»Was habt ihr herausgefunden?«
»Beide Männer sind sehr groß. Zwischen 30 und 40 Jahre alt. Gesprochen hat nur der im Rollstuhl. Er hat vermutlich einen slawischen Akzent. Alle Opfer haben ausgesagt, dass er stark nach Knoblauch roch. Mehr haben wir nicht. Hier ein Foto von einem Reifenabdruck des Rollstuhls. Das ist alles.«
»Seid ihr an dem Fall noch dran?«
»Ehrlich gesagt: nein. Wir sind da nicht weitergekommen. Ich habe zu wenig Leute.«
»Kannst du mir die Akten überlassen, vielleicht hilft es ja bei unserem Fall.«
»Kein Problem, aber ich seh wenig Parallelen. Wir haben zwei Täter, wobei einer wirklich auf den Rollstuhl angewiesen ist. Einer von ihnen stinkt extrem nach Knoblauch. Außerdem haben die Zeugen den Mann im Rolli nie als brutal beschrieben. Das hört sich nicht nach einem eiskalten Mörder an.«
»Klingt logisch, aber wir sind noch am Anfang. Nichtsdestotrotz sprechen alle Opfer davon, dass der Mann einen slawischen Akzent hat«, stellte Steinböck fest.
»Sorry, ich muss los«, brummelte Bachstenzel und erhob sich. »Ich wünsch dir viel Glück mit deiner Tamara. Vielleicht macht sie dir ja noch ein paar Pfifferlinge.«
*
Gegen 15 Uhr trafen sich alle drei wieder im Büro. Steinböck reichte Mayer junior die Akten von Bachstenzel.
»Geh, Emil, schau dir die mal durch und vergleich des mit der Aussage von der Silke Maucher.«
»Es gibt da ein Problem«, druckste Emil herum.
»Worum geht’s?«
»Ich bin befangen.«
»Und?«, fragte Steinböck weiter. Mayer junior zögerte und schaute Hilfe suchend Ilona an.
»Jetzt erzähl’s ihm schon.«
»Ich kenn die Silke Maucher von früher.«
»Na und, wie lang ist des her?«
»Ungefähr zehn Jahre.«
»Und deshalb willst du dich aus dem Fall rausnehmen?«
Emil nickte.
»Spinnst jetzt? Ich kenn den Bruchmayer schon seit 40 Jahren, und er platzt mir alle paar Monate in meine Ermittlungen rein. Hab ich mich deswegen schon mal aus einem Fall rausgenommen?«
»Du wolltest den Bruchmayer aber nie heiraten.«
Steinböck schaute verdutzt und amüsiert zugleich. »Des stimmt allerdings. Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
»Warum eigentlich nicht? Gleichgeschlechtliche Ehen sind jetzt sogar in Bayern möglich«, bemerkte Frau Merkel höhnisch.
»Wie gesagt, vor zehn Jahren.«
»Hast du seither auf andere Art Kontakt mit ihr gehabt?«
Emil schüttelte den Kopf.
»Und möchtest du sie jetzt heiraten?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Also, dann mach deine Arbeit. Und wenn dir des was hilft, führen Ilona oder ich eventuelle weitere Befragungen der Frau Maucher durch. Falls du weiteren privaten Kontakt mit ihr haben möchtest, wartest halt, bis die Sache abgeschlossen ist. So, und jetzt erzählts mal, was die Zeugin ausgesagt hat.«
*
Ohne eine Miene zu verziehen, ließ sich der Mann mit dem Schnauzbart von dem Justizbeamten abtasten.
»Er ist sauber«, sagte dieser und übergab ihn an seinen Kollegen, der ihn in den Besucherraum führte. An zwei Tischen saßen bereits Personen, die sich angeregt unterhielten. Ein älterer Mann mit einem grauen Bürstenhaarschnitt hatte sich weit weg von den anderen in der hintersten Ecke niedergelassen. Sein rechter Fuß war an einem der Tischbeine angekettet. Der Mann mit dem Schnauzer ging auf ihn zu und küsste ihm ehrfürchtig die Hand. Dann setzte er sich nieder und der Grauhaarigen ergriff seine Hände.
»Ned ohlanga«, knurrte der Justizbeamte.
»Und, verläuft alles nach Plan?«, flüsterte der Alte und zog seine Hände zurück.
»Ja, du kannst dich auf uns verlassen.«
»Und warum bist du dann heute schon hier?«
»Es ist wegen Milan. Du musst mit ihm reden.«
Das Gesicht des Älteren verzog sich zu einer Grimasse. »Was ist es diesmal?«
»Er hält sich nicht an deine Anweisung. Er macht Geschäfte auf eigene Faust. Er gefährdet unseren Plan.«
»Erzähl es mir«, flüsterte der Ältere.
Der Mann mit dem Schnauzbart beugte sich nach vorne und verbarg seinen Mund hinter der hohlen Hand, während er Bericht erstattete.
Das Gesicht seines Gegenübers wurde immer ernster. Schließlich sagte er: »Ich möchte, dass er zu mir kommt.«
Der Mann mit dem Schnauzer erhob sich und wieder küsste er dem Alten zum Abschied die Hand. »Ich werde es ihm ausrichten«, murmelte er und verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Raum.
*
Als Steinböck am späten Nachmittag zu Hause ankam und seinen Einkaufskorb aus dem Wagen holte, begegnete ihm eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die ihm freundlich zulächelte.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Morana, die Nichte von Aurelia, und wohne gerade bei ihr. Sie sind bestimmt der berühmte Kommissar.«
Steinböck fühlte sich zwar ein bisschen gebauchpinselt, aber Komplimente von so jungen hübschen Mädchen waren ihm meistens suspekt. »Da hat die Aurelia wohl stark übertrieben, trotzdem herzlich willkommen bei uns im Haus.«
Sie lächelte kokett und verschwand mit ihren prall gefüllten Einkaufstüten durch die Haustür. Steinböck nahm den Weg über die Wiese zum Wintergarten, dessen Tür wie immer offen stand. Frau Merkel hatte bereits am Supermarktparkplatz den Käfer verlassen, um auf ihren eigenen Wegen nach Hause zu kommen. So überraschte es ihn nicht, dass sie bereits vor dem neuen Fernseher hockte und einen Film ansah.
»Ist des jetzt Internet oder Fernsehen?«, wollte er wissen, während er den Korb mit den Einkäufen auspackte.
»Genial, die Fernbedienung hat eine YouTube-Taste. Unbeschreiblich, was für einen Mist sie dort zeigen.«
»Warum schaust du dir den Schmarren dann an?«
»Man muss schließlich auf dem Laufenden bleiben, was sich die Kiddies so reinziehen. Auch dir würde es ganz guttun, wenn du wenigstens etwas Ahnung davon hättest, was in der digitalen Welt vor sich geht.«
»Dafür hab ich ja dich«, stellte er lapidar fest und füllte die Katzenschüssel mit Trockenfutter.
»Denk daran, alter Mann, ich kann nicht immer auf dich aufpassen«, antwortete sie, sprang auf den Boden und schnupperte am Futter. »Heute keinen Thunfisch?«, fragte sie verschnupft.
»Du schimpfst doch dauernd, dass die Meere überfischt sind. Also beklag dich nicht.«
»Und was isst du heut Abend, nachdem du bereits einen veganfreien Schweinebraten verdrückt hast?«
»Ich denk, ich werd mir ein paar Steinpilztortellini aufwärmen, dazu ein feines Bärlauchpesto. Wie du siehst, absolut vegetarisch«, schmunzelte der Kommissar und verschwand in den Wintergarten. Dort hockte er sich in seinen Korbsessel, legte die Füße auf der Topfkante der Marihuanapflanze ab und drehte sich eine Zigarette.
Er ließ den neuen Fall noch einmal an sich vorüberziehen. Handelte es sich wirklich um dieselben Täter wie bei diesen Raubdelikten? Silke Maucher hatte nur von einem Täter gesprochen, der laufen konnte und den Rollstuhl vermutlich benutzte, um die Opfer in Sicherheit zu wiegen. Anders bei Bachstenzels Überfällen. Dort waren es eindeutig zwei Täter, von denen einer immer im Rollstuhl saß. Vielleicht ergab der Vergleich der beiden Rollstuhlprofile etwas Neues. Viel mehr Sorgen machte ihm Mayer junior. Ihr Team war zu klein, um ohne ihn zu arbeiten. Andererseits: Sollte sich herausstellen, dass Frau Maucher mehr als nur Opfer war, müsste er ihn wohl oder übel von dem Fall abziehen.
Steinböck entschied nach einem kurzen Blick zur Uhr, sich etwas zu essen zu machen. Es war weniger der Hunger als die ungewohnte Ruhe, die ihn dazu brachte, den Wintergarten zu verlassen. Frau Merkel schaute um diese Zeit ihre Quizsendung, und ihr ständiges Gemecker über Elton war normalerweise unüberhörbar. Umso erstaunter war der Kommissar, als er sie im Wohnzimmer schweigend auf der Couch entdeckte, wo sie einem jungen Mädchen im Fernsehen zusah, die sich gerade Silberpapier in die Haare eindrehte. Kopfschüttelnd ging Steinböck weiter in die Küche. Jetzt spinnt sie komplett, dachte er und machte sich, während er das Essen zubereitete, ernsthafte Sorgen. Irgendetwas war da, was ihn beunruhigte und durch seinen Kopf schwirrte. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er stolperte fast über die Türschwelle, als er ins Wohnzimmer zurückeilte.
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