c) § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
Es stellt sich schließlich die Frage, ob der Schlag eine lebensgefährdende Behandlung darstellt. Problematisch ist dabei allerdings, dass es vorliegend bei B nur zu einer Platzwunde gekommen ist. Lebensgefahr hat also zu keiner Zeit tatsächlich bestanden. Nach h. M. ist eine konkrete Lebensgefahr für § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB aber auch nicht erforderlich. Es genügt, dass das Verhalten abstrakt dazu geeignet ist, Lebensgefahr auszulösen. 28Dies kann im Falle eines heftigen Schlages mit einem Stein gegen den Kopf einer Person durchaus angenommen werden. Eine lebensgefährdende Behandlung liegt damit vor.
Klausurhinweis: Nicht immer gibt es in einer Klausur eine einzige richtige Lösung. Mangels genauerer Angaben im Sachverhalt ist hier auch ein gegenteiliges Ergebnis vertretbar, wenn man das Vorgehen des J auch abstrakt noch nicht als lebensgefährdend ansieht. Jedenfalls sollte aber auch dieser Qualifikationstatbestand angesprochen werden.
2. Subjektiver Tatbestand
J hatte die Absicht, B zu verletzen. Er wollte mit dem Stein auch einen Gegenstand verwenden, von dem er wusste, dass er gefährlich ist. Schließlich kann auch unterstellt werden, dass J jedenfalls billigend in Kauf nimmt, B lebensgefährdend zu behandeln, also Eventualvorsatz hat.
Mangels ersichtlicher Rechtfertigungsgründe handelte J auch rechtswidrig.
Da auch keine Entschuldigungsgründe ersichtlich sind, handelte er ebenfalls schuldhaft.
Somit hat sich J mit dem Schlag mit dem Stein gegen den Kopf des B strafbar gemacht wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB.
Tatkomplex 3: „Umrennen“Strafbarkeit von B nach § 223 Abs. 1 StGB
B könnte sich durch Umrennen des R wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
B hat willensgesteuert die Flucht ergriffen und dabei R umgerannt, er hat also gehandelt und mit der blutenden Wunde bei R einen krankhaften Zustand herbeigeführt sowie diesen unangemessen behandelt und dessen körperliches Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Wiederum hat er also beide Varianten des Körperverletzungserfolgs herbeigeführt.
Da es zu der Verletzung ohne das Umrennen nicht gekommen wäre, war die Handlung auch kausal. Und schließlich bestehen keinerlei Zweifel an der objektiven Zurechnung, da sich das Risiko durch das Umrennen in der konkreten Verletzung des R niedergeschlagen hat.
2. Subjektiver Tatbestand
B wollte zwar R nicht absichtlich verletzen, im Rahmen seiner Flucht hat er jedoch das Verletzungsrisiko erkannt und dieses laut Sachverhalt auch billigend in Kauf genommen. Er hat also mit Eventualvorsatz gehandelt und damit den subjektiven Tatbestand erfüllt.
Klausurhinweis: Wenn kein Qualifikationstatbestand für die Lösung relevant ist, braucht § 224 StGB gar nicht angesprochen zu werden.
B könnte jedoch für sein Tun gerechtfertigt sein. Das wäre dann der Fall, wenn ein Rechtfertigungsgrund gegeben wäre.
Als Rechtfertigungsgrund kommt vorliegend zunächst Notwehr gemäß § 32 StGB in Betracht. Dieser scheidet jedoch von vornherein aus, da er voraussetzt, dass sich die Verteidigungshandlung gegen den Angreifer richtet, 29von dem hier umgerannten R jedoch keinerlei Angriff ausgeht. Gegen den ihn angreifenden J ging B aber gerade nicht vor.
Klausurhinweis: Genau genommen stellt sich diese Frage erst nach Annahme der Notwehrlage bei der Prüfung der Notwehrhandlung. Es erscheint aber auch vertretbar, diese hier offensichtliche Begründung zur Ablehnung der Notwehr direkt anzusprechen. Notwehr gar nicht anzusprechen, wäre indes verfehlt.
2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
B könnte dennoch gerechtfertigt sein, nämlich durch den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB.
Klausurhinweis: „Klassische“ Klausurverläufe, wie hier die nicht gegebene Notwehr aufgrund der Verteidigung gegen einen Dritten, und die daraus folgende Möglichkeit eines rechtfertigenden Notstandes, sollte man sich besonders gut merken, da sie immer wieder vorkommen.
Dies setzt zunächst das Bestehen einer Notstandslage voraus.
aa) Gefahr für ein Rechtsgut
Es müsste eine Gefahr für ein Rechtsgut vorliegen. Unter einer Gefahr versteht man einen Zustand, der einen Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt. 30Da J den B zum zweiten Mal mit dem Stein schlagen wollte, war eine solche Gefahr vorliegend anzunehmen.
Diese Gefahr müsste aber auch gegenwärtig gewesen sein. Eine Gefahr ist gegenwärtig, wenn ein Zustand gegeben ist, dessen Weiterentwicklung den Eintritt eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden. 31Auch dies ist vorliegend gegeben, da der zweite Schlag mit dem Stein unmittelbar bevorstand.
Neben der Notstandslage ist auch die Notstandshandlung zu prüfen.
aa) Beeinträchtigung eines Rechtsguts
Dabei müsste B ein fremdes Rechtsgut beeinträchtigt haben, was durch das Umrennen des R und der damit verbundenen Beeinträchtigung von dessen körperlicher Unversehrtheit der Fall ist.
Diese Beeinträchtigung müsste, um gerechtfertigt zu sein, erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist von allen zur Gefahrenabwehr geeigneten Mitteln nur das für den von der Notstandshandlung Betroffenen mildeste. 32Laut Sachverhalt gab es keine andere Fluchtmöglichkeit für B als diejenige, die zum Umrennen des R führte, so dass die Notstandshandlung auch erforderlich war.
Nach § 34 S. 1 StGB müsste nun jedoch das geschützte Interesse, hier also das Interesse des B, dem möglicherweise zweiten, tödlichen Schlag zu entkommen, das beeinträchtigte Interesse, also das Interesse des R auf seine körperliche Unversehrtheit, wesentlich überwiegen. Vergleicht man die beiden Rechtsgüter, so ist festzustellen, dass das geschützte Rechtsgut Leben das beeinträchtigte Rechtsgut körperliche Unversehrtheit wesentlich überwiegt.
Schließlich müsste die Beeinträchtigung der Rechtsgüter des R aber nach § 34 S. 2 StGB auch angemessen gewesen sein. Dies ist anhand der Gesamtrechtsordnung zu bewerten. Vorliegend bestehen jedoch keinerlei Zweifel an der Angemessenheit des Verhaltens des B.
Klausurhinweis: Die Angemessenheit nach § 34 S. 2 StGB ist nicht gleichbedeutend mit der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB und darf auch nicht verwechselt werden mit der aus dem Eingriffsrecht bekannten Angemessenheitsprüfung in der Verhältnismäßigkeit.
c) Subjektives Rechtfertigungselement
In subjektiver Hinsicht müsste B gehandelt haben, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwehren. Vorliegend rannte er R um, um dem zweiten Schlag zu entkommen, um also die ihm drohende Gefahr abzuwehren.
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