Weil die Vorschrift auch auf diese spezielle Gruppe eine anwendbare Regel enthält, deren Besonderheiten aber nicht ausreichend berücksichtigt werden und sie deshalb den „verberuflichten“ Betriebsräten wegen des Sinn und Zwecks der Vorschrift nicht entspricht, besteht hier eine sog. „verdeckte“ Regelungslücke.287 Kennzeichnend für eine verdeckte Regelungslücke ist, dass es zwar scheinbar an einer anzuwendenden Regel nicht mangelt, es aber an einer Einschränkung bzw. einer Ausnahmeregel für die besonderen Fälle fehlt.288 Lücken in dem Gesetz müssen nicht offenkundig zutage treten. Sie können auch dadurch entstehen, dass trotz Vorhandenseins einer formellen Regelung, diese aufgrund einer „wesentlichen Veränderung der Verhältnisse aber offensichtlich nicht sachgerecht“ ist.289 So liegt es bei der uneingeschränkten Anwendung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes auf „professionalisierte“ Betriebsräte. Die speziellen Fälle haben sich aufgrund des Funktionswandels der Betriebsratsarbeit aber erst in den letzten Jahren herausgebildet, was bei Erlass des Gesetzes im Jahr 1972 – jedenfalls in der Form – so nicht vorhersehbar war. Daher spricht man hier von einer nachträglichen (verdeckten) Regelungslücke.290 Denn es haben sich erst nach längerem Bestehen des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes neue Fragen gestellt, die auf technische oder wirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sind und die dem Gesetzgeber bei Erlass der Vorschrift – entgegen seiner grundsätzlichen Regelungsabsicht – noch nicht präsent waren.291 Eine solche Gesetzeslücke ist dann durch Hinzunehmen der fehlenden Einschränkung auszufüllen.292
3. Teleologische Reduktion des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes
a) Einschränkung des Regelungsinhaltes
Eine planwidrige verdeckte Regelungslücke des Gesetzes, wie sie für die Fälle „verberuflichter“ Betriebsräte besteht, wird durch Hinzufügen der fehlenden Einschränkung anhand einer teleologischen Reduktion der Vorschrift ausgefüllt.293 Damit wird der Anwendungsbereich der grundsätzlich zu weit gefassten Regelung, deren Zweck bei einer bestimmten Sachverhaltsgruppe nicht mehr erreicht wird, entsprechend reduziert.294 Es muss ein so deutlicher Unterschied zu der eigentlich von der Regelung erfassten Fallgruppe bestehen, dass eine gleiche Beurteilung beider Sachverhalte nicht mehr gerechtfertigt erscheint.295 Erforderlich ist aber, dass es sich um eine abstrakt umschreibbare Fallgruppe handelt, die mit dem Gesetzeszweck und der gesetzlichen Grundkonzeption nicht mehr vereinbar ist.296 Ziel ist es dann, den Anwendungsbereich der Vorschrift – entgegen ihrem Wortlaut – so einzuschränken, dass sie auf die Fälle, die zwar grundsätzlich unter ihren Regelungsbereich fallen würden, aber mit dem Normzweck nicht (mehr) vereinbar sind, keine Anwendung findet.297
Die dargestellte Auslegung hat ergeben, dass in besonderen Fällen „verberuflichter“ Betriebsräte eine Gleichbehandlung mit den „normalen“ Betriebsräten im Betrieb im Hinblick auf die Vergütung nicht mehr sachgerecht ist. Im Ergebnis ist daher das Unentgeltlichkeitsprinzip des § 37 Abs. 1 BetrVG dahingehend einzuschränken, dass es nicht mehr unterschiedslos für alle Mandatsträger gilt, sondern eine Ausnahme für die Gruppe von „professionalisierten“ Betriebsratsmitgliedern zu machen ist. Das bedeutet aber nicht, dass das Betriebsratsamt in der Konstellation zu einem entgeltlichen Amt wird und diesen speziellen Mandatsträgern eine auf das Amt bezogene Vergütung zu gewähren wäre. Denn das auch weiterhin als Ehrenamt ausgestaltete Betriebsratsamt kann durch Auslegung nicht in einen Beruf gewandelt werden. Vielmehr darf nur dann, wenn die Auswirkungen auf diese speziellen Betriebsräte besonders groß sind, das bei der Entgeltbemessung grundsätzlich zu beachtende Unentgeltlichkeitsprinzip ausnahmsweise auf diese nicht angewendet werden. Das muss weiterhin Ausnahmecharakter behalten. Außerdem müssen dadurch im Grundsatz ermöglichte Zuwendungen noch an den weiteren Vergütungsvorschriften gemessen werden. Wie sich das auf die konkrete Vergütung eines Mandatsträgers auswirken kann, ist dann bei den jeweiligen einzelnen Vorschriften zur Festlegung der Vergütung zu prüfen. Denkbar wären unter anderem spezielle Ausgleichszahlungen, beispielsweise für besondere amtsbedingte Nachteile. Die Einschränkung einer Vorschrift kann aber auch mit der Erweiterung bzw. Ausdehnung des Anwendungsbereiches einer anderen Regelung einhergehen.298 In dem Zusammenhang könnten gegebenenfalls Normen, welche einen Ausgleich von finanziellen Nachteilen für Betriebsratsmitglieder vorsehen, auch auf den Ausgleich besonderer Leistungen und speziellen Mehraufwands von „professionalisierten“ Betriebsräten ausgedehnt werden.
Wichtig ist, dass es sich tatsächlich um einen solchen Ausnahmefall handelt. Dieser muss eindeutig festgestellt werden und nachvollziehbar sein. Zuletzt stellt sich deshalb die Frage, wann überhaupt von der Fallgruppe „verberuflichter“ bzw. „professionalisierter“ Betriebsräte ausgegangen werden kann und wie diese zu bestimmen ist.
b) Bestimmung eines „professionalisierten“ Betriebsratsmitgliedes
Problematisch ist, dass es sich bei den „professionellen“ Betriebsräten nicht um eine klar definierbare Gruppe handelt, die sich pauschal beurteilen lässt und für die das Gesetz generell mittels einer teleologischen Reduktion anzupassen wäre. Eine pauschale Beurteilung und Öffnung von § 37 Abs. 1 BetrVG für Betriebsräte mit besonderen Leistungsanforderungen wäre ebensowenig sach- oder interessengerecht wie von vornherein bestimmte Zahlungen als unzulässig abzulehnen, ohne die besonderen Umstände der heutigen Zeit und den Wandel der letzten Jahre mit einzubeziehen.
Allerdings lassen sich diese besonderen Fälle nur schwer anhand verlässlicher Kriterien einheitlich bestimmen oder festlegen. Denn nicht nur von Betrieb zu Betrieb ist der „Professionalisierungsgrad“ der jeweiligen Betriebsräte unterschiedlich fortgeschritten und verschieden stark ausgeprägt. Teilweise lassen sich auch große Unterschiede innerhalb des Gremiums, insbesondere hinsichtlich der verschiedenen Positionen einzelner Mandatsträger feststellen. Der Versuch einer Eingrenzung anhand vorgegebener Merkmale gestaltet sich schwierig. Allein beispielsweise die Eigenschaft eines großen Betriebes, etwa ab mehreren tausend Arbeitnehmern, bedeutet nicht, dass darin automatisch Betriebsräte überdurchschnittlich viel leisten (müssen) oder mehr Amtsaufgaben anfallen und somit „verberuflichte“ Betriebsräte zwingend existieren. Auch kann nicht pauschal bei voll freigestellten Betriebsräten im Gegensatz zu nur vorübergehend befreiten oder teilweise freigestellten Mandatsträgern auf eine qualitativ höhere Betriebsratstätigkeit geschlossen werden.299 Um nicht unangemessen über die gesetzliche Regelung hinauszugehen, müssen die Anforderungen vielmehr in jedem konkreten Fall einzeln beurteilt werden. Schließlich besitzen solche Fälle nach wie vor Ausnahmecharakter. Am besten gerecht wird man dem daher, wenn man eine Auslegung ausschließlich bei hinreichenden Anhaltspunkten für eine solche Professionalisierung oder Verberuflichung und nur für den konkreten Einzelfall vornimmt. Im Rahmen der Auslegung kann danach festgestellt werden, ob in der speziellen Konstellation eine Regelungslücke besteht und nur dann kann eine ausnahmsweise Einschränkung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes vorgenommen werden.
Zunächst müssen daher konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Fallgruppe bestehen, die eine andere Beurteilung und damit eine Auslegung im Einzelfall notwendig macht. Dabei ist zu betrachten, inwieweit eine „Verberuflichung“ bei dem jeweiligen Betriebsratsmitglied stattgefunden hat und wie weit der Professionalisierungsgrad bei ihm fortgeschritten ist. Anzeichen dafür können beispielsweise sein, dass ein Betriebsratsmitglied seit längerer Zeit für die Amtstätigkeit voll freigestellt ist und sich über Jahre hinweg ausschließlich anspruchsvollen Betriebsratsaufgaben widmet. Entscheidend ist, dass die Betriebsratsarbeit sich bei dem Einzelnen so weit entwickelt hat, dass sie mit einem eigenständigen Beruf vergleichbar ist und die Tätigkeit im Vergleich zu seiner früheren Arbeitstätigkeit sowie auch zu anderen Betriebsratsmitgliedern und vergleichbaren Arbeitnehmern im Betrieb deutlich anspruchsvoller zu bewerten und höher einzustufen ist. Relevant sind dabei vor allem besondere Qualifikations- und Leistungsgesichtspunkte und ob ein besonderer (Mehr-)Aufwand erforderlich ist. Dabei können auch sämtliche anderen Umstände, die für eine Professionalisierung des jeweiligen Betriebsratsmitgliedes sprechen, d.h. neben Tätigkeitsmerkmalen beispielsweise auch besondere persönliche und fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten bis hin zu sonstigen Belastungen und Erschwernissen berücksichtigt werden, wenn sie bei dem einzelnen Betriebsratsmitglied offensichtlich besonders ins Gewicht fallen. Je weiter fortgeschritten die Professionalisierung und je höher die Anforderungen an das jeweilige Betriebsratsmitglied sind, umso eher ist ein besonderer Fall anzunehmen, der dann eine Auslegung und Anpassung des Gesetzes zugunsten der „professionellen“ Betriebsräte erforderlich macht. Sind weder die Aufgaben noch die Tätigkeit in zeitlicher oder quantitativer Hinsicht für den Mandatsträger deutlich erhöht, rechtfertigt dies nicht eine andere Beurteilung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes. Es handelt sich hier um spezielle Ausnahmefälle aufgrund besonderer Umstände, die nicht zu leichtfertig angenommen werden dürfen.
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