1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Sie fragte Helmut, was er so verdiene mit seinem seltsamen Job.
Er zuckte mit den Achseln. „Nicht sehr viel. Doch komme ich zurecht. Ich kann nicht klagen.“
„Wie bist denn dazu gekommen?“
Er winkte ab, als sei ihm dieses Thema peinlich. „Durch einen komischen Zufall.“
„Schon wieder ein Zufall?“
„Na ja, das war wirklich einer. Ich hatte mal ein Modell, das eine Freundin hatte, die im Schloss arbeitete. Als ich ihr meine finanziellen Nöte klagte, damals hatte ich Grund zur Klage, sagte sie, dass ihre Freundin von den Klagen ihrer Chefin berichtet habe, die dringend einen stattlichen und halbwegs kultivierten Mann für eine etwas delikate Aufgabe suchte, wie sie sich ausdrückte. Tja, und so trat ich denn mit der Herrin in Kontakt, bekam den Job und mache das nun schon seit über drei Jahren.“
„Was für ein Modell hattest du denn?“
„Ein sehr hübsches, sie hieß Klarissa, war noch sehr jung …“
„Und wozu brauchtest du ein Modell?“ Das war die Frage, die sie eigentlich hatte stellen wollen.
„Na ja, für meine Bilder halt.“
„Für was für Bilder? Fotografien?“
„Nein, ich bin Maler.“
Ach. – Um ihm diese Auskunft zu entlocken, hatte es fast den ganzen Weg bis zum Schloss gebraucht. Nun ja, zwischen einem Maler und einem Alleinunterhalter lagen doch offenbar Welten. „Und was für Bilder malst du?“
„Kubistische und abstrakte“, erklärte er unerwartet konkret, während er das Auto in die Einfahrt des Schlosses lenkte. Das Tor hinter dem Turm schwang vor ihnen auf und sie rollten zum Personalparkplatz. „Aber schau sie dir doch einfach mal an nächste Woche.“
„Ja, das würde mich interessieren.“
Er parkte zwischen Corinnas Luxuslimousine und einem dunklen Mittelklassewagen. Sie stiegen aus und ihre Wege trennten sich. „Ich gehe außen rum.“ Seine Hand beschrieb einen halben Kreis und er lächelte schüchtern. „Ich rufe dich an … ich freue mich auf dich.“ Silvias Lächeln geriet verhalten. Nur keine Hoffnungen nähren, keine Träume schüren. Mit einem Winken stapfte er los, hinüber zum Mädchentrakt, um seine Sklavinnen zu beaufsichtigen. Wenn die wüssten, dass er nur ein einsamer Mann war, der vergebens nach der Liebe einer Prostituierten lechzte, vielleicht würde ihr Respekt vor ihm schrumpfen oder (bei genauerer Überlegung) ihre Angst noch wachsen.
Vom Reiz der Zöpfe
Es gab kein ernstliches Grübeln darüber, ob sie den Abend im Zimmer oder unten verbringen sollte. Hier oben herrschte Einsamkeit, dort unten Leben. Beim Betreten des Foyers war sie weniger nervös als gestern, es war kein fremdes Land mehr, das sich vor ihr auftat, allerdings auch kein vertrautes Terrain, noch lange nicht. Immerhin aber kannte sie schon einige Orientierungspunkte. Einer der wichtigsten war Immanuel, der Barmann, Kassenwart, Organisator. Doch war er noch mehr als das, nämlich Wächter über die Liebeszimmer und Beschützer der Mädchen. Über seiner Flaschenbatterie, verborgen von der hohen Blende und nur von seinem Platz hinter dem Tresen einsehbar, gab es eine Reihe von Monitoren, für jedes Zimmer einen, so erfuhr Silvia von Monika, die heute Dienst hatte. Er wusste also über das Geschehen in den Zimmern stets Bescheid und konnte bei Bedarf den Mädchen zu Hilfe eilen, was aber, so lautete der beschwichtigende Zusatz, so gut wie nie nötig sei.
Ihr Wort in Gottes Ohr. Auf jeden Fall aber wurde man ständig von Immanuel beobachtet wie bei „Big Brother“, nur bei viel verfänglicheren Szenen, ein höchst befremdliches Gefühl. Aber wozu das überhaupt, denn gab es nicht unter jeder Ecke der Betten einen Alarmschalter für alle Fälle? Das hatte Annemarie gestern behauptet.
Monika nickte. „Ja, die gibt es. Aber nicht immer kann man sie erreichen, manchmal ist man gefesselt oder wird festgehalten.“ Wie abwesend zupfte sie den Hauch von Stoff ihres roten Negligés über dem üppigen Busen zurecht.
Tja, so war es wohl. Manchmal war man gefesselt … „Dann wird Immanuel also Tag für Tag ein aufregendes Programm geboten. Macht es ihm nichts aus, immer nur zuzugucken, staut sich da nicht etwas an?“
„Manche vermuten, dass er ein Heiliger sei. Andere halten das für unmöglich, da er ein Mann ist und Mann und heilig sich ausschließen. Auf jeden Fall aber ist er nie anzüglich, lässt nie etwas verlauten von dem, was er sieht, ist immer höflich und hilfsbereit. Woher er seine Seelenruhe nimmt, ist sein Geheimnis.“
„Also doch ein Heiliger, wenn auch ein seltsamer.“
An diesem Abend blieb mehr Zeit zum Plaudern als gestern, da es weniger Gäste, dafür mehr Mädchen gab. Auch Annemarie und Danielle waren hier, freiwillig heute wie Silvia, dazu kamen die vier, die eingeteilt waren: Monika, Laura und zwei, die Silvia noch nicht kannte. Nicole hieß die eine, sie war eine unkomplizierte stupsnäsige Jurastudentin mit langem blondem Haar, die hier im Hause ihre Ausbildung finanzierte und niemals außerhalb der festgesetzten Tage erschien. Auch die andere, Juliane, war blond, ein keckes Mädchen mit glockenheller Stimme, ein Teenager fast noch. Suchte ein Gast nach einer Lolita, wandte er sich an sie, ließ sie das Haar zu Zöpfen flechten oder zu einem Pferdeschwanz binden und entzückte sich an ihrer kindlich süßen Sprache, die sie perfekt beherrschte. Sie musste über Mangel an Zuspruch nicht klagen.
Auch heute war sie gefragt, allerdings sah sie wenig glücklich aus, als ein korpulenter Herr im dunklen Anzug das Foyer betrat und ihr väterlich zuwinkte. Ohne dass er ein Wort zu ihr sagen musste, ging sie in die Garderobe und kam wenig später in einem weißen Hemdchen und mit einer rosa Schleife im Haar zurück. Er schaute sie wohlwollend an, reichte Immanuel das Geld, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr in eines der Zimmer.
„Einer ihrer Stammkunden“, sagte Laura. „Er kommt jeden zweiten Mittwoch. Sie muss sich auf seinen Schoß setzen und er liest ihr Geschichten vor, befummelt sie dabei und will sonst nichts von ihr. Sie sagt, dass sie bei ihm irgendwann noch umkomme vor Langeweile.“
„Man darf sich über die Psyche der Kunden keine Gedanken machen, nicht wahr?“, fragte Silvia.
„Nein, auf keinen Fall.“
Die Psyche der Kunden … Kaum sichtbar schimmerten auf Lauras Po die rötlich blassen Linien unter dem transparenten Schwarz des Gewandes hervor. Auch Silvias Peitschenspuren waren unter dem Schleier ihres blauen langen Negligés leicht zu erkennen, teilten ihr Schicksal jedem Betrachter freimütig mit. Warum verblassten sie nur so zögernd? – Aber sie waren ja noch frisch, fiel ihr ein, erst wenige Tage alt, obgleich sie doch aus einer versunkenen Welt und einer längst vergangenen Zeit stammten. Wie weit dieses Wochenende zurücklag, fast konnte sie sich nicht mehr daran erinnern. Wolfgang, ihr Gebieter, war Vergangenheit, eine Gestalt aus dem persönlichen Geschichtsbuch, als das ihr Tagebuch fungierte. Seine Verächtlichkeit und seine Wut waren nur noch nachzulesen, nicht mehr zu erleiden, welch ein Segen.
Was hatte Laura eigentlich hierher ins Haus geführt, etwa auch ein Gebieter, der zum Tyrannen geworden war? Vorsichtig fragte Silvia an.
Laura zuckte mit den Achseln. „Als ich nach der Zeit im Mädchenhaus wieder heimkam, begann mich mein Freund als Einnahmequelle zu entdecken und arrangierte Treffen mit Bekannten von ihm. Es war schrecklich, ich kannte sie doch alle, und plötzlich konnten sie mich haben, sie mussten nur bezahlen. Ich wollte eigentlich nicht …“
Sie unterbrach sich, überlegte anscheinend, ob sie weitersprechen könne oder ob ihre Offenbarung fehl am Platze sei. Aber sie befanden sich hier im Foyer und es gab die Striemen auf Silvias Haut, die sie mit ihr verknüpften.
„Na ja, so ganz ohne Reiz war es nicht … Jedenfalls ließ ich es zu, dass er mich mit der Peitsche dazu zwang, war vielleicht sogar froh darum, denn wie anders hätte ich diese seltsam erregenden Gefühle erleben können? Auch seine Freunde durften mich peitschten, gegen Aufpreis natürlich, und auch sonst alles mit mir machen. Schließlich bot er mich sogar seinem Bruder an, der aber erklärte ihn für verrückt und mich für verachtenswert. Auch Siegfried, so hieß mein Freund, begann mich zu verachten, weil ich das tat, was er von mir verlangte, und gleichzeitig gab er seinen Job auf, um nur noch von mir zu leben. Da soll noch jemand behaupten, dass Männer logischer denken als Frauen. Die Zahl der Interessierten nahm zu, da seine Freunde wiederum ihre Freunde einweihten, ich musste jetzt jeden Tag mehrere Freier bedienen und Siegfried behandelte mich immer rücksichtsloser, schlug mich beim geringsten Anlass und gebrauchte mir gegenüber nur noch gemeine Worte. Ich wollte ihm klarmachen, dass es so nicht weitergehen könne, doch war seine Antwort die Peitsche. Ich hielt es nicht mehr aus, es war einfach zu viel, war kein Spiel mehr, sondern bitterer Ernst. Ich wusste, dass ich ihn nicht einfach verlassen konnte, dass er mich suchen würde, ich hätte zur Polizei gehen müssen. – Aber dort meine Geschichte erzählen? Nein, unmöglich. Also wandte ich mich an die Herrin, an Corinna, und sie bot mir Schutz an. Tja, das war vor einem Dreivierteljahr, seither bin ich hier und fühle mich recht wohl.“
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