• Meteorologischer Schutz (Kälte, Hitze Feuchtigkeit)
• Schutz vor schädigenden Organismen
• Schutz vor fremdem Zugriff anderer Personen
• Schutz vor olfaktorischen, sensorischen, optischen Beeinträchtigungen
• Bewahrung der Privat- und Intimsphäre
2.3.2 Was bedeuten diese Ausführungen für unseren Fall Meier?
Die Generation der Meiers ist geprägt von frühen Verlusten von Menschen, Wohnraum und radikalen Veränderungen der Örtlichkeiten entweder durch Flucht oder kriegsbedingte Zerstörungen. Oftmals gestaltete sich die Wohnungssuche nach dem Krieg als schwierig, der Städte- und Wohnungsbau befanden sich noch im Aufbau. Umso mehr gewinnt in den Jahren des Aufbaus der Ort, an dem die Meiers leben sowie die Wohnung oder das Haus und deren Ausgestaltung, an enormer Bedeutung. Der von Cheney genannte Begriff der »Storied Residence« als ein Ort der jeweils persönlichen Geschichte der Meiers untermauert das Schutzmerkmal der Privatheit und betrachtet einen Zugriff von fremden Personen kritisch (Cheney 1989). Privatheit, als Rückzug aus dem globalen Geschehen bekommt so eine neue Gewichtung.
Hannah Arendt schreibt in ihrem Aufsatz »zum Raum des Öffentlichen und dem Bereich des Privaten«, dass Privates der Gegenentwurf zum öffentlichen Raum ist. Wer nur in einem privaten Raum lebt, der wird um wesentliche menschliche Dinge beraubt. Gegenständliche Beziehungen, die sich nur in der Interaktion mit anderen Menschen ergeben, eine Einstellung zu den Dingen, die einen umgeben, zu entwickeln werden in totaler Privatheit schwierig (vgl. Ahrendt 1960, S. 420). Der Privatmensch lebt in der Abwesenheit von Anderen, er wird somit nicht gesehen und gehört, was er tut oder lässt ist ohne Folgen oder Bedeutung.
In Bezug auf das Ehepaar Meier geschieht hier eine Art Assimilation, in den für die Öffentlichkeit unsichtbaren Raum, die auch die Arbeit der professionellen Pflege im ambulanten Arbeitsbereich betrifft. Nahezu unsichtbar vom gesellschaftlichen Geschehen werden 2,6 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland zuhause pflegerisch versorgt, dies sind 76 % aller Pflegebedürftigen in Deutschland (Pflegestatistik 2017).
Seit Einführung der Pflegeversicherung haben die äußeren Einflussfaktoren, wie die Vorstellungen von Politik und Gesellschaft, in welcher Art und Weise Pflege im privaten Raum zu sein hat, stark zugenommen. Einige Wirkgefüge dieser abstrakten und verkürzten gesetzlichen Regelungen werden in den folgenden Kapiteln weiter ausgeführt.
Betrachtet man die vier Metaparadigmen 8 (Person, Umwelt, Gesundheit, Pflege) der klassischen Pflegetheorien, auf die ich immer wieder eingehen werde, so findet hier das Metaparadigma der Umweltkomponente ihren Platz. Demnach ist es gerade für professionelles Pflegepersonal im ambulanten Pflegeberich nicht unbedeutend, in welcher Umgebung die Menschen versorgt werden. Die Umgebung beeinflusst die Patienten und deren pflegende Angehörige. Die Form der Interaktionen mit Freunden, Nachbarn, Familienangehörige sind wichtige Bestandteile ebenso wie die ökonomischen, geografischen, kulturellen Gegebenheiten. Diese Faktoren beeinflussen neben personenbedingten Einflussfaktoren den Status der Gesundheit/Krankheit einer Person (Johnston 2017).
Das moralische und ethische Handeln der Pflege ist nach Elizabeth Peter nicht nur von der Beziehung zum Patienten geprägt, sondern auch von dem Standort und dem Milieu, indem die Pflege stattfindet. Dieser Standort kann dabei für die Pflege fördernd oder behindernd sein. Diese Aspekte erfahren professionell Pflegende jeden Tag in der ambulanten Pflege. Wenn das Ehepaar Meier ökonomische Probleme hat oder nicht in der Lage ist, sich umfassend über ihre Möglichkeiten in ihrer Rolle als Leistungsempfänger zu informieren, dann nimmt die Beratung neben den pflegerischen Aufgaben einen großen (unbezahlten) Raum ein (Peter 2002).
Ein weiterer Einflussfaktor der die Bedeutung des Raumes hervorhebt, ist das aus der Umweltethik bekannte Phänomen des »Crowdings« 9 , d. h. Beengungsstress (Schulz-Gambard 2002). Schlechte und beengte Wohnverhältnisse, die nicht angepasst werden können, die z. B. die notwendige Mobilisation aus dem Bett verhindern. Wenn die Wohnung der Meiers sehr klein ist, sind Rückzugsräume für die pflegenden Angehörigen, aber auch für den Pflegebedürftigen selbst, nahezu ausgeschlossen. Neben dem Stress, den die pflegerische Versorgung mit sich bringt, ist für beide vielleicht die Nachtruhe ständig gestört, weil es keine Möglichkeit gibt, ein Pflegebett für den Pflegebedürftigen woanders aufzustellen. Überhaupt ist es für professionell Pflegende immer wieder schwierig, das Ehepaar Meier zu einer Veränderung des Wohnumfeldes zu bewegen. Das »berühmte« Pflegebett im Wohnzimmer ist ein klassisches Beispiel dafür.
Die Passung zwischen Mensch und Umwelt ist ohne das »In-Beziehung-Treten« und dem Wechsel zwischen der Innen- und Außenorientierung nicht möglich.
»Deshalb ist das Ziel pflegerischer Interventionen, die Umgebung und/oder den Lebensprozess von Menschen zu fördern, erhalten, regulieren oder zu verändern, um einem oder beiden Veränderungen in Gang zu bringen.« (Fawcett 1999, S. 197). Gerade in der ambulanten Pflege ist das kulturelle und je milieuspezifische Weltbild, z. B. im Fall des Ehepaars Meier, für die Ausgestaltung des Care-Arrangements von Bedeutung. Das Verhältnis zwischen der Welt und dem Zuhause von Menschen soll im nächsten Kapitel betrachtet werden.
2.3.3 Conditio humana – die Beziehung des Menschen zur Welt
Um verstehen zu können, warum die Pflege zuhause einer speziellen Handlungslogik unterliegt, werden im Folgenden das Menschsein und der Mensch in der Welt betrachtet. Dabei geht es um die Grenze zwischen dem privaten Raum und der Welt, kurzum dem »drinnen und draußen«. Entwicklungsgeschichtlich strebt der Mensch aus Angst vor Lebensbedrohungen seit je her nach Schutz und Sicherheit (Mitzerlisch 2013). Gleichzeitig war es jedoch für die Nahrungsaufnahme wichtig, in die Welt zu gehen. Später ergab sich aus diesem Bestreben der Wille, die Welt zu erkunden und zu erforschen. Diese Bestrebungen sind bis heute immer noch vorhanden. Eine ausschließliche Auseinandersetzung mit sich selbst ohne Einbezug der Um-Welt, führt zum Tod durch Verhungern oder Verdursten. Der Mensch ist bis heute darauf angewiesen, mit der Welt in Beziehung zu treten, sei es aus Gründen der Nahrungssuche, der Erwerbstätigkeit, des Willens zur Kontaktaufnahme zu anderen Menschen oder Tieren, Pflanzen, Gegenständen. Patricia Benner und Judith Wrubel (1997) bezeichnen in ihrem Werk, ausgehend von den Gedanken Heideggers, dass für den Menschen »das In-der-Welt-sein« existenziell ist.
Weitere Überlegungen zu diesen Aspekten bietet die philosophische Anthropologie. Sie fragt unter anderem nach dem Verhältnis von Natur zu Kultur und versucht Erklärungen für die Position des Menschen in der Welt (Conditia humana) zu finden 10 . Hier stehen sich zwei unterschiedliche Weltbilder 11 gegenüber, mit denen der Mensch konfrontiert ist; zum einen das mechanistische naturwissenschaftliche geprägte und zum anderen das lebensphilosophisch orientierte Weltbild. Diese Betrachtung ist keineswegs banal, denn sie hat bis heute Auswirkungen auf das heutige Gesundheitssystem, in dem die Pflege einen breiten Raum einnimmt. Die Beziehung, die der Mensch zur Welt hat, speist sich nicht alleine nur aus den obengenannten Weltbildern, sondern wird kulturell, individuell beeinflusst und ständig neu von Menschen ausgehandelt. Weltbilder können konträr, sich gegenseitig ergänzend, individuell oder gruppenspezifisch sein.
So haben über die Jahrhunderte verschiedene Philosophen, verbunden mit der Frage »Was ist der Mensch?«, die Weltbilder der jeweiligen Zeit geprägt. Exemplarisch für diesen Beitrag werden die Ausführungen der Philosophen Decartes und Heidegger vorgestellt. Selbstverständlich gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Philosophen, die sich in den unterschiedlichen Zeitepochen der Geschichte der beiden hier genannten Themen beschäftigt haben und somit auch verschiedener Kritik ausgesetzt waren.
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