»Ich darf es nicht sagen. Sie bringen mich um.«
»Das werde ich auch!« Davaron zögerte. War sie lebend nicht mehr wert? Er konnte ihr folgen und sich direkt zu ihren Auftraggebern führen lassen. »Nein, hör zu. Ich lasse dich am Leben, wenn du mir alles andere erzählst. Aber ich warne dich. Wenn du wieder lügst, werde ich dich nicht töten, sondern mit meiner Magie versengen, bis dein Fleisch nach Festtagsbraten riecht.«
»Ich schwöre beim Heiligen Hain. Ich werde die Wahrheit sagen!«
»Gut. Ist dieser Segen ein Chimärenzauber Imerons?«
Die Faunin wirkte unsicher. »Magie von Chimären, ja.«
»Nein, ich meine, dient er dazu, Kinder zu bekommen, wo keine Kinder entstehen dürften?«
»Warum sollte jemand keine Kinder haben dürfen?«
»Weil es wider die Natur ist – wie du!«
»Ich bin …«
»Deine Meinung interessiert mich nicht!« Eine theologische Diskussion mit einer Chimäre hatte ihm gerade noch gefehlt. »Wie lange spinnst du diesen Fluch schon um ihr Haus?«
»Kein Fluch«, beharrte die Faunin. »Ein guter, ein starker Segen.«
»Wie lange!«, herrschte Davaron sie an.
»Seit dem letzten Neumond.«
Das ist schon fast ein ganzer Mond … »Du lügst! Nie hättest du so lange unbemerkt herumschleichen können.« Seine Hand zuckte vor Wut. Wieder glaubte er, Blut an der Klinge zu sehen.
Die Faunin sog angstvoll Luft ein. »Ich sage die Wahrheit. Wirklich. Ich musste nicht jede Nacht kommen, damit der Segen wirkt.«
Dann kann es längst zu spät sein … »Warum, du verdammtes Miststück? Was habt ihr davon, wenn sie Athanors …« Er brach ab. Falls er mit seinem Gebrüll jemanden angelockt hatte, musste es nicht gleich Stadtgespräch werden, dass Elanya womöglich den Bastard eines Menschen in sich trug.
»Ich weiß es nicht«, behauptete die Faunin. »Sie sagen, es ist für Imeron.«
Davaron war versucht, ihr doch noch den Dolch in den Hals zu jagen. Aber wahrscheinlich wusste sie wirklich nicht mehr. Sie war nur eine Figur, die von den Harpyien über das Spielbrett geschoben wurde.
»Ist da jemand?«, rief eine fremde Stimme.
Davaron hatte keine Lust, dämliche Fragen zu beantworten. Er drückte seine Gefangene mit dem Fuß auf den Boden, bis er aufgestanden war, dann gab er sie frei. »Verschwinde!«
Die Faunin sprang auf und rannte davon. Sobald es dämmerte, würde er ihrer Spur folgen.
* * *
»Heilige Götterschmiede!« Vindur warf einen besorgten Blick zum Himmel, obwohl durch die Baumkronen nur blaue Sprenkel zu sehen waren. »Unseren fröhlichen Jagdausflug hab ich mir anders vorgestellt. Du hast seit heute Morgen nur drei Sätze gesagt.«
»Drei?« Athanor erinnerte sich nicht daran. Vielleicht hatte er Vindur sogar eine Weile vergessen.
»Ja. Sie lauteten: Hör auf, ständig zum Himmel zu starren. Zum Dunklen mit allen Elfen. Und: Hör auf, ständig zum Himmel zu starren.«
»Ich glaube, den hattest du schon.«
»Nein, der kam zweimal.«
»Hm.«
Vindur schüttelte den Kopf. Vermutlich war er der einzige Jäger Ardaias, der auf der Pirsch einen Helm trug, aber vermutlich war er auch der einzige Zwerg, der unter freiem Himmel jagte.
»Ich habe mir das auch anders vorgestellt«, gab Athanor zu. »Eine Sauhatz ohne Spieß!« Anklagend hob er den Bogen, den er in der Hand hielt. Er hatte sich die Ausrüstung bei den Jägern Ardareas leihen wollen, doch nach dem Zwischenfall auf dem Fest schien es ihm kein guter Einfall zu sein, ausgerechnet nach Waffen zu fragen.
»Was soll’s? Du schießt den Keiler an, und ich gebe ihm den Rest. Das wird schon.« Zuversichtlich tätschelte Vindur seine Axt.
Hatte der Zwerg schon einmal ein Wildschwein gesehen? Athanor beschloss, lieber nicht danach zu fragen. Ein Krieger, der mit seinen Spießgesellen gegen einen Troll angerannt war, würde auch mit einem Keiler fertig werden.
Dass er schon wieder schweigend durch das Laub des Vorjahrs stapfte, merkte Athanor erst, als Vindur erneut das Wort ergriff.
»Elanya war wohl nicht bereit, den Streit beizulegen.«
»Sie war nicht da.« Als Athanor das Gästehaus am Morgen betreten hatte, um das Festgewand durch etwas Schlichteres zu ersetzen, war vom Herdfeuer noch etwas Rauch aufgestiegen. Sie musste kurz zuvor fortgegangen sein. »Das hat nichts zu bedeuten«, sagte er, als Vindur nichts erwiderte. »Sie ist Heilerin. Sie kann zu einem Kranken gerufen worden sein.«
Vindur brummte nur. Über ihnen rauschte ein leichter Wind in den Bäumen, woraufhin der Zwerg wieder sorgenvoll unter seinem Helm hervorlugte. Doch er ging tapfer weiter, ungeachtet dessen, was seine Ängste ihm einflüstern mochten.
Allmählich wurden die Schatten wieder länger. Athanor hatte nichts dagegen. Je näher der Abend rückte, desto eher würden sie wieder auf Wild stoßen.
»Glaubst du, wir hätten heute zu Peredin gehen und etwas Schmalz an die Pilze geben sollen?«, fragte Vindur nach einer Weile.
Athanor schnaubte. »Nichts da! Zuerst sollen sich die Dreckskerle entschuldigen, die uns beleidigt haben.« Sein Blick fiel auf eine dunkle Linie vor ihnen im Laub. »Da, ein Wildwechsel!« Er hörte selbst, dass der Ausruf übertrieben begeistert klang, aber alles war besser, als noch mehr Gedanken an das aufgeblasene Pack zu verschwenden.
»Sind das Wildschweinspuren?«, fragte Vindur. Vom Fährtenlesen verstand er offenbar so viel wie Athanor von Bergbau.
Athanor musterte den schmalen Pfad, den unzählige Hufe und Tatzen ausgetreten hatten. Da die Tiere diesen Wegen von guten Futterplätzen zu Salzlecken oder Wasserstellen folgten, wurden sie manchmal über Generationen genutzt. Deshalb war der Boden so festgetrampelt, dass es nur bei feuchter Witterung möglich war, einzelne Spuren zu erkennen. »Wir haben Glück. Hier kommt öfter eine Rotte vorbei.« Athanor deutete auf die länglichen, paarweisen Abdrücke, die jedoch in beide Richtungen verliefen und etwa gleich frisch aussahen. Wohin sollten sie sich wenden? Zur Linken fielen mehr Sonnenstrahlen durch die Bäume. Das Unterholz war dichter. Vielleicht versteckte sich die Rotte dort im Gestrüpp. Athanor legte einen Pfeil auf. »Sehen wir mal hinter diesen Büschen nach.«
Sofort zog Vindur die Axt und setzte eine grimmige Miene auf. Dank des Wildwechsels konnten sie sich beinahe lautlos durch das Dickicht schieben. Schon bald erkannte Athanor, warum es vor ihnen heller war. Das Gesträuch säumte das Ufer eines kleinen Flusses, an den das Wild zum Trinken kam. Murmelnd rann das klare Wasser über Äste und Steine und lud förmlich dazu ein, selbst einen Schluck zu nehmen. Enttäuscht steckte Athanor den Pfeil in den Köcher zurück.
»Keine Schweine?«, fragte Vindur erstaunt. »Wir haben doch noch gar nicht gesucht.«
»In der Nähe ihrer Wasserstelle ruhen sie nicht. Füllen wir unsere Vorräte auf und versuchen es in der anderen Richtung.«
Gemeinsam traten sie aus dem Unterholz, und sogleich zuckte Vindurs Blick wieder gen offenen Himmel. Athanor schüttelte stumm den Kopf. Der Zwerg kam einfach nicht dagegen an.
Wo der Wildwechsel auf das Wasser stieß, war das Ufer zertrampelt und schlammig, weshalb Athanor ein paar Schritte flussaufwärts ging.
»Firas Flamme!«, stieß Vindur hinter ihm aus. »Das ist ein Drache!«
Athanor fuhr herum, dass Flusskiesel spritzten. Sein Freund beschattete die Augen mit der Axt und deutete zum Himmel. Hoch oben, so hoch, dass er trügerisch klein und harmlos wirkte, zeichnete sich der Umriss eines Drachen vor dem leuchtenden Blau ab. Schnell und schnurgerade zog er gen Südwesten. Was lag in dieser Richtung? Seit wann zeigten sich Drachen über den Elfenlanden? Davaron hatte damit geprahlt, dass sie es seit Jahrtausenden nicht mehr wagten.
»Er will nicht nach Ardarea«, stellte Vindur erleichtert fest.
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