»Es hört sich ein bisschen so an, als hätten Sie einen bestimmten Verdacht.«
»Einen bestimmten Verdacht? Schön wär’s, Herr Kommissar. Schön wär’s.«
De Jong wies mit dem Kopf auf Bühlow. »Er ist der Kommissar.«
»Allerdings bedeutet das ja wohl nicht, dass man beide Augen zudrückt, oder?« Bolte beugte sich vor und sah de Jong an, und de Jong sah in die blutunterlaufenen, vom Alkoholexzess gezeichneten Augen seines Gegenübers. »Wenn man zwei und zwei zusammenzählen kann, dann sollte man es verdammt noch mal tun, was meinen Sie?«
»Also gut«, sagte de Jong. »Auch einfache Rechenaufgaben sind dazu da, gelöst zu werden. Meine Meinung.«
Ingolf Bolte nahm einen großen Schluck, dann schüttelte er ausgiebig den Kopf und lachte zischend. »Ich will niemanden anschwärzen, weiß Gott … Aber ein Mann ist tot. Mein Freund, verstehen Sie? Mein Kumpel. Und er ist nicht nur einfach so tot. Man hat ihm den Kopf abgeschlagen wie einem …« Er schnaufte unwillig, da ihm offenbar kein Vergleich einfiel. »Und Sie sollten sich wenigstens mit ihr unterhalten.«
»Mit ihr?«
Boltes Kopf nickte nach oben, dort, wo die Wendeltreppe hinaufführte. »Nadja, die ihren Charles angeblich so abgöttisch geliebt hat. Ihn – nicht den guten Jo. Obwohl sie sich ja am Schluss kaum noch die Mühe gemacht hat, es zu verbergen.«
Bühlow schaltete sich ein. »Sie deuten also an, Frau vom Hofe hat ein Verhältnis mit dem guten Jo? So dass die beiden möglicherweise ein Motiv gehabt haben könnten, Herrn Nöck …«
»Ich deute gar nichts an«, widersprach der Agent und hob abwehrend beide Hände. »Ich sage nur, was ist. Schlicht und einfach. Weil ich Augen im Kopf habe.«
»Und zwei und zwei zusammenzählen.«
Schon wieder zischte Bolte. »Die beiden konnten doch die Finger nicht voneinander lassen. Haben jede Gelegenheit genutzt …«
»Na gut«, sagte de Jong. »Aber wenn sie da was am Laufen hatte, dann war das doch noch lange kein Grund, Charles nach dem Leben zu trachten. So geht es in der Regel nur in drittklassigen Fernsehkrimis zu.«
»Fragen Sie sie, Herr Kommissar.« Bolte hob die Schultern in einer Ich-wollte-ja-nur-helfen-Geste. »Mehr will ich nicht.« Aber dann musste er doch noch etwas loswerden. »Jo Lempel verdankt alles, was er ist, Charles Nöck. Ohne Charlie wäre er ein Nichts. Noch weniger: ein Garnichts. Aber der Neid hat ihn zerfressen. Ich wusste das schon immer: Der Kerl ist eine tickende Zeitbombe. Er steckt immer ein, aber vergisst nichts und nimmt alles übel. Wartet auf seine Chance, es heimzuzahlen.«
»Besagter guter Jo war also nicht nur mit Herrn Nöcks Ehefrau …«
»Lebensgefährtin.«
»Okay. Er war nicht nur mit ihr näher befreundet, sondern auch neidisch auf Herrn Nöck und dessen Erfolg.«
Bolte schien darüber nachzudenken. Schließlich nickte er. »Hinzu kommt aber, dass …«
Er verstummte abrupt, als oben, auf der zweiten Ebene, eine Tür geschlossen wurde. »Jetzt ist sie wach«, flüsterte er. Und rief laut: »Nadja? Bist du das? Hier ist Besuch …«
Eine Frau kam, nein, schwebte die Treppe herab. Eine schlanke, langbeinige Blondine, deren welliges, sorgfältig frisiertes Haar perfekt fiel und überhaupt nicht so aussah, als wäre sie gerade aus dem Bett geklettert. Nadja vom Hofe hatte sich in einen flauschigen, weißen Bademantel gehüllt. Ihre zierlichen, nackten Füße steckten in Flipflops.
Bolte hatte sich schon erhoben und leerte eilig sein Weinglas. »Also, ich muss dann auch schon los …«
De Jong legte ihm die Hand auf den Arm. »Sagen Sie mir doch erst noch: Was kommt hinzu?«
»Hinzu?«
»Sie haben gerade gesagt: ›Hinzu kommt aber, dass …‹ Mich würde interessieren, was.«
Bolte zog ein gequältes Gesicht. Offenbar widerstrebte es ihm, weiter in Nadjas Anwesenheit über tickende Zeitbomben zu sprechen. Er war wohl nicht der Mann der offenen Auseinandersetzung. »Die beiden Herren sind von der Kripo«, flötete er in fast heiterer Manier. »Sie tun alles, um den Kerl zu finden, der Charles das angetan hat.«
Nadja nickte de Jong und Bühlow flüchtig zu und steuerte zuerst die Küche an, wo sie den Kühlschrank öffnete, eine Flasche Orangensaft herausnahm und sich davon in ein Glas goss. Dann steckte sie einen bunten Plastikstrohhalm in das Getränk.
Bolte nutzte die Zeit, um sich zu de Jong herunterzubeugen und ihm zuzuraunen: »Ein Schwert. Der Mann besitzt ein Schwert. Und was für eins.«
»Ja, was für eins?«, fragte de Jong.
Bolte aber hatte sich schon wieder aufgerichtet und lächelte Nadja zu, die zu ihnen herüberkam. »Na, sag schon, geht’s dir wieder besser?«
Ihre Reaktion: Sie zog die Mundwinkel herunter und schniefte. Dann setzte sie sich auf die lila Couch, weit genug weg von Bühlow und de Jong, und umschloss mit beiden Händen ihren Orangensaft, als könnte sie sich die Hände daran wärmen.
»Frau vom Hofe«, Bühlow räusperte sich, sobald Bolte die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, »das ist Herr de Jong, Berater der Kripo Münster. Wir möchten Ihnen noch einmal unser Beileid aussprechen. Genau, und dass wir alles tun, um den Mörder zu fassen.«
Sie deutete ein weiteres Nicken an und steckte den Strohhalm in den Mund.
»Wie lange kannten Sie Charles Nöck?«, erkundigte sich de Jong.
Nadja setzte den Strohhalm wieder ab und schniefte. »Nicht lange genug. Erst seit einem Jahr. Seit ich als Model arbeite.« Sie fing an, in den Taschen ihres Bademantels zu kramen.
Bühlow war schneller und reichte ihr ein Papiertaschentuch. »Sie sind Model?«
»Für Unterwäsche.« Frau vom Hofe nahm das Taschentuch kommentarlos entgegen und schniefte hinein. »Dessousmodel. Ich bin sehr gefragt.«
»Das bezweifle ich keine Sekunde«, platzte der Hauptkommissar mit einem platten Kompliment heraus.
»Und Herr Nöck?«, sagte de Jong, den das Geturtel nervte. »War er speziell an Damenunterwäsche interessiert?«
Nadja vom Hofe musterte de Jong mit einem kühlen Blick. »Damals, als ich ihn kennenlernte, habe ich noch nicht gemodelt. Ich war als Treuetesterin tätig. Charles war meine Zielperson.«
»Zielperson? Sie haben ihn beschattet?«, entfuhr es de Jong, der sich im selben Moment alt vorkam, zum Glück las er in Bühlows Miene die gleiche Ahnungslosigkeit, bildete es sich jedenfalls ein.
Das Dessous-Model stellte das Glas auf den Tisch und überprüfte den Knoten ihres Bademantels. »Nehmen wir an, Ihre Frau würde an Ihrer ehelichen Treue zweifeln«, erklärte sie an de Jong gewandt. »Sie ruft die Testagentur an, und die würde mich dann losschicken.«
»Damit Sie mal mit meiner Frau reden, oder was?«
Nadjas genervter Blick richtete sich deckenwärts, als weigerte sie sich zu glauben, dass auf diesem Planeten Lebewesen existierten, die so blöd sein konnten. »Ich mache mich an Sie heran und finde heraus, wie weit Sie gehen würden. Lasse mich zum Essen ausführen, treffe mich mit Ihnen in einem Hotel.«
»Das ist schon ziemlich weit.«
»Wenn es noch weiter geht, haben wir einen Treffer.«
»Einen Treffer?«
»Dann melden wir der Auftraggeberin, dass Sie durch den Test gerasselt sind. Und ich kassiere meine Abschussprämie.«
»Die haben Sie bei Charles Nöck also auch kassiert?«, vermutete Bühlow.
Nadja nickte stolz. »So hat es mit uns angefangen.«
»Wie romantisch«, staunte der Hauptkommissar, der regelrecht aufgedreht wirkte. Es war nicht zu übersehen, dass das Dessousmodel sein Typ war.
»Seine Damalige hatte mich auf ihn angesetzt. Sie war krankhaft eifersüchtig. Als es dann zwischen uns gefunkt hatte, machte sie eine Riesenszene und weigerte sich zu zahlen. Niemand könne von ihr verlangen, dass sie die sexuellen Eskapaden ihres Verlobten auch noch finanziell unterstütze.«
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