1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Ihm ist noch nicht klar, was er überwinden soll – Kreuz oder Parteibuch.
Bei einer Rede gibt es Probleme: Der Präsident der Akademie der Wissenschaften möchte den Mitarbeitern gern zu Ostern gratulieren, doch er ist in den letzten Minuten verwirrt, und ihm entfährt eine stilistisch und historisch fragwürdige Phrase: »Ich gratuliere euch zur Auferstehung des Herrn Jesu, Genossen.«
Der orthodoxe Patriarch denkt sich neue Namen für die getauften Kommunisten aus. »Mit neuem Namen in ein neues Leben.«
Bis zum Zerfall der Sowjetunion bleiben ein paar Monate.
Schon ist allen alles erlaubt.
Das erste Jahr der Unabhängigkeit. Präsidenten
1990 begann ich auf einmal mit der Stimme des ehemaligen Sekretärs des Zentralkomitees Georgiens und sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse zu sprechen.
Eines schönen Tages gab ich einige für ihn typische Phrasen mit verblüffend ähnlicher Tonlage von mir und krümmte den Daumen genau so, wie er es immer tat.
Danach, als ich annahm, ich spräche wieder mit meiner eigenen Stimme, erhielt ich plötzlich ein Kompliment von meinem Zuhörer: »Verblüffende Ähnlichkeit! Los, sag noch was!« Wegen meiner (und seiner ) Stimme wurden meine Eltern mit mir zusammen auf Geburtstage eingeladen und vereinbarten im Voraus, dass ich mit meiner »berühmten Stimme« sprechen würde. Ein Verwandter, der zu Zeiten Eduard Schewardnadses als Sekretär des Zentralkomitees fünfzehn Jahre im Gefängnis gesessen hatte, setzte sich gleich bei seiner Entlassung mit meiner Großmutter in Verbindung und bat sie, zusammen mit der ihm verhassten berühmten Stimme zu einer Fete anlässlich seiner Freilassung aus dem Gefängnis gehen zu dürfen. Der Exhäftling (der sich wegen im Straflager üblicher Foltermethoden ein für alle Mal abgewöhnt hatte, im dunklen Zimmer zu schlafen – es musste immer eine Glühlampe brennen) flüsterte mir den ganzen Abend ein und dasselbe zu, ich sollte mit jener Stimme jene Worte sagen, die für einen kommunistischen Regierungschef völlig unpassend waren: »Hoch lebe die Unabhängigkeit Georgiens, nieder mit der Sowjetunion, Gorbatschow hat ein Muttermal auf dem Kopf, du musst auf mich spucken, das habe ich verdient.«
Ich habe völlig verdrängt, warum ich mit dieser dermaßen angesagten Stimme und Mimik auf der Bühne eines Saals mit zweitausend Leuten landete. Vielleicht hätte Eduard Schewardnadse einen Volksschauspieler aus mir gemacht, wenn meine Eltern nicht protestiert hätten, vor allem mein Vater, der mir mit Herrn Macharadse kam, ein Idol jener Imitatoren der Epoche, die sich eher durch Zurückhaltung hervortaten. Macharadse wage es im Gegensatz zu mir noch nicht, Eduard Schewardnadse zu imitieren, »wenn überhaupt, dann äfft er Gorbatschow, dessen Frau, die hiesigen führenden Persönlichkeiten und die Vertreter der Intelligenzija nach«, gab mein Vater zu bedenken. Meine Großmutter war wie immer auf der Seite meines Vaters: »Das ist gefährlich, Mensch, dieser Schewardnadse ist ein großes Übel – er ist nachtragend.« Sie glaubte nicht, dass ein Politiker, insbesondere ein Kommunist (sei er auch ehemaliger Kommunist und mitverantwortlich für den Berliner Mauerfall), jemals etwas vergessen konnte. Außerdem war sie irgendwie davon überzeugt, Eduard Schewardnadse im fernen Moskau sei an meiner Person interessiert: »Findet für mich heraus, wer dieser dickliche Junge ist, der hat ja vor nichts Respekt! Pluralismus heißt noch lange nicht, dass Ungezogenheit erlaubt ist.« Die andere Großmutter nahm meine Bühnenaktivitäten nicht so tragisch, im Gegenteil, sie war zufrieden, denn sie konnte von meinem ersten Honorar neue Küchenstühle erwerben. Auf der berühmten Fete steckten mir zunächst der Exhäftling, dann aber auch andere Leute sowjetische Fünfundzwanzig-Rubel-Scheine zu, deren Annahme ich kategorisch ablehnte, und das nicht nur aus Höflichkeit, damals wusste ich einfach gar nicht so richtig, was Geld bedeutet, schon gar nicht Sowjetgeld – Hauptsache, ich hatte ein Publikum und konnte auftreten.
Meine Mutter sagte, mein Vater sei imstande, alle zu Schülern zu machen, die mit ihm zu tun hatten, egal ob Freund oder Schwiegereltern; vom Großvater eines Klassenkameraden hieß es, er könne innerhalb kürzester Zeit Menschen für sich einspannen, die er gerade erst kennengelernt hatte, und zwar so, dass derjenige überhaupt nicht merkte, wie ihm geschah: Erst freundete er sich mit ihnen an und lieh ihnen sein Auto, dann lungerte er im Hausflur herum, und am Ende führte er schleichend Pflichten ein: »Hol den Enkel von der Schule ab, schau bei meiner Frau vorbei, wasch das Auto.« In meinem Falle lief das ähnlich: Diejenigen, die einfach nur zu Besuch kamen oder mich zufällig trafen, dienten oft ohne ihr Einverständnis und prinzipiell gegen ihren Willen als Publikum. »Er braucht Feedback«, sagte eine clevere Frau lächelnd zu meiner Mutter, die offenbar eher Psychologin als Zuhörerin war, was mir zwar nicht gefiel, mich aber auch nicht davon abhielt, Eindruck schinden zu wollen. Ich sprach über alles Mögliche und mit der Stimme von allen Möglichen, gab Phrasen von mir, die dieser Tage total angesagt und lustig zu sein schienen, mit meiner Kühnheit jagte ich meiner ohnehin schon verängstigten Großmutter noch mehr Angst ein und beschoss all jene mit Eduard Schewardnadses Stimme, die nicht an die Verwandlung eines Kommunisten in einen Demokraten glaubten.
Dass die Ängste meiner Großmutter übertrieben waren, wurde durch die Auftritte von brandneuen Parodisten bestätigt: Früher ließen sich alle taufen, jetzt parodierten alle. Plötzlich tauchten unzählige Leute auf, die eifrig und gewitzt sowohl lebende als auch tote Politiker nachahmten: den mit georgischem Akzent russisch sprechenden Josef Stalin, den von plötzlichem Durchfall geplagten, schleppend sprechenden Leonid Breschnew, den trügerisch lächelnden Eduard Schewardnadse und den auf Demonstrationen mit nach rechts verzogenem Mundwinkel in erlesenem Georgisch schreienden Swiad Gamsachurdia.
Der erste Präsident Swiad Gamsachurdia war eine viel angesagtere Stimme in Georgien als die von Eduard Schewardnadse. Dessen Stimme wurde verblüffend glaubwürdig von meinem Klassenkameraden (dem Präsidenten der »Nationalen Freiheitspartei«) verkörpert – denn er hatte von Natur aus beinahe die gleiche Stimme und musste sie somit gar nicht verstellen. Damals scheuten wir keine Mühe, den krankhaft politikverdrossenen Leuten wenigstens zwei Widersacher zu Gehör zu bringen: den Dissidentenpräsidenten Gamsachurdia und den nach Stalin populärsten georgischen Politiker, Schewardnadse, der irgendwann vor deren Zerfall Außenminister der Sowjetunion gewesen war. Wir nahmen einen fiktiven Dialog der beiden mit dem Kassettenrekorder auf und machten den Geburtstagsgästen meiner Großmutter begeistert weis, der Hauptdissident und der bekannteste Georgier hätten vor einigen Tagen auf dem Radiosender »Stimme Amerikas« eine große Auseinandersetzung gehabt. Die Gäste durchschauten den Trick schon nach wenigen Sekunden, bekämpften sich dann aber trotzdem bis aufs Messer, um ihren eigenen Favoriten zu verteidigen.
Später – es verblieben noch einige Monate bis zum Sturz der ersten Regierung im unabhängigen Georgien – wurde die Legende geboren, Präsident Gamsachurdia habe einen Eduard-Schewardnadse-Imitator in sein Büro bestellt und wehmütig gelächelt, als dieser mit der Stimme seines Gegners dummes Zeug von sich gab. Es hieß, der Imitator sei einige Male in Begeisterung verfallen und auch der Präsident sei dermaßen hingerissen gewesen, dass er vergessen habe, wer vor ihm stand, und diesen Eduard Schewardnadse schreiend aus dem Büro gezerrt habe: »Weiche, Satan!«
Mein Klassenkamerad sagte bedauernd, Schewardnadse nachahmend, ein Literaturkritiker und Dissident sei keinesfalls für das Präsidentenamt geeignet: »Alle, die ich in meinen Artikeln beschimpfte, haben ein Maschinengewehr in die Hand genommen.«
Читать дальше