Der Führer stieg ab und ahmte mit der Hand am Mund den Ruf eines Vogels nach. Einen Augenblick später erschien Esteban aus einem Steinlabyrinth und grüßte den Mann wie einen lebenslangen Freund. Der Eingeborene sagte einige Worte in seinem eigenen Dialekt, den der Maure zu verstehen schien, und zeigte auf den Konquistador.
Obwohl der vertraute Glanz in Estebans Augen erloschen war, strahlte er bei Juan Garridos Anblick. Er begrüßte ihn nicht mit der traditionellen Verbeugung, die man einem Konquistador entgegenbrachte, sondern vielmehr mit einem Griff an die Schulter, wie er für die Menschen des Maghreb typisch war.
»Es gab Kunde von einem schwarzen Spanier auf der Straße«, sagte Esteban. »Ich hoffte, dass Ihr es seid, also schickte ich meine Männer aus, um Euch zu finden. Ich muss sagen, es ist eine Überraschung.«
»Der Vizekönig bat um meine Hilfe, Moustafa.« Er benutzte den Namen, der dem Mann gegeben worden war, bevor Andres de Dorantes ihn kaufte und ihm einen christlichen Namen gab. »Die Spanier sind Eurer Abwesenheit überdrüssig geworden. Bruder Marcos ist mit verlorenen Seelen beschäftigt, und so war es an mir, Euch zu finden und zurückzubringen.« Er warf einen Blick auf die tiefen, blutenden Schnitte auf der breiten Brust des Sklaven. »Doch nun scheint es, ich kam zu Eurer Hilfe. Welche Not plagt Euch?«
»Ich fürchte, mein Tod ist nah. Doch ich werde in dem Wissen sterben, dass mir diese Menschen als einem von ihnen vertrauten. Eine Ehre, die Euren spanischen compadres nie zuvor zuteilwurde oder in Zukunft zuteilwerden wird.«
Garrido wies auf die offenen Wunden. »Wenn sie Euch so sehr vertrauen, warum taten Sie Euch das an?«
»Ich habe sie betrogen.« In seiner Stimme schwang Jammer. »Ich erfuhr ihre Geheimnisse, doch ich gab mich der Versuchung hin. Ich bereue es bitterlichst, doch ich kann meine Taten nicht rückgängig machen.«
»Sagt mir, was Ihr meint.«
Estebans Augen weiteten sich. »Ich habe das Gold gesehen, mein Freund. Es existiert so sicher wie Ihr und ich, tief im Busen der Schlucht versteckt.« Er nickte in Richtung seiner Anhänger. »Meine Männer brachten mich dorthin, zu ihrer Andachtsstätte tief unter der Erde, wo Goldklumpen funkeln wie die Sterne am Himmel.«
»Mendozas Stadt aus Gold. Ihr habt die Pflicht …«
»Ich schulde Spanien nichts«, spie er aus. »Die Spanier wollen eher meinen Tod, als mir meine Freiheit zu geben. Wenn Ihr der Krone loyal seid, so tötet mich jetzt, denn ich werde diese Menschen kein zweites Mal verraten.«
»Ich stehe im Dienst des Vizekönigs, doch kann ich keine andere Seele leiden lassen, besonders nicht die eines Landsmanns.« Er sprach in ihrer Muttersprache. Obwohl ihre Dialekte unterschiedlich waren, kam der Kern seiner Botschaft zum Ausdruck. »Ich möchte Euch helfen.«
»Nein. Was ich tat, ist zu abscheulich.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wurde gierig. Ich schrieb eine Nachricht auf eines von Bruder Marcos’ Kreuzen, die die Lage des Goldes beschreibt.«
»Doch tatet Ihr es in Eurer Sprache, nicht in seiner.«
»Die Spanier besitzen genug Reichtümer. Ich hatte die Absicht, unseren maurischen Freunden, die sich zu Unrecht unter der strengen Hand der Sklaverei plagen, diese Nachricht zu schicken, damit sie den Schatz heben und frei unter diesen freundlichen Menschen leben können. Ich war in dem Moment verflucht, als ich das tat. Ich weiß nun, dass dieses Land und alle Reichtümer darin diesen Menschen gehören und niemandem sonst.« Er zeigte auf das Dorf, das sich über den Hang ergoss. »Das Volk der Zuñi hörte davon, dass ich ihre heilige Stätte betreten hatte, und sie wurden sehr wütend – seltsamerweise nicht wegen des Goldes, sondern weil ein Nicht-Indianer ihren Ort der Entstehung entweiht hatte. Sie fanden das Kreuz, welches für sie das Symbol der weißen Teufel darstellt, und zerbrachen es in vier Teile. Sie jagten uns mit Pfeilen und Tomahawks aus dem Dorf.« Er berührte seine verwundete Brust und atmete schwerfällig ein. »Sie werden nicht ruhen, bis sie meine Haut haben.«
»Es ist noch nicht zu spät«, sagte Garrido. »Ich kann Euch von hier fortbringen.«
»Ich muss mich den Konsequenzen meines Handelns stellen. Doch wenn es Euer Anstandskodex erlaubt, so gibt es etwas, das Ihr für einen Landsmann tun könnt.«
»Nennt es mir.«
»Das Stück des Kreuzes, das Euch meine Männer brachten. Ich möchte, dass Ihr es zu meiner Familie in den Maghreb bringt. Sie soll es in alle Ewigkeit beschützen. Die vier Teile des Kreuzes dürfen niemals zusammenkommen. Das ist meine Buße dafür, Schande über diese Menschen gebracht zu haben.«
Die klare Luft brachte das schwache Geräusch von Trommeln und Sprechchören mit sich.
»Sie kommen, um mich zu holen«, sagte Esteban. »Ihr müsst gehen. Nehmt so viele meiner Männer mit Euch, wie Ihr könnt, denn sie verdienen es nicht, zu sterben. Ihr einziges Verbrechen ist es, mir vertraut zu haben.«
Esteban umarmte Garrido und befleckte die weiße Bluse und das Notizbuch des Konquistadoren mit seinem Blut. Garrido trat zurück und sah in die Augen eines toten Mannes. Er bestieg sein Pferd und führte die anderen aus dem Canyon und über den ausgetrockneten Erdpfad.
Der durchdringende Schrei der Verdammten klang durch das Tal und jagte Garrido einen Schauder über den Rücken. Er warf einen Blick zurück auf die Ansammlung alter Steine, die die einzigen Zeugen von Estebans Richtspruch waren. Er spürte den Umriss des Kreuzfragments unter seinem Konquistadorengewand und dachte für einen Moment darüber nach, eine Expedition zur Suche nach den anderen drei Teilen des Kreuzes – und zu dem Gold, in dessen Richtung es wies – zu organisieren. Er sah zu den entsetzen Männern seines Gefolges und besann sich eines Besseren.
Er hatte einen Pakt geschlossen, und den galt es zu würdigen.
In jedem anderen Jahr würde der Fuß der kupfergefärbten Sandsteinklippen in der sengenden Hitze des Spätaugusts schillern und mit der verdorrten Erde verschwimmen. Doch in diesem Sommer kam die Regenzeit ungewöhnlich früh und heftig und bewegte die Sandfläche des Canyonrands. Im unablässig starken Regen waren Schlammlawinen über die Felswände hinabgestürzt und hatten Treibsandteppiche gebildet, die einen Geländewagen im Nu verschlingen konnten. Und den silbernen Streifen am düsteren Himmel nach zu urteilen, würde es nicht so bald besser werden.
Sarah Weston hockte im Schlamm und rollte einen flachen Ring zwischen den Fingern hin und her, rieb den Matsch ab, um einen olivgrünen Stein mit ockerbrauner Maserung zum Vorschein zu bringen. Türkis, die Sorte, die nicht mehr existierte, in keiner Mine, nirgendwo. Obwohl es eher aussah wie ein Trennstein, war es ganz definitiv eine Schmuckperle, von den Vorfahren der Pueblo-Indianer vor Jahrhunderten zu Dekorationszwecken und für den Handel bearbeitet. Hunderte solcher Beispiele waren im Chaco Canyon ausgegraben worden, der Zeremonialstätte im westlichen New Mexico, etwa hundertdreißig Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt.
Sarah und ihr Partner, Daniel Madigan, waren in den südlichen Randbereich des Canyon de Chelly gerufen worden, in einen Teil von Arizona, der dem Volk der Navajo gehörte. Es war ungewöhnlich, dass zwei Archäologen, die sich auf die Regionen des Mittelmeeres und den Mittleren Osten spezialisiert hatten, in diesem Teil der Welt arbeiteten. Dennoch lag etwas Vertrautes, sogar etwas Tröstliches, in seinen gewaltigen Felsformationen, seinen einst bewohnten, doch längst verlassenen Höhlen, der Wüstenlandschaft, deren Oberfläche sich in Sekundenschnelle ändern konnte. In den vier Jahren, in denen sie schon miteinander arbeiteten, hatten Sarah und Daniel ähnliche Landstriche erkundet, ihre Launen und Eskapaden kennengelernt.
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