Abb. 10 Cannabis in Leonhart Fuchs' Kräuterbuch von 1543
2.1.6 Kritische Auseinandersetzung
Das alles ist jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss, denn „jede Klassifizierung ist eher semantischer als wissenschaftlicher Natur, und Daten können von den einzelnen Taxonomikern unterschiedlich interpretiert werden. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass morphologische Merkmale bei der Unterscheidung einzelner Varietäten, Sorten oder Arten unser wichtigster Schlüssel sind, und dass die Anpassung an abiotische Bedingungen die Phänotypen festlegt“ (Clarke 1997).
Trotz aller Uneinigkeit, was die taxonomische Klassifizierung von Cannabis angeht, handelt es sich bei der alten Annahme, dass Cannabis sativa ausschließlich Faserhanfpflanzen hervorbringe und Cannabis indica den psychoaktiven Hanf, um einen Irrtum.
Der Hanf ist ein Fremdbefruchter und Windbestäuber und eine sogenannte sommeranuelle Kurztagspflanze. Als zweihäusige (diözische, also getrenntgeschlechtliche) Pflanze bringt Cannabis sowohl weibliche wie auch männliche Exemplare hervor. Manche Formen des Hanfes sind dagegen einhäusig (monözisch, also zwittrig), was eine Frage des entsprechenden Erbguts ist. In diesem Fall sind an einer Pflanze Blütenstände beider Geschlechter zu finden.
2.2.1 Geschlechtsdetermination
Weibliche diözische Pflanzen prägen Blütenstände (pistillate oder Stempelblüten) in den Blattachseln aus, die dicht und gedrungen wachsen und in Form von Scheinähren erscheinen, wohingegen die Blüten männlicher diözischer Exemplare (staminate oder Staubblüten) in bis zu 30 Zentimeter langen Rispen wachsen und dünn, locker und vielverzweigt aufgebaut sind.
Weiblicher Flor bildet sich paarweise an den Blattknoten und erscheint in Form von zwei länglichen, weißlichen, gelben bzw. rosa Narben, die aus dem mit harzigen Drüsenhaaren besetzten Blütenkelch (Calyx) hervorragen.
Der mit Pflanzenhaaren (Trichomen) besetzte Calyx des männlichen Flors besteht aus fünf weißlichen, gelben oder grünen, etwa fünf Millimter langen Kelchblättern, die herunterhängen und fünf aus Pollensäcken (Antheren) bestehende Staubgefäße (Stamina) umschließen, die ebenfalls ungefähr fünf Millimeter lang sind.
Bei monözischen Cannabispflanzen entstehen die weiblichen Blütenstände übrigens an den Spitzen von Seitentrieben, was ein sicheres Unterscheidungsmerkmal darstellt. Männlicher Flor monözischer Hanfpflanzen entspringt dagegen den Blattachseln (vgl. Abb. 11-13).
Abb. 11 Männliche Cannabisblüte
Abb. 12 Weibliche Blüte einer sativalastigen Cannabissorte (Foto: Markus Berger)
Abb. 13 Weibliche Blüte einer indicalastigen Cannabissorte (Foto: Markus Berger)
Der einjährige Hanf ist eine krautige und schnellwüchsige Pflanze und kann je nach Art, Standort und Ausprägung bis zu sechs Meter hoch wachsen. Unter günstigen klimatischen Bedingungen kann eine Cannabispflanze bis zu sieben Zentimeter am Tag wachsen.
Die radiäre Wurzel bildet zahlreiche Ausläufer (Neben- und Seitenwurzeln) und wächst in mineralischem Boden bis zu zwei Meter tief.
Der Stengel der Cannabispflanze ist hohl, wird bei ausgeprägtem Wachstum bis zu 20 (30) Millimeter dick und bildet sich im Jugendstadium zunächst in viereckiger Form aus. Im Laufe des Wachstums ändert der Stengel seine Form hin zu sechseckig, wobei er an Spitze und Basis rundlich erscheint. Die Rinde des Hanfstengels ist Lieferant der strapazierfähigen und industriell nutzbaren hochwertigen primären Hanffasern, die vielseitig verwendet werden. Die sekundären Hanffasern bilden sich aus dem Kambium (Teilungsgewebe).
Bei den Samen der Hanfpflanze handelt es sich um ovale Nüsse, die aus einsamigen Fruchtknoten entstehen und in verschiedenen Farben erscheinen können (vgl. Abb. 14); von hell oder cremefarben bzw. gelblich bis orangefarben bis hin zu braun, grau und schwarz. Zuweilen weisen die Samenkörner eine Marmorierung auf. Dabei müssen die Samen auch an einer einzigen Pflanze nicht homogen erscheinen, sondern können von der Färbung und Textur her variieren. Verantwortlich für das unterschiedliche Aussehen von Hanfsamen sind unter anderem anthocyanhaltige Moleküle, die in Palisadenzellen oder subepidermalen Schichten des Saatguts entweder anwesend sind oder fehlen.
Abb. 14 Samenkörner einer Marihuanapflanze
Die typischen Blätter des Hanfes erscheinen mit fünf bis elf Blattfingern, die am Rand gezahnt sind und lanzettförmig wachsen. Je nach Art und Form der Pflanze sind die Blattspreiten (Lamina) entweder eher breit, ausladend und von dunkelgrüner Farbe (Richtung indica ) oder schmaler und eher länglich und von hellgrüner Färbung (Richtung sativa ). Beim ersten, dem Samen entspringenden Blattpaar handelt es sich um die Keimblätter (Kotyledonen), bevor das erste echte Blattpaar erscheint. Dieses besteht aus jeweils einem Einzelblättchen oder Blattfinger, gefolgt von einem Blattpaar mit je drei Fingern. Anschließend bilden sich Blätter mit fünf Blattfingern und so weiter. Bis zu elf solcher Einzelblättchen kann ein Hanfblatt schließlich aufweisen. Zuweilen kann bereits das erste echte Blattpaar, das auf die Kotyledonen folgt, drei Einzelblättchen aufweisen, gefolgt von einem weiteren mit fünf Blattfingern und so weiter.
Cannabis unterliegt verschiedenen Wachstumszyklen, so zunächst der vegetativen Phase, in der die Vegetationsorgane ausgebildet werden. Der vegetativen Phase folgt die generative, auch reproduktive Phase, die der Sicherung der Fortpflanzung dient. Der richtige Reifepunkt einer Pflanze hängt von diversen Parametern ab, zum Beispiel von der Photoperiode (Tageslänge), vom Alter der Pflanze und weiteren Umwelteinflüssen. Nach etwa zwei Monaten in der vegetativen Wachstumsphase ist die Hanfpflanze für die Blüte bereit. Wenn nach dem 21. Juni die Tage wieder kürzer werden, geht die Pflanze in die Blütephase über. Während der Blüte weisen neu austreibende Blätter weniger Einzelblättchen auf, sind die Blütenstände vollständig ausgeprägt, wachsen nur noch kleine Blätter mit drei oder auch nur einem Blattfinger nach. Nach der Blüte setzt schließlich ein Alterungsprozess (Seneszenz) ein, bei dem die Blätter nach und nach vergilben und abfallen, und der mit dem Tod der Pflanze endet. Weibliche Pflanzen leben dabei bis zu drei Monate länger, um noch ihren Samen produzieren zu können. Männliche Pflanzen blühen hingegen schneller und geben ihren Pollenstaub frei.
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