»Ein Standpunkt, den man nachvollziehen kann«, fand de Jong.
»Vielleicht. Aber das hätte sie sich vorher überlegen sollen.«
»Und was ist jetzt mit dem guten Jo?«, erkundigte sich der Exkommissar, um das blöde Grinsen abzustellen, das Bühlows Gesicht entstellte. »Wer hat ihn denn auf Sie angesetzt?«
»Den hat niemand angesetzt.« Nadja widmete sich für einen Moment ihrem Strohhalm. »Jo Lempel hat für Charles gearbeitet. Als sein persönlicher Influencer.«
»Was konkret bedeutet …?«, fragte de Jong.
»Er hatte nicht gerade viele Follower, gerade mal um die 90.000 auf Facebook und Instagram. Aber dafür, dass er fast ausschließlich für Charles Nöck getrommelt hat, ist das doch ganz ordentlich, finde ich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Na gut, da war auch noch ein Hersteller für Deodorant und einer für Sportsocken. Aber sonst …«
»War Jo neidisch auf Charles? Auf seinen Erfolg?«
»Neidisch? Quatsch, wer behauptet denn so was?« Nadja nestelte nervös an ihrem Bademantel, zupfte ein wenig am Kragen und vergrößerte auf diese Weise ihr Dekolleté, womit sie Bühlows Aufmerksamkeit gewann. »Sie haben wegen etwas ganz anderem gestritten. Charles hatte immer mal einen schlechten Tag, und damals war er sauer, dass Jo so wenig Follower hatte. Jo war sauer, dass Charles seine Arbeit überhaupt nicht zu würdigen wusste.« Erneutes Schniefen, Bühlow zückte ein weiteres Taschentuch. »Was auch stimmt. Sie glauben nicht, was Jo alles gemacht hat. Zuletzt hat er ein Video auf Youtube gestellt, da hat er mit einem Nöck-Thriller einen Selbstversuch gemacht und den Usern vor laufender Kamera demonstriert, dass er das Buch, nachdem er es einmal angefangen hatte, nicht aus der Hand legen konnte. Aber das hat Charles kaum beeindruckt. Er sagte immer: ›Influenza braucht man nicht, man lässt sich gegen sie impfen.‹ Er fand das witzig. Jo war kurz davor hinzuwerfen, damit Charles dann mal sehe, was er davon hätte. Und ich konnte es ihm nicht verdenken.«
»Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Herrn Lempel?«, erkundigte sich Bühlow.
Nadja zuckte wieder mit den Schultern. »Er ist ein guter Freund. Charles kennt ihn schon viel länger als mich. Damals war er mit seiner Schwester Amanda zusammen. So haben die beiden sich kennengelernt.«
»Sie war also die Dame, die sich weigerte zu zahlen?«, fragte Bühlow.
»Die hat vielleicht rumgezetert, dabei war sie selbst schuld. An Charles’ Stelle wäre ich auch nicht gern mit ihr zusammen gewesen.«
Die folgende kurze Stille wurde nur vom röchelnden Sauggeräusch unterbrochen, das Nadja mit ihrem Strohhalm erzeugte.
»Herr Bolte deutete an«, sagte Hauptkommissar Bühlow, »dass Herrn Nöcks Verhältnis zu seiner Verlegerin kompliziert gewesen sei. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?«
»Die Frau ist eine arrogante Zicke. Nöck hat sie reich gemacht. Und den schon totgesagten Verlag wiederbelebt. Und was macht sie: Sie nennt die Präsentation seines neuen Buches albern und behauptet, dass Charles mediengeil sei.« Wieder schniefte sie. »Frieda von Bechritz. Wissen Sie, wie man sie hinter ihrem Rücken nennt: Frigida von Brechreiz. Das passt hundertpro.«
»Noch mal zurück zu Jo«, sagte de Jong. »Ich würde noch gern wissen: Ist zwischen Ihnen beiden zufällig etwas gelaufen?«
Zum Zeichen ihrer Entrüstung zog Nadja einen Schmollmund. »Sie meinen, ob Jo und ich … Und dass wir deshalb Charles aus dem Weg …« Energisches, empörtes Kopfschütteln. »Was die Polizei sich so zusammenreimt! Da finden sich zwei Leute sympathisch, und schon machen sie sich des Mordes verdächtig.«
»Das hat doch keiner gesagt«, widersprach de Jong, schränkte aber dann ein: »Jedenfalls nicht mit diesen Worten.«
Nadja wandte sich demonstrativ von de Jong ab und Bühlow zu. »Ich finde ihn nett, ja. Aber da war nichts zwischen uns. Okay, zwei oder dreimal war ich mit ihm im Bett, aber das war alles.«
»Und hat Charles das nicht gestört?«
Jetzt bekam auch Bühlow einen kritischen Blick ab. »Ich hab doch gesagt, da war nichts zwischen uns.«
»Das könnte er aber doch anders gesehen haben«, meinte Bühlow. »Immerhin haben Sie mit ihm geschlafen.«
»Ach ja?« Mit einer energischen Geste raffte Nadja den Kragen ihres Bademantels, als gönnte sie Bühlow jetzt keinen weiteren Blick mehr. »Und dann hat er Charles Nöck umgebracht, damit ich für ihn frei bin? Denken Sie das? – Nein, Jo ist vielleicht ein bisschen spirituell, aber er ist nicht blöd.«
»Er ist spirituell?«, übernahm de Jong wieder. »Was meinen Sie damit?«
»Jo nimmt Kontakt zu Verstorbenen auf. Und er schwärmt für japanischen Schwertkampf. Der ist hochspirituell. Er ist sogar in einem Verein. ›Du kämpfst nicht, um zu töten‹, hat er immer gesagt. ›Sondern nur darum, dich selbst zu finden.‹«
»Aber er braucht doch ein Schwert, um sich selbst zu finden?«
»Oh ja. Ein echtes Samurai-Schwert. Charles hat ihm eins zum Dreißigsten geschenkt. Es hat ein Vermögen gekostet.«
»Und es ist messerscharf, nehme ich an?«
Plötzlich schien sie zu ahnen, worauf das hinauslief. »Aber Sie denken doch nicht, dass … Nein, das Schwert ist sein Ein und Alles, er würde es niemals …«
»Können Sie uns sagen, wo wir Herrn Lempel finden?«
Sie überlegte, schüttelte dann den Kopf. »Er hat gesagt, dass er weg will, um den Kopf freizubekommen. Nach all dem, was passiert ist.«
»Den Kopf freibekommen«, wiederholte de Jong. »Da sprach er von seinem eigenen, nehme ich an.«
Nadja funkelte ihn wütend an. »Mehr hat er nicht gesagt. Und auf seinem Handy meldet sich nur die Mailbox.«
»Wissen Sie zufällig, wo er sein Schwert aufbewahrt?«
Kopfschütteln. »Das müssen Sie ihn selbst fragen.«
»Wenn er sich bei Ihnen melden sollte«, Bühlow zog eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und legte sie auf den Tisch, »bitte sagen Sie uns Bescheid. Sie verstehen doch, dass es wichtig ist.«
»Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass er Charles …« Sie stockte. »Dass er ihm das angetan hat?«
»Was wir glauben, ist in dem Fall nicht so wichtig. Wir brauchen Gewissheit. Herr Lempel sollte sich nicht vor uns verstecken, wenn er nicht will, dass wir ihn als Verdächtigen in Betracht ziehen.«
»Eins kann ich Ihnen jedenfalls versichern.« Nadja beugte sich zu Bühlow und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Selbst wenn …«
»Selbst wenn was?«
»Selbst wenn er diese Tat begangen hätte, was ich nicht glaube. Nie und nimmer. Dann nicht mit diesem Schwert.«
»Wie kommen Sie darauf? Besitzt er noch eine andere Waffe?«
Frau vom Hofe sah schon wieder genervt aus. »Nein, aber es ist doch wohl klar, dass er die Tatwaffe nach der Tat verschwinden lassen muss, oder? Das ist doch so üblich. Er muss sie irgendwo ins Wasser werfen oder ins Moor, wo sie nicht gefunden wird, stimmt doch?«
Bühlow nickte. »Nun, niemand wird gezwungen, das zu tun. Abgesehen davon, dass es eine schwere Straftat ist. Aber wenn ich Herrn Nöck umgebracht hätte, würde ich das erwägen.«
»Eben. Und ich sagte ja schon, dass dieses Schwert ein Vermögen gekostet hat. Es wegzuwerfen, wo es niemand finden kann, das wäre doch eine Schande.«
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