Fraglich ist, ob M auch Vorsatz bezüglich der Herbeiführung der schweren, dauerhaften Verletzung hatte. Laut Sachverhalt hat er diese zwar nicht beabsichtigt und auch nicht als sicher vorhergesehen, er war sich aufgrund seiner Kraft jedoch des Risikos bewusst und hat die Folge billigend in Kauf genommen. Eventualvorsatz ist somit anzunehmen. Während § 226 Abs. 2 StGB wegen der fehlenden Absicht und Wissentlichkeit nicht gegeben ist, ist der subjektive Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt.
Klausurhinweis: Liegt Vorsatz bezüglich der Erfolgsqualifikation des § 226 StGB vor, so ist zwischen dem direkten Vorsatz ersten und zweiten Grades (Abs. 2) und Eventualvorsatz (Abs. 1) zu unterscheiden. Die Prüfung kann dann aber genauso aufgebaut werden, wie bei der Qualifikation des § 224 StGB. Anders verhält es sich, wenn es am Vorsatz hinsichtlich der schweren Folge fehlt, diese aber fahrlässig herbeigeführt wurde (zum Aufbau einer solchen Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination siehe Fall 13).
Zu prüfen ist nunmehr, ob M auch rechtswidrig gehandelt hat oder ob er durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist.
Man könnte vorliegend daran denken, dass M durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt ist.
Voraussetzung für eine Rechtfertigung wegen Notwehr ist zunächst das Bestehen einer Notwehrlage.
Dies setzt zunächst einen Angriff voraus. Unter einem Angriff versteht man die Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten. 52Vorliegend wurde M von K zunächst zu Boden gestoßen und dann minutenlang festgehalten und weiter zu Boden gedrückt. Bedroht bzw. sogar beeinträchtigt wurden damit die rechtlich geschützten Interessen des M auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Ein Angriff seitens des K auf M ist also anzunehmen.
Dieser Angriff müsste aber auch gegenwärtig gewesen sein, er müsste also entweder bereits begonnen haben oder zumindest unmittelbar bevorstehen. 53Nicht jedoch dürfte er schon abgeschlossen sein. Der Angriff hat mit dem Umwerfen begonnen, ist angesichts des weiteren Festhaltens noch nicht abgeschlossen gewesen, so dass er als gegenwärtig bezeichnet werden kann.
Schließlich müsste der Angriff aber auch rechtswidrig gewesen sein. Das heißt, der Angreifer dürfte bei seinem Handeln selbst nicht gerechtfertigt gewesen sein. 54Für eine solche Annahme gibt es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere führt die Sorge um seine Beziehung nicht dazu, dass K berechtigt war, dergestalt auf M einzuwirken.
Eine Notwehrlage im Sinne des § 32 StGB kann mithin zu Gunsten des M angenommen werden.
Zu prüfen ist ferner die Notwehrhandlung des M.
M müsste sich gegen den Angreifer verteidigt haben. M hat sich mit seinem Verhalten unmittelbar gegen den ihn angreifenden K verteidigt, 55was eine Notwehrhandlung darstellt.
Fraglich ist jedoch, ob diese Notwehrhandlung auch erforderlich war. Das wäre dann der Fall, wenn sie das mildeste, geeignete Mittel zur Abwehr des Angriffs darstellt. 56Zwar war das Verhalten des M dazu förderlich und damit geeignet, den Angriff durch K wirksam abzuwehren. Es müsste aber auch das mildeste aller geeigneten Mittel gewesen sein. M hat von Beginn an erkannt, dass er sich mit einem einfachen Griff aus der Umklammerung hätte lösen, so also den Angriff des K abwehren können. Dies hätte nur zu unwesentlichen Schmerzen bei K geführt. Eine solche Abwehr wäre also genauso geeignet, aber deutlich milder gewesen als das tatsächliche Vorgehen des M unter Inkaufnahme schwerer, bleibender körperlicher Schäden bei K. Die Notwehrhandlung des M war somit nicht erforderlich.
M ist folglich nicht wegen Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt. Weitere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich, so dass M rechtswidrig gehandelt hat.
Klausurhinweis: Anzusprechen sind immer alle in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe. Man könnte vorliegend noch an den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB denken. Dies erscheint vorliegend jedoch unnötig. Wenn überhaupt sollte ein kurzer Hinweis genügen, dass auch dieser Rechtfertigungsgrund die Erforderlichkeit des Verhaltens zur Abwehr der Gefahr voraussetzt („nicht anders abwendbar“), somit also auch nicht gegeben ist.
M könnte aber entschuldigt sein. Fraglich ist, ob ein Entschuldigungsgrund gegeben ist.
1. Notwehrexzess, § 33 StGB
In Betracht kommt der Entschuldigungsgrund des Notwehrexzesses nach § 33 StGB. Entschuldigt ist demzufolge der Täter, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet.
a) Überschreitung der Grenze der Erforderlichkeit
Wie soeben festgestellt, befand sich M zwar in einer Notwehrlage, er hat aber nicht das mildeste geeignete Mittel zu seiner Verteidigung genutzt, er hat also die Grenze der Erforderlichkeit überschritten, weshalb er nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist. Man spricht diesbezüglich auch von einem intensiven Notwehrexzess.
b) Asthenischer Affekt (Verwirrung, Furcht oder Schrecken)
Ein solcher intensiver Notwehrexzess führt aber nur dann zur Entschuldigung, wenn er aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken geschieht, wenn dem Verhalten des Angegriffenen also ein asthenischer Affekt zugrunde liegt. Im vorliegenden Fall ist jedoch genau dies nicht gegeben. Vielmehr überschreitet M nur deshalb die Grenzen der Erforderlichkeit seiner Notwehrhandlung, weil er F imponieren möchte. Es fehlt also am nötigen asthenischen Affekt, weshalb M nicht durch § 33 StGB entschuldigt ist.
Mangels ersichtlicher anderer Entschuldigungsgründe handelte M also auch schuldhaft.
M hat sich somit durch das Drehen und Quetschen der Hand des K wegen schwerer Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht.
Hundefreund Rudi (R) hat sich einen Rottweiler namens Rambo angeschafft, den er auf seinem Gartengelände hält, welches nach außen mit hohen Mauern gesichert ist. Als der Briefträger jedoch eines Tages das Tor nicht ordnungsgemäß verschließt, verspürt Rambo einen Freiheitsdrang. Er bemerkt das nicht verschlossene Tor und geht in der Stadt auf Erkundungstour. Dort ist er jedoch von den vielen blinkenden Lichtern überfordert und dreht durch. Er geht auf den Passanten Paul (P) los und will diesen beißen. P weiß sich nur dadurch zu helfen, dass er Rambo die mitgeführte massive Blumenvase seiner Nachbarin, die er gerade für diese zur Restauration bringen wollte, mit voller Wucht über den Schädel zieht. Rambo verstirbt sofort infolge des Schlages. An der Vase bricht infolge des Schlages ein Stück des Randes ab. Ansonsten bleibt sie unversehrt. Beide Folgen hatte P für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen.
Prüfen Sie gutachterlich die Strafbarkeit des P.
Etwaig erforderliche Strafanträge sind gestellt.
Lösungsskizze
Tatkomplex 1: Der verstorbene HundStrafbarkeit des P nach § 303 Abs. 1 StGB?
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