatuen säumen den Wegesrand. Alle sehr einfach aus Holz gehalten, im Gegensatz zu den blinkenden und verkitschten Kreuzen in Lima und Cusco. Hier auf dem Land fühlt man die totale Entfremdung der Einwohner noch mehr. Die Wurzel ist herausgerissen, ihr eigentlicher Glaube existiert nicht mehr. Und die seelischen Wunden werden täglich mit Alkohol und Koka-Blättern betäubt. Die grandiose Natur, die alles mit Leben durchdringt, ist das einzige, so glaube ich, das diese Menschen am Leben erhält.
Fährt man mit dem Zug an Dörfern mit ihren türkisfarbenen, violetten und blauen Hütten vorbei und winkt den Menschen zu, wird teilweise überschwänglich und teilweise verängstigt, zurückgewinkt. Aber ein Funke der göttlichen Freude, die in jedem Menschen verankert ist, kommt zum Vorschein. 10 Sekunden später sind die Menschen wieder in ihrem Trott des Alltages versunken.
Aber ein Funke der göttlichen Freude, die in jedem Menschen verankert ist, kommt zum Vorschein
Der Zug überquerte den Urubamba und schlängelte sich neben ihm bis nach Ollantaytambo, dem Ort, den wir schon am gestrigen Tag besucht hatten. Ab Ollantaytambo gibt es keine Straße mehr und die einzige Möglichkeit nach Machu Picchu zu kommen ist der Zug. Wer es eilig hat, und dies sind im prachtvollen Peru mit Sicherheit nur einige unverbesserliche Touristen, kann mit dem Bus nach Ollantaytambo fahren und von dort mit dem Zug weiter. Man spart, glaube ich, eine Stunde.
Die Zugstrecke wurde immer abenteuerlicher, der Zug schlängelte sich durch immer schmalere Schluchten, bis er auch am berühmten Kilometer 88 vorbeikam, dem Beginn des ca. viertägigen Inka-Trails nach Machu Picchu. Die Natur wird immer grandioser, immer fülliger, immer subtropischer, denn Machu Picchu liegt am äußersten Rand des Amazonas. Insgesamt nach ca. 115 Kilometern und dreieinhalb Stunden Fahrt endet die Zugfahrt in Aguas Calientes, ein Ort mit heißen Quellen. Es gibt kleine preiswerte Hotels, viele süße Restaurants direkt an den Bahnschienen, der Rest ist Schmutz, Staub und Dreck.
Von hier folgt man den Massen der Tagestouristen und kommt, nachdem man einen kleinen Markt durchwandert und eine Brücke überquert hat, zur kleinen Busstation. Alle Busse fahren hier zur 8,5 Kilometer entfernten Ruinenstadt Machu Picchu, die ungefähr eine halbe Stunde später und nach endlos erscheinenden Serpentinen 500 Meter höher erreicht wird. Außer in Lima ist in Peru Hektik ein Fremdwort, allerdings muss man sich auch in Aguas Calientes auf ein bisschen Drängeln und Hetzen einlassen, bis man in seinem Bus zu den Ruinen sitzt. Kein Wunder, denn die Touristen, die viereinhalb Stunden später schon wieder im gleichen Zug zurück sitzen müssen, haben nicht viel Zeit zu verlieren.
In Freude werden die Herzen sich finden
Und Friede kehrt überall ein –
Die Welten werden sich verbinden
In Gott zum kosmischen Sein ...
Viereinhalb Stunden nach der Abfahrt in Cusco kamen wir oben bei den Ruinen an. Große Erwartungen und die größte Vorfreude, die ich je empfunden hatte, wurden erst einmal zerstört. Ich war wieder auf der Erde. Rund dreihundert Touristen warteten vor Monika und mir in der Schlange, nachdem wir kurz im Hotel, das direkt neben den Ruinen liegt, eingecheckt hatten. Wir mussten also warten, kamen mit unserem Ticket durch die erste Schranke und mussten nochmals warten. Dann endlich durften wir einzeln durch die Glastüre hineingehen, nachdem unsere Tickets je zweimal abgerissen und je dreimal gestempelt worden waren. Mittlerweile regnete es auch noch und wir sahen nur Regenjacken vor uns, viele Schirme, die uns fast die Augen ausgestochen hätten, bis wir nach ca. einer Stunde neben unserem Führer standen, der uns in den nächsten eineinhalb bis zwei Stunden durch die Ruinen führen sollte.
Wir gingen einige Treppen hinauf, folgten unserer dreißigköpfigen Gruppe und waren nach nochmals 100 Metern auf Terrassen, von denen wir einen bombastischen Blick auf die ganze Anlage hatten. Trotz der Müdigkeit, der 800 Touristen und eines andauernd sprechenden Führers, spürte ich den Frieden, den dieser Ort ausstrahlt. Ich hörte gar nicht mehr zu, hatte Monika im Arm und wir schauten einfach nur in die Weite, auf den ‚jungen Berg’ hinter den Ruinen, den Huayna Picchu, und ließen unseren Blick über die Ruinen gleiten. Für diesen Moment gab es nur wenige treffende Worte: vollkommene Harmonie und Frieden. Und genau jetzt hörte es kurz auf zu regnen, die Sonne kam heraus und segnete diesen heiligen Moment. Wahrhaft Harmonie und Frieden.
Und genau jetzt hörte es kurz auf zu regnen, die Sonne kam heraus und segnete diesen heiligen Moment
Du fragst nach dem Woher, Wohin –
Die wahre Antwort bist du selbst:
In deiner Seele tiefstem Sinn
Erschau’ den Weg, den du erwählst ...
Zwei weitere Stunden folgten wir dem Führer durch die Ruinen und den Regen. Was sollte man von einer Führung erwarten? Wir hetzten durch die große Stadt, um auch möglichst jedes Gebäude, jeden Tempel zu durchwandern und erklärt zu bekommen. Erklärt? Wirkliche Erklärungen bekamen wir von dem in angelesenen Phrasen sprechenden Führer nicht, denn vieles ist widersprüchlich gewesen. Aber mit jedem neuen Gebäude, das wir sahen, mit jeder weiteren Treppe, die wir bestiegen und mit jeder Minute, die wir verweilten, kamen neue Fragen auf. Fragen über Fragen.
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