1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 »Weil wir das nicht so machen«, erklärte sie. »Die Katakomben, die sind ein Erlebnis, jedes Mal, selbst für Pascal und mich. Da rennt man nicht einfach so durch. Du und Robert, ihr werdet es sehen. Ihr werdet es verstehen.«
ROB
Rob Stratton warf einen weiteren flüchtigen Blick über den Tisch auf Danièles Freund Will und versuchte, aus ihm schlau zu werden. Er war kein typischer Expat, nicht laut, nicht mit der Absicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Natürlich waren nicht alle amerikanischen Expatriates so; sie deckten das gesamte Spektrum ab, wie es Expatriates aller Nationen taten. Aber Amis konnten laut sein. Amis, dann Aussies, dann Spanier – besonders die Señoritas. So würde er sie auf der Lautstärkeskala einordnen. Die Schlimmsten von ihnen waren nicht nur laut, sondern passten sich nicht an. Wo immer sie hingingen, sie brachten ihr Geburtsland mit.
Rob dachte speziell an den Freund eines Freundes, einen Texaner, der im Import und Export tätig war und ein Vermögen damit verdient hatte, der französischen Bourgeoisie chinesischen Ramsch zu verkaufen. Er trug keinen Cowboyhut, das hätte ihn zum Gespött von ganz Paris gemacht, aber er trug diese super schrägen, spitzen Kuhlederstiefel. Man konnte die Blockabsätze noch einen Straßenzug weiter über die gepflasterten Wege klackern hören. Und als ob dieser Fashion-Fauxpas nicht genug wäre, sagte dieser Hanswurst alles immer überlaut. »Leutchen« dies und »Gleich geht’s los« jenes. Man wollte ihm dafür eine scheuern.
Wie auch immer, Verallgemeinerungen beiseite, Rob wollte Will mögen, er versuchte es, aber es war schwer, weil er wusste, wie viel Unbehagen – wenngleich unbeabsichtigt – er Pascal bereitete, der Danièle schon so lange anhimmelte, wie Rob ihn kannte.
Wäre er an Pascals Stelle, hätte er Will wahrscheinlich mittlerweile auf die Schnauze gehauen. Aber Pascal war ein Verehrer, ein Romantiker, wie auch immer man Typen nannte, die mehr Herz als Testosteron besaßen. Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.
Als Pascal Rob vor zwei Tagen angerufen und ihm seine missliche Lage geschildert hatte, hatte er versucht, so zu tun, als sei ihm die ganze Sache gleichgültig, aber es war offensichtlich, dass er am Boden zerstört war. Zunächst hatte Rob seine Einladung mitzukommen abgelehnt; er wusste, dass Pascal nur fragte, weil er nicht das fünfte Rad an seinem eigenen Wagen sein wollte; außerdem hatte seine Frau irgendein Arbeitsding vor und Rob hatte versprochen, auf die Mädchen aufzupassen.
Trotzdem ließ der kleine Mistkerl nicht locker, bot sogar an, einen Babysitter zu bezahlen, und Rob gab schließlich nach. Warum auch nicht? , hatte er gedacht. Pascal und Danny redeten schon seit Jahren andauernd über die Katakomben, und er fand es höchste Zeit, herauszufinden, was der ganze Wirbel sollte.
PASCAL
Pascal Gayet schlürfte eine Auster aus dem breiten Ende ihrer Schale und tat sein Bestes, um Danièle und den Amerikaner Will zu ignorieren. Er konnte noch immer nicht fassen, dass er wieder mal die Chance verpasst hatte, mit Danièle zusammenzukommen. Er hatte sich schon mit ihr verabreden wollen, als sie sich viele Jahre zuvor in Les Mines kennengelernt hatten. Allerdings war er damals in einer Beziehung gewesen und bis er sich getrennt hatte, hatte sie eine angefangen. Seither war es immer dasselbe: Wann immer sie single war, war er es nicht, und andersrum. Irgendwann war aus ihr und einem Tätowierer namens Marcel etwas Ernstes geworden, und die nächsten drei Jahre lang musste er sich anhören, wie Danièle sich darüber beschwerte, was für ein Arschloch der Kerl zu ihr war. Pascal sagte ihr mehrmals, sie solle ihn verlassen, aber sie hörte nie auf ihn. Dann, ein paar Monate später, trennte er sich von ihr , wegen einer Fernsehschauspielerin, die eine Rolle in so einer Kinderserie hatte, über eine Familie, die versucht, eine Frühstückspension zu führen. Pascal glaubte, das sei endlich seine Chance. Er und Danièle waren beide single. Er würde ihr ein paar Wochen Zeit lassen, um über Marcel hinwegzukommen, dann würde er ihr sagen, was er für sie empfand.
Bevor er das jedoch tun konnte, begann sie, ständig über diesen Amerikaner zu reden, mit dem sie diesen Tandemsprachunterricht machte. Offensichtlich mochte sie ihn. Sie hielt einfach nicht den Mund: Warum mag er mich nicht? Glaubst du, er ist schwul? Denkst du, er hat eine Freundin? Soll ich ihn nach einem Date fragen? Machen das amerikanische Frauen so? Bei Geburtstagsparty am Freitagabend hatte Pascal erwartet, dass ein Typ unwiderstehlicher Italiener mit ihr zusammen durch die Tür schlendern würde. Zu seiner Zufriedenheit war Will kein Fabio. Er hatte kurzes, unordentliches, schwarzes Haar, schien gut in Form zu sein; die Mädchen fanden ihn wahrscheinlich attraktiv. Aber Fabio? Auf keinen Fall.
Das hielt Danièle trotzdem nicht davon ab, um ihn herumzuscharwenzeln. Einmal hüpfte sie ihm direkt auf den Schoß, die Arme um seinen Hals geschlungen, lachend. Schließlich hielt Pascal es nicht mehr aus und verließ den Pub mit Danièles Freundin Fanny. Sie war nicht hübsch, er hatte keinen Sex mit ihr, er wollte nicht. Er suchte nur Gesellschaft – das, und er wollte, dass Danièle es herausfand, aber wenn das so war, erwähnte sie es nicht.
Auf der anderen Seite des Tisches saß Danièle schnurgerade da, die Hand vor sich ausgestreckt, die Finger gespreizt, während sie davon erzählte, wie sie den russischen Botschafter in Frankreich am Place de la Bastille getroffen hatte. Sie war an dem Punkt angelangt, wo sie vorgegeben hatte, Russin zu sein, um Zugang zum VIP-Raum zu bekommen, wo sich all die Diplomaten während der Pause des Balletts kostenlosen Champagner hinter die Binde gossen. Offensichtlich versuchte sie, Will zu beeindrucken, der stoisch neben ihr zuhörte und in das Bier starrte, das er sich bestellt hatte.
Pascal schlürfte eine zweite Auster aus ihrer Schale und zerstreute sich eine Weile lang mit all den verschiedenen Möglichkeiten, auf die der Amerikaner heute Nacht in den Katakomben ein entsetzliches Ende finden konnte.
Die Rue Jean-Pierre Timbaud vor dem Restaurant war voller Lichter und Geschäftigkeit und Lärm. Wir gingen zwei Häuserblocks weit, bogen in eine Seitenstraße und liefen noch einen halben Block weiter, bis wir Pascals Karre erreichten: einen alten, ramponierten Volkswagen Camper. Pascal und Rob stiegen vorne ein, während Danièle und ich durch die Schiebetür in den hinteren Bereich kletterten. Wir setzten uns nebeneinander auf eine Bank, von der ich vermutete, dass sie sich zu einem Bett umklappen ließ.
Ist das Pascals Liebesmobil? , fragte ich mich. Fährt er damit Mädchen nach Montmartre, füllt sie ab und vögelt sie hier hinten?
Links von mir befand sich eine lange Arbeitsplatte mit senkrecht hervorstehenden Griffen. Ich zog an einem, der einen Teil der Arbeitsplatte anhob, und entdeckte ein Waschbecken darunter.
Als Pascal auf die Straße fuhr und einen scharfen U-Turn machte, drehte Rob den Beifahrersitz herum, sodass er uns ansah, und öffnete einen Schrank unter der Arbeitsplatte, der einen Kühlschrank verbarg. Er schnappte sich drei belgische Biere und warf Danièle und mir je eins davon zu. »Auf zu den Katakomben!«, sagte er mit rauer Stimme.
Wir drückten die Laschen ein, stießen an.
Rob drehte sich wieder nach vorne und ließ Bob Dylan an der Stereoanlage klingen.
»Das macht Spaß, oder?«, fragte Danièle und beugte sich näher, damit ich sie verstehen konnte.
»Klar«, sagte ich.
Ich zog den schäbigen Chintzvorhang zurück und sah zum Fenster hinaus. Ich war noch nie mit dem Auto durch Paris gefahren, und während wir über eine breite Kastanienallee rumpelten, betrachtete ich die vielen an uns vorüberziehenden geschlossenen Geschäfte.
Читать дальше