Zu prüfen ist, ob der Erfolg T auch objektiv zuzurechnen ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen hat, das sich im tatbestandsmäßigen Erfolg niedergeschlagen hat. 8T hat durch den Faustschlag ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen, das sich auch im tatbestandsmäßigen Todeserfolg niedergeschlagen hat. Folglich ist der Erfolg T auch objektiv zurechenbar.
Somit ist der objektive Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB erfüllt.
2. Subjektiver Tatbestand
S müsste auch den subjektiven Tatbestand erfüllt haben.
Hierfür müsste er vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. 9Vorliegend wusste T um die Möglichkeit, dass sein Faustschlag gegen die Schläfe tödlich sein könnte. Gleichwohl hat er sich mit diesem Risiko abgefunden und es somit zumindest billigend in Kauf genommen. Damit hat er zumindest mit Eventualvorsatz und damit vorsätzlich gehandelt.
Der subjektive Tatbestand ist somit erfüllt.
Fraglich ist, ob T rechtswidrig gehandelt hat. Rechtswidrig handelt, wer sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.
T könnte vorliegend in Notwehr gemäß § 32 StGB gehandelt haben.
Dafür müsste eine Notwehrlage bestanden haben.
Zu prüfen ist, ob ein Angriff auf T vorlag. Ein Angriff ist jedes willensgetragene Verhalten eines Menschen, das ein rechtlich geschütztes Interesse zu verletzten droht. 10Vorliegend versuchte O, den T mit Tritten im Unterleib zu treffen. Dies stellt ein willensgetragenes menschliches Verhalten dar, welches die körperliche Unversehrtheit des T zu verletzten drohte. Demnach lag ein Angriff vor.
Fraglich ist, ob der Angriff auch gegenwärtig war. Gegenwärtig ist der Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. 11Die Tritte von O in Richtung des Unterleibes des T fanden gerade statt bzw. dauerten noch an. Demnach war der Angriff gegenwärtig.
Der Angriff des O müsste auch rechtswidrig gewesen sein. Das wäre der Fall, wenn er nicht seinerseits durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt gewesen wäre. 12
In Betracht kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß § 32 StGB.
Klausurhinweis: An dieser Stelle gilt es nun, den Überblick nicht zu verlieren, denn innerhalb der Notwehrprüfung des T wird nun eine Notwehrprüfung des O vorgenommen (sog. Inzidentprüfung oder Schachtelprüfung). Dies wird durch eine konsequente Gliederung erleichtert.
Zu prüfen ist, ob für O eine Notwehrlage vorlag.
Fraglich ist, ob ein Angriff auf O vorlag.
Klausurhinweis: Definitionen müssen nicht ständig wiederholt werden, wenn diese bereits einmal wiedergegeben worden sind. Allenfalls ist auf die bereits erfolgte Definition hinzuweisen.
T hat O gegen die Wand gedrückt und gewürgt, so dass dieser kaum noch Luft bekam. Dies stellt ein willensgetragenes menschliches Verhalten auf das Individualrechtsgut der Gesundheit und des Lebens von O dar. Demnach lag ein Angriff des T auf O vor.
Der Angriff des T müsste auch gegenwärtig gewesen sein. Das Würgen des O durch T fand gerade statt und dauerte noch an. Demnach war der Angriff des T auch gegenwärtig.
Fraglich ist, ob der Angriff des T auch rechtswidrig war. Für den Angriff des T durch das Drücken gegen die Wand und das Würgen sind jedoch keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Insbesondere liegt allein in einem Streitgespräch kein Angriff vor. Demnach war der Angriff des T auch rechtswidrig.
Somit lag für O eine Notwehrlage vor.
Es müsste auch eine Notwehrhandlung vorgelegen haben.
Zu prüfen ist, ob eine Verteidigung vorlag. Verteidigung ist jedes Verhalten, das sich gegen die Rechtsgüter des Angreifers richtet. 13Vorliegend richteten sich die Tritte des O gegen die Rechtsgüter des Angreifers T. Demnach lag eine Verteidigung vor.
Klausurhinweis: Der Prüfungspunkt der Verteidigung kann in Fällen, in denen sich diese – wie hier – offensichtlich gegen Rechtsgüter des Angreifers richtet, auch gänzlich weggelassen werden.
Die Verteidigung müsste auch erforderlich gewesen sein.
Dies setzt zunächst voraus, dass die Verteidigung geeignet war, den Angriff abzuwehren. Dies wäre der Fall, wenn sie hierzu förderlich gewesen wäre. Die Tritte waren zur Abwehr des Angriffs förderlich. Demnach war die Verteidigung geeignet.
Zudem dürfte kein milderes Mittel zur Verteidigung existieren, welches zur Abwehr des Angriffs gleich wirksam gewesen wäre. 14Vorliegend wurde O von T gegen die Wand gedrückt und gewürgt, so dass O keine Luft mehr bekam. Mildere Mittel als die versuchten Tritte in den Unterleib, die angesichts der Situation des O gleich wirksam zur Beendigung des Angriffs geführt hätten, waren vorliegend nicht ersichtlich. Demnach war die Verteidigung insgesamt auch erforderlich.
Klausurhinweis: Im Gegensatz zu einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist bei der Notwehr keine Güterabwägung (entsprechend der eingriffsrechtlichen Angemessenheit) vorzunehmen. 15
Die Verteidigung in Form der versuchten Tritte müsste auch geboten gewesen sein. Geboten ist eine Verteidigung, wenn diesbezüglich keine sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts bestehen. 16Solche Einschränkungen waren vorliegend nicht ersichtlich. Demnach war die Verteidigung des O auch geboten.
Klausurhinweis: Keinesfalls ist es im Rahmen der Gebotenheit angebracht, die Fallgruppen, bei denen sozialethische Einschränkungen in Betracht kommen, vollständig aufzuzählen, wenn für deren Vorliegen – wie hier – keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Nur wenn ernstlich eine Einschränkung der Notwehr in Betracht kommt, ist dies vertieft anhand der bekannten Fallgruppen zu erörtern.
cc) Subjektives Rechtfertigungselement
Letztlich müsste zudem das subjektive Rechtfertigungselement vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn O in Kenntnis der Notwehrlage und mit Verteidigungswillen gehandelt hätte. O handelte vorliegend in Kenntnis der Notwehrlage und um sich gegen das Würgen des T zu verteidigen. Demnach liegt auch das subjektive Rechtfertigungselement vor.
Zwischenergebnis 1
Demnach hat O bei der Ausführung der Tritte in Notwehr gehandelt. Sein Angriff auf T war daher nicht rechtswidrig.
Zwischenergebnis 2
Mangels eines rechtswidrigen Angriffs durch O bestand für T somit keine Notwehrlage. Also hat T vorliegend nicht in Notwehr gemäß § 32 StGB gehandelt. Demnach kann T sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen.
T handelte rechtswidrig.
Auch Entschuldigungsgründe kommen vorliegend nicht in Betracht. T handelte folglich auch schuldhaft.
T hat sich wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er O einen Faustschlag gegen die Schläfe verpasste.
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