Petrus sitzt an seinem Tisch und ist der Verzweiflung nahe.
Doch plötzlich hat er einen – hoffentlich rettenden – Einfall. Er nimmt einen Bogen Papier und schreibt darauf:
Liebe Engel und Wichtel,
bitte kommt am 24. Dezember, Heiligabend, mit dicken schweren Schuhen oder Stiefeln zur Arbeit. Pünktlich um 7 Uhr morgens versammelt ihr euch alle, ich betone alle, auf Wolke vierundzwanzig. Ich werde auch anwesend sein und euch sagen, was zu tun ist. Geht heute Abend bitte rechtzeitig zu Bett, damit ihr morgen früh alle ausgeschlafen und pünktlich seid.
Am nächsten Tag, also Heiligabend, stehen alle Engel und Wichtel dicht gedrängt auf Wolke vierundzwanzig. Alle betrachten sich gegenseitig und können sich ein Prusten, Grinsen oder Lächeln nicht verkneifen. Es sieht auch zu komisch aus, Engel mit Engel-Flügelchen, weißen Kleidchen, Wichtelmännchen mit weißen Hemden, blauen Westen und roten Zipfelmützen und alle mit dicken Stiefeln oder schweren Schuhen bekleidet.
„Achtung!“, ruft Petrus lauthals. „Wenn ich bis drei gezählt habe, dann stampft ihr alle ganz kräftig mit euren Füßen auf den Boden. Ich denke, nein ich bin mir sicher, dass dann zumindest aus Wolke vierundzwanzig Schnee herabfällt. Und wenn dann der erste Schnee auf dem Weg zur Erde ist, dann werden auch die anderen Wolken endlich ihren Schnee auf die Reise zur Erde schicken. Und jetzt aufgepasst: eins, zwei, drei.“ Kaum hat Petrus „Drei“ gesagt, hüpfen alle Engel und Wichtel zusammen mit Petrus und dem Weihnachtsmann wie ausgelassene Kinder auf und nieder.
Und tatsächlich, es schneit zuerst aus Wolke vierundzwanzig und anschließend aus allen anderen Wolken. Die Erde droht nun bald im Schneechaos zu versinken. Der Weihnachtsmann ist über den vielen Schnee außer sich vor Freude. Schnell läuft er zu seinen Rentieren und verkündet die frohe Schneebotschaft. Und auch die Rentiere jubeln und wollen sofort losrennen.
Der Weihnachtsmann, der bis eben ein Schneeproblem hatte, weil kein Schnee auf der Erde lag, hat nun das Problem, dass seine Rentiere es gar nicht erwarten können, zu den Kindern zu traben.
Schnell beladen alle Wichtel und Engel den Weihnachtschlitten und spannen die Rentiere an. Der Weihnachtsmann besteigt den Schlitten, prüft, dass sein roter Mantel bis oben hin zugeknöpft ist, zieht sich die Kapuze über den Kopf, greift die Zügel und schaut mit freundlichem Gesicht zur dick verschneiten Erde hinunter. Es kann losgehen.
Dann wollen wir sie nicht lange aufhalten, sondern wir rufen ihnen ganz einfach den Weihnachts-Befehl zum Laufen zu: „Rentiere, jetzt aber los, ho, ho, ho!!“
*
Während der Weihnachtsmann gerade die Schleife des letzten Weihnachtsgeschenkesacks band, bemerkte er, dass sein Engelchen, das ihn Jahr für Jahr begleitete, noch nicht da waren.
„Engelchen, Engelchen, wo bleibst du denn? Engelchen, wir müssen bald los. Kommst du bitte, um mir zu helfen, die Namensschilder an die letzten Weihnachtssäcke zu binden!“
Aber kein Engelchen kam.
Stattdessen antwortete ihm eine Stimme aus dem Nebenraum: „Weihnachtsmann, dein Engelchen kann heute nicht kommen, es ist nicht da!“
„Na gibt’s denn sowas? Nicht da, was soll das heißen?“
Jetzt kam eine ältere Dame in sein Zimmer. Sie brachte einen Schreibblock und einen Stift mit und sagte mit ernster Miene: „Weihnachtsmann, von den vielen, vielen Engelchen, die im letzten Jahr geholfen hatten, ist heute nicht ein einziges erschienen. Alle sind zu Hause geblieben. Und nun rate mal, warum? Da kommst du bestimmt nicht drauf“, setzte sie noch hinzu.
„Da hast du recht, da komme ich nicht drauf. Sag’ schon, warum ist heute kein Engelchen hier?“
„Weihnachtsmann, die Engelchen streiken heute. Die Engelchen haben sich darüber beklagt, dass sie für ihre anstrengende Arbeit viel zu wenig Anerkennung bekommen.“
Der Weihnachtsmann machte ein ernstes Gesicht und schnaufte erregt: „Die können doch das ganze Jahr über streiken. Sie können das ganze lange Jahr über mit Schildern umherlaufen und allen Weihnachtsmännern und Menschen ihre Forderung nach Beachtung und Anerkennung zeigen. Aber warum gerade heute, wo sie so gebraucht werden? Das kann ich nicht verstehen!“
„Ich kann das schon verstehen“, versuchte die ältere Dame, ihn zu beruhigen. „Schau mal, Weihnachtsmann, wenn die Engelchen im Laufe eines Jahres streiken, wenn gerade nicht Weihnachten ist, dann interessiert es doch überhaupt keinen Menschen oder irgendeinen Weihnachtsmann. Das wäre so, als ob die Nachtwächter tagsüber streiken würden, weil sie nachts so viel Arbeit haben. Oder ein anderes Beispiel: Das wäre so, als ob die Lehrer in den Schulferien, also in ihrem Urlaub, streiken würden. Keinen Schüler und keinen Erwachsenen würde das interessieren. Also, was bleibt den Leuten übrig? Richtig: Dann zu streiken, wenn sie am Dringendsten gebraucht werden. Und für die Engelchen bedeutet dieses am Dringendsten gebraucht werden eben heute. So ist das, ob es dir gefällt oder nicht, lieber Weihnachtsmann.“
„Das sehe ich ja ein.“ Er wollte noch ein Aber nachschieben, als die ältere Dame ihren Block anhob, ihre Brille auf der Nase hochschob und meinte: „Ich habe aber schon etwas unternommen. Ich habe viele, viele junge Mädchen eingeladen, die sich bereit erklärt haben, heute als Engelchen auszuhelfen. Ich habe sie per Mail und per Telefon zu uns gebeten und fast alle sind gekommen. Während du die Weihnachtssäcke befüllt hast, habe ich mit ihnen gesprochen. Dabei stellte sich heraus, dass leider die meisten für diese Aufgabe nicht geeignet waren. Bis auf drei Mädchen. Diese drei Mädchen stehen in meinem Zimmer und warten darauf, mit dir zu sprechen.“
Der Weihnachtsmann beruhigte sich dank dieser guten Nachricht wieder und bat die ältere Dame, die drei jungen Mädchen in sein Zimmer zu bringen. Er wollte die Entscheidung treffen, welches von ihnen in diesem Jahr sein Begleitengel sein würde.
Die drei jungen Mädchen hatten alle eine schlanke Figur und blonde, schulterlange, leicht gelockte Haare. Sie trugen die Alltagskleidung, wie sie jedes gleichaltrige Mädchen trug. Die Augen aller drei Mädchen leuchteten.
„Nun“, begann der Weihnachtsmann in ruhigem Ton, „eine von euch darf in diesem Jahr mit mir zu den Kindern gehen, um mit ihnen zu sprechen, ihre Gedichte und Geschichten zu hören und die Geschenke zu verteilen. Ich glaube schon, dass ihr alle drei dazu geeignet seid, aber zwei von euch kann ich leider nicht mitnehmen. Ich werde euch jetzt eine Frage stellen. Wer von euch sie richtig beantworten kann, der kommt in die nächste Auswahlrunde. Einverstanden?“
Die drei Mädchen waren einverstanden und nickten eifrig.
„Ihr kennt doch sicherlich alle die Bibelstelle Lukas 2, Absatz 1 bis 17?“
Das Gesicht eines jungen Mädchens wurde ernst, während bei den beiden anderen Mädchen das Strahlen der Augen weiterhin den Weihnachtsmann begeisterte.
„Weihnachtsmann, es tut mir leid, ich kenne diese Stelle nicht“, flüsterte das ernste Mädchen.
„Dann kann ich dich leider nicht zu den Kindern mitnehmen, schade“, sagte der Weihnachtsmann zu ihm. Er drückte ihm zum Abschied die Hand und steckte ihm noch als Dank für seine Bereitschaft, helfend einzuspringen, einen kleinen Glitzerstern zu, dessen Leuchten nie aufhören würde, solange sie lebe, und an seinen Besuch beim Weihnachtsmann erinnern würde.
Dann wandte er sich wieder den verbliebenen zwei Mädchen zu. Nachdem das erste Mädchen den ersten Teil der Geschichte erzählt hatte, setzte das zweite Mädchen die Geschichte fort. Alles war richtig. Es konnte den Text fast wörtlich, wie er in der Bibel steht, wiedergeben.
Der Weihnachtsmann lehnte sich zufrieden zurück. Die Beantwortung seiner nächsten Frage sollte die Entscheidung ermöglichen, welches der Mädchen ihn als Engel in diesem Jahr begleiten durfte. Die Frage musste also wohl überlegt sein.
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