Bislang wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen knapp über eine Million Fälle von Histaminintoleranz festgestellt, das entspricht rund einem Prozent der Bevölkerung. Die Dunkelziffer ist jedoch vermutlich deutlich höher: Nach jüngsten Hochrechnungen und Studien sollen in Europa zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung von Histaminintoleranz betroffen sein. Dies entspricht rund hundert Millionen Menschen. Weit über die Hälfte der Betroffenen sind Frauen mittleren Alters. Als eine Ursache hierfür vermutet man einen verringerten Histaminabbau durch den im mittleren Alter veränderten Hormonhaushalt.
Ursachen für ein Ungleichgewicht zwischen Histamin und Diaminoxidase
Ein Ungleichgewicht zwischen Histamin und dem abbauenden Enzym Diaminoxidase (DAO) im Darm – wie es für Histaminintoleranz typisch ist – kann folgende Ursachen haben:
individuell zu hoher Verzehr histaminreicher Lebensmittel,
Verzehr von Lebensmitteln, die das körpereigene Histamin freisetzen (Histaminliberatoren),
Einnahme enzymhemmender Faktoren (Medikamente, Alkohol),
Verzehr von Lebensmitteln, die einen hohen Gehalt an anderen biogenen Aminen wie Putrescin, Cadaverin, Spermin oder Spermidin haben, die vom gleichen Enzym DAO bevorzugt abgebaut werden, wodurch sich der Abbau von Histamin verzögert, sowie von Lebensmitteln mit hohen Gehalten der biogenen Amine Serotonin, Tyramin oder Phenylethylamin, die bei empfindlichen Personen ebenfalls Beschwerden verursachen können,
Magen-Darm-Infektion, bei der die Aktivität des Enzyms vorübergehend verringert ist (bei Magen-Darm-Infektionen ist meist die Dünndarmschleimhaut, von der das Enzym vor allem produziert wird, in Mitleidenschaft gezogen),
Enzymdefekt (angeboren – sehr selten).
Dieses Buch geht auf die vier erstgenannten und wesentlichen Aspekte für eine Histaminintoleranz ein, denn in diesen Fällen kann eine diätetische Lebensweise erfolgreich greifen und histaminbedingte Beschwerden lindern, sogar ein Leben vollständig frei von histaminbedingten Beschwerden ermöglichen.
Die Symptome der Histaminintoleranz ähneln zwar denen einer Allergie, die Histaminintoleranz ist jedoch keine Allergie, sondern eine nichtimmunologische Nahrungsmittelunverträglichkeit. »Nichtimmunologisch« meint, dass der Körper keine Antikörper gegen das Histamin bildet. Histaminintoleranz kann auch Folge oder Begleiterin anderer Unverträglichkeiten wie Laktoseintoleranz und Fruktosemalabsorption oder Allergien sein.
Histaminintoleranz und Allergien
Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem empfindlich gegenüber bestimmten Eiweißbestandteilen, beispielsweise von Nahrungsmitteln oder Blütenpollen, und bildet Antikörper gegen diese als Fremdkörper wahrgenommenen Bestandteile. Diese Antikörper lösen dann bei Kontakt oder Aufnahme die Beschwerden aus und lassen sich im Blut der Betroffenen nachweisen.
Ursachen für eine Unverträglichkeit wie Histaminintoleranz sind hingegen ein Enzymdefekt oder Enzymmangel, die es dem Körper unmöglich machen, bestimmte Nahrungsmittel vollständig zu verdauen. Bei Histaminintoleranz handelt es sich also nicht um eine Allergie, sondern um eine Unverträglichkeit mit einem allergieähnlichen Beschwerdebild – eine sogenannte »Pseudoallergie«. Bei einer Allergie können bereits kleinste Mengen des Allergens Beschwerden auslösen – theoretisch reichen hierfür einige Moleküle aus. Im Unterschied dazu hängt der Schweregrad der Reaktion bei einer Pseudoallergie oder Unverträglichkeit, also auch bei Histaminintoleranz, von der individuell verträglichen Dosis der unverträglichen Substanz, beispielsweise Histamin, ab. Diese Schwelle muss jeder Betroffene selbst für sich herausfinden. So verursacht der Parmesan auf dem Nudelgericht bei dem einen Betroffenen möglicherweise keinerlei Probleme, bei einem anderen Betroffenen kann er jedoch zu großen Beschwerden führen.
Histamin kann auch bei Allergikern zu (zusätzlichen) Unverträglichkeitssymptomen führen, daher sollte jeder Nahrungsmittel-, Pollen- oder Hausstauballergiker daran denken, wenn er (weitere) Unverträglichkeiten auf Nahrungsmittel feststellt, und sich auf eine mögliche Histamin-Unverträglichkeit untersuchen lassen.
Symptome der Histaminintoleranz
Viele kennen bis heute nur die Symptome, nicht aber die Krankheit: Häufig leben die Betroffenen mehrere Jahre mit den Beschwerden des sogenannten »Reizdarmsyndroms« und dem Glauben, daran könne man nichts ändern. Als Reizdarmsyndrom (RDS) werden Magen-Darm-Beschwerden bezeichnet, denen keine organische Erkrankung zugrunde liegt. Es kommt nicht selten vor, dass fälschlicherweise RDS diagnostiziert wird, weil die tatsächliche Ursache nicht erkannt wird.
Wenn keine chronische Krankheit wie Morbus Crohn vorliegt, ist meist eine Lebensmittelunverträglichkeit oder Lebensmittelallergie Ursache der zunächst unerklärlichen Probleme bei fälschlich diagnostiziertem Reizdarmsyndrom. Ob Fruktose-, Laktose- oder eben Histamin-Unverträglichkeit – sobald die Ursache erkannt ist, kann auch ein Weg aus den Beschwerden gefunden werden. Dabei hilft eine spezielle diätetische Lebensweise, zu der in diesem Buch Hilfestellung gegeben werden soll.
Besonders typische Symptome einer Histaminintoleranz sind – je nach aufgenommener Histaminmenge und Empfindlichkeit – Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, Blähungen, Bauchschmerzen oder Magenstechen. Ebenfalls häufig stellen Betroffene das Anschwellen der Nasenschleimhäute fest. Mögliche weitere Symptome reichen von Schwellungen der Augenlider, Halsschmerzen, Hautrötungen, Hitzewallungen und Juckreiz über leichte Kopfschmerzen und Zyklusstörungen bis hin zu Schwindel (oft jedoch mit stabilem Blutdruck), Migräne- und Asthmaanfällen, Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen, Wassereinlagerungen, Schleimhautreizungen der weiblichen Geschlechtsorgane und allgemeinen Erschöpfungszuständen.
Auch der Sekundenschlaf beim Autofahren und Apnoe in der Nacht können manchmal auf eine Histaminintoleranz zurückzuführen sein, da sie Folgen einer Nasenschleimhautschwellung sein können. Nicht abgebautes Histamin im Magen-Darm-Trakt kann auch zu einem scharf brennenden Geschmack auf der Zunge führen, den viele Partner von Betroffenen als eigenartigen Mundgeruch wahrnehmen.
Auch die Seekrankheit könnte nach Meinung einiger Wissenschaftler durch Histamin-Unverträglichkeit verstärkt oder ausgelöst werden, da die Seekrankheit mit einer erhöhten Histaminausschüttung im Gehirn einhergeht, die bei Histaminintoleranz Probleme bereiten kann. Wem auf See, im Auto oder im Flugzeug leicht übel wird, kann demnach durch den Verzehr histaminarmer Nahrung vorbeugen. Auch Vitamin-C-reiche Nahrung kann in diesen Fällen hilfreich sein, da Vitamin C den Histaminabbau fördern soll (siehe Seite 37).
Da sich die Histaminabbaustörung meist in den mittleren Darmabschnitten (Duodenum, Jejunum und Ileum) manifestiert, können die Symptome häufig nur schwer mit dem zeitnah verzehrten Essen in Verbindung gebracht werden. Die Probleme können oft auch erst mehrere Stunden nach dem Essen auftreten. Die Frage, wann nach einer Mahlzeit typischerweise Beschwerden auftreten und wann sie wieder abklingen, lässt sich nicht so leicht beantworten. Dies hängt beispielsweise von der individuellen Verträglichkeitsschwelle und »Tagesform«, von den verzehrten Lebensmitteln, den Mengen und Kombinationen der Lebensmittel ab. Es empfiehlt sich, ein Ernährungstagebuch zu führen, um herauszufinden, was wann in welchen Mengen und Kombinationen Probleme verursacht (siehe Seite 26).
Auch die Esssituation und das Lebensumfeld sollten Sie im Hinblick auf die Verträglichkeit der verzehrten Lebensmittel nicht außer Acht lassen: Stress und rasch im Gehen heruntergeschlungenes Essen können den Verarbeitungsvorgang im Darm stören und zusätzlich die Verträglichkeit der Nahrung erschweren. Entspannung und eine gute Einspeichelung der Nahrung durch gründliches Kauen entlasten den Darm und können sich positiv auf die Verdauung auswirken.
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