Inhaltsverzeichnis
Migrationskäse Migrationskäse „Shaheen. Guten Tag.“ „Marktforschung Krüger, mein Name ist Miriam Kleine-Holtzberg. Spreche ich mit Herrn… Ahh-miier… Scha-hien?“ „Worum geht’s denn? „Herr Schahien, Sie wurden gezielt ausgewählt. Wir führen eine Studie im Auftrag unseres Kunden durch. Ich würde Sie gerne zu einem Interview einladen.“ „Wozu?“ „Zum Thema Frischkäse.“ „Also, bitte!“ „Wir zahlen Ihnen selbstverständlich eine Aufwandsentschädigung. Hätten Sie am kommenden Donnerstagnachmittag Zeit? Das wäre wunderbar. Wie gesagt, Sie wurden gezielt ausgewählt. Sie haben ja einen Migrationshintergrund.“ „Was? Nein, habe ich nicht!“ „Donnerstag nicht? Es ginge auch Freitag. Haben Sie da Zeit?“ „Nein, auch nicht! Weder noch. Alles nicht, gar nichts davon. Auf Wiederhören.“
Türkisch für Nicht-Araber (1)
Kölschsalam – Warme Worte zur Begrüßung
Türkisch für Nicht-Araber (2)
Sierra Hotel – Schuhe putzen für den Ernstfall
Türkisch für Nicht-Araber (3)
Bitte ohne Cäsar – Buchstabieren mit Migrationshintergrund
Türkisch für Nicht-Araber (4)
Zugvogelfrühstück – Care-Pakete aus Nahost
Türkisch für Nicht-Araber (5)
Orientalischer Humor – Comedian ohne Übersetzer
Türkisch für Nicht-Araber (6)
Multioriginär – Hassan Böll im Kursaal
Mokkamorphose: Wie ich unabwendbar Araber wurde – Nachwort und Dank
Ich bin kein Ausländer,
ich heiße nur so
CIP - Titelaufnahme in die Deutsche Nationalbibliothek
© 2020 by Sujet Verlag
Amir Shaheen
Ich bin kein Ausländer, ich heiße nur so
ISBN: 978-3-96202-614-1
Lektorat: Gerrit Wustmann
Korrektorat: Marie Steinhoff
Umschlaggestaltung: Tarlan Mirshekari
Layout: Linda Volk
Druckvorstufe: Sujet Verlag, Bremen
Printed in Europe
1. Auflage: 2020
www.sujet-verlag.de
Das ABC ist äußerst wichtig,
Im Telefonbuch steht es richtig.
Joachim Ringelnatz
»Name?«
»Kemal Kayankaya.«
»Können Sie buchstabieren?«
»Das meiste schon. Nur bei Fremdwörtern hapert’s manchmal.«
Jakob Arjouni: Ein Mann, ein Mord (1991)
„Shaheen. Guten Tag.“
„Marktforschung Krüger, mein Name ist Miriam Kleine-Holtzberg. Spreche ich mit Herrn… Ahh-miier… Scha-hien?“
„Worum geht’s denn?
„Herr Schahien, Sie wurden gezielt ausgewählt. Wir führen eine Studie im Auftrag unseres Kunden durch. Ich würde Sie gerne zu einem Interview einladen.“
„Wozu?“
„Zum Thema Frischkäse.“
„Also, bitte!“
„Wir zahlen Ihnen selbstverständlich eine Aufwandsentschädigung. Hätten Sie am kommenden Donnerstagnachmittag Zeit? Das wäre wunderbar. Wie gesagt, Sie wurden gezielt ausgewählt. Sie haben ja einen Migrationshintergrund.“
„Was? Nein, habe ich nicht!“
„Donnerstag nicht? Es ginge auch Freitag. Haben Sie da Zeit?“
„Nein, auch nicht! Weder noch. Alles nicht, gar nichts davon. Auf Wiederhören.“
Türkisch für Nicht-Araber (1)
Sayın Hastalarımız!
Was?
Sayın Hastalarımız! – Das ist Türkisch.
Ich war noch nie Türke.
Ich war auch noch nie zur Kur.
Jetzt bin ich beides.
Kur heißt heute Reha. Die Klinik, die ich zu diesem Zweck aufsuchen soll, tut sich offenbar schwer mit meiner Nationalität. Wie überhaupt mit meiner Identität und meiner Sprachkompetenz. Und überdies auch mit meinen Ernährungsgewohnheiten. Eigentlich hatte ich erwartet, sämtliche diesbezüglichen Unklarheiten längst ausgeräumt zu haben.
Einige Wochen vor meinem geplanten Reha-Aufenthalt hatte ich bereits einen ganzen Stoß Unterlagen per Post bekommen. „Sayın Hastalarımız“, wurde ich freundlich begrüßt. Auf Türkisch.
„Sehr geehrter Rehabilitand, um Ihnen eine möglichst ungehinderte Aufnahme in unsere Klinik bieten zu können, ist es für uns wichtig zu wissen, wie gut Sie die deutsche Sprache verstehen bzw. sprechen.“
Ah ja.
„Sizler için Almanca dilinde bir tedavi mümkün olabilir mi? – Kann eine Therapie in deutscher Sprache erfolgen?“
Sayın Hastalarımız? Therapie in deutscher Sprache?
Was soll der Quatsch?, dachte ich. Und wäre diesem Schreiben nicht auch eine deutsche Übersetzung beigefügt gewesen, hätte ich seinen Inhalt, der mir freundlicherweise in einer irrtümlich unterstellten Muttersprache nahegebracht wurde, gar nicht zur Kenntnis nehmen können. So aber erfuhr ich, dass ich gebeten wurde, die Frage per Kreuzchen im Kästchen mit „Evet“ oder „Hayır“, Ja oder Nein zu beantworten.
So viel Entgegenkommen muss man anerkennen.
Ich halte es wirklich für eine sehr vorausschauende, fürsorgliche Maßnahme, Menschen, deren Muttersprache nicht die deutsche ist, komplexere Inhalte auf diese Weise zu vermitteln. Was nur leider in meinem Fall völlig unsinnig ist, so dass ich mich überhaupt nicht angesprochen fühlte und im Gegenteil annahm, diese Post sei fälschlicherweise an mich versandt worden. Ich war schon im Begriff, den umfangreichen Stapel Papiere vollständig und ungelesen dem Altpapier zu übereignen, da erfasste ich ein weiteres Formblatt. Und das ließ mich zögern. Denn mit diesem wurde ich gebeten, vorab ein „Yedi-Günlük-Gida tüketim protokolü“ zu erstellen – ein „Sieben-Tage-Verzehrprotokoll“, wie ich lernen durfte, nachdem ich das Blatt mit dem deutschen Text gefunden hatte. Wozu das in meinem Falle überhaupt nötig sein sollte, war mir nicht klar. Ich bin weder übergewichtig noch habe ich Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Probleme oder dergleichen.
Der Grund meines Aufenthalts in der Einrichtung war kein letaler, gleichwohl ein nicht wenig peinsamer. Seit etlichen Monaten, ja nunmehr sogar fast zwei Jahren, quälten mich anhaltende Schmerzen im rechten Arm und der rechten Schulter, schwerwiegende andauernde Verspannungen im Nackenbereich und, vermutlich daraus resultierend, ein diffuser Erschöpfungszustand. Der in dieser Angelegenheit bereits vor über einem Jahr von mir aufgesuchte Orthopäde – der einzige, bei dem nach überschaubarer Wartezeit überhaupt ein Termin zu bekommen gewesen war – hatte mir daher, nach zunächst bescheinigter cervicaler Blockierung und cervicalem Wurzelsyndrom, alle möglichen ungebührlichen und seiner Ansicht nach meinem Alter nicht mehr angemessenen Bewegungen per Hand vollständig untersagt. Dazu zählte er insbesondere das Hantieren mit Schraubenziehern aller Art.
„In Ihrem Alter nur noch Akkuschrauber!“, hatte er barsch befohlen. Außerdem hatte er eine orthopädische Schiene verordnet und strikt angeordnet, diese ab sofort immer zu tragen.
„Ich sitze aber doch meist am Rechner“, hatte ich protestiert.
„Eben drum! Auch da Schiene! Immer.“
Da das überhaupt nichts brachte, suchte ich schließlich auch meinen Zahnarzt auf, um festzustellen, ob ich mir womöglich in intensiven Nachtschichten meine übervollen Tage erneut durch den Kopf gehen ließ und mittels eifriger Beißarbeit zu verdaubaren Brocken zu zerkleinern suchte. Das Ergebnis war eindeutig höchst unbefriedigend: Für eine intensive Knirsch- oder Beißtätigkeit gebe mein Gebiss keinerlei Hinweis, aber eine Aufbissschiene könne nicht schaden, die zahle ohnehin die Kasse, Kosten entstünden mir somit keine. Wenn’s nichts kostet…
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