Aber nicht nur die Engelsscharen und das Kerzenmeer deuteten darauf hin, dass sie wieder da war. Auch der himmlische Duft, der aus der Küche bis an Tigerles Körbchen heranzog und ihm in seine empfindliche Stupsnase stieg. Mmmh! Da durften ihm die Menschen nun wirklich nicht böse sein, wenn er in einem unbeobachteten Moment in die Vorratskammer schlüpfte, wo die süßen Leckereien aufbewahrt wurden. Mit einem kraftvollen, gezielten Tatzenhieb schubste er die Dose über die Regalkante. – Dong! Der Deckel der Blechdose sprang auf und schon konnte die Schlemmerei beginnen! Und dass das laute Scheppern Frauchen angelockt hatte, war für Tigerle auch kein Problem! Er legte ganz einfach den Kopf schief und blickte ihr tiiief in die Augen. „Ich habe ein wirklich, wirklich schlechtes Gewissen wegen dieses unglücklichen Missgeschicks“, hieß das in Tigerles Sprache. Da blieb Frauchen gar nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln, Tigerle unterm Kinn zu kraulen und sich mit einem Seufzen daran zu machen, die Kekskrümel vom Boden aufzulesen. Tigerle war ihr bei der Beseitigung der Brösel und des Zuckerstaubs natürlich gerne behilflich. Schleck, schleck! Gern geschehen, Frauchen, keine Ursache!
Ja, ja, man musste kein Wahrsager sein, um zu wissen, was in ein paar Tagen bevorstand. Tigerle genügten die Zeichen, die er rund um sich wahrnahm. Doch das untrüglichste aller Zeichen war wohl:
Der BAUM! Groß, grün und wohlriechend! Ein Stück Natur, Freiheit, Wildheit – mitten im Wohnzimmer!
Der BAUM, der Tigerle mit allerlei glänzenden Fäden lockte, die von seinen Ästen herabhingen. Beim leichtesten Luftzug begannen sie zu tanzen! Wie schön!
Der BAUM, der große, glänzende Kugeln trug, in denen sich der Kerzenschein spiegelte. Und wenn man sie mit der Pfote ganz leicht anstupste, begannen sie, lustig auf und ab zu hüpfen! Wie lustig! Gleich noch mal! Klirr – ups! Naja, es gab ja noch viele andere von den schönen Kugeln!
Und dann war es schließlich so weit: Das Haus war voller Menschen. Beim Essen fiel das ein oder andere Stück Fisch für Tigerle ab. Danach wurden Tigerles Lieblingsschlafplätze, die Frauchen allesamt am Nachmittag noch von seinen Haaren befreit hatte, von den Menschen belagert: die Couch, der Sitzhocker, der Schaukelstuhl. Doch das machte Tigerle nichts. Zielsicher steuerte er auf den Schoß von Frauchen zu, drehte sich dreimal im Kreis und rollte sich schließlich gemütlich darin zusammen. Die Menschen hoben zum Gesang an, der Opa brummte tief, die Tante flötete hoch, alle anderen lagen irgendwo dazwischen. Warum die Menschen das Lied „Stille Nacht“ nannten, verstand Tigerle zwar nicht – von still konnte bei dem Katzenjammer nämlich gar keine Rede sein –, doch das machte ihm nichts. Er wusste nämlich, nun dauerte es nicht mehr lang. Das Fest steuerte auf den Höhepunkt zu! Der wundervollste, zauberhafteste und am heißesten ersehnte Moment des ganzen Jahres stand kurz bevor! Es mussten vorher nur noch schnell die Geschenke ausgepackt werden (Tigerle war den Menschen dabei gerne mit seinen Krallen behilflich).
Und DANN – ja DANN – war es endlich so weit: Die Torte wurde serviert! Und auf einem kleinen Glasteller, ganz für Tigerle allein: Ein riiiesiger Berg Schlagsahne! Seine Augen wurden groß, als er die schneeweiße Leckerei sah, die sich vor ihm auftürmte, und das Wasser rann ihm in seinem Schnäuzchen zusammen. Hatte ihn seine Vorahnung also tatsächlich nicht getrogen, sie war wieder da: die SCHLAGSAHNEZEIT!!!
Barbara Sokolowsky wurde 1981 in Linz (Oberösterreich) geboren. Heute lebt sie mit ihrem Partner und ihren zwei Katzen in Gmunden am Traunsee und arbeitet als Lehrerin in einer Integrationsklasse. Bereits als Kind schrieb sie in ihrer Freizeit gerne Geschichten. Vor einigen Jahren entdeckte sie ihre Liebe zum Schreiben wieder und widmet sich seitdem gerne diesem Hobby.
*
Ausgerechnet Jana hatte er gezogen. Jana, die er überhaupt nicht mochte. Sie war vor einigen Wochen neu in die 7a gekommen und hatte noch immer keine Freunde gefunden. Kein Wunder, so wie die aussah! Sie hatte einen hässlichen Pottschnitt und trug immer dieselben Klamotten. Außerdem redete sie fast nie. In der Pause stand sie immer in derselben Ecke und starrte auf den Boden. Und jetzt musste Jan ihr ein Geschenk im Wert von fünf Euro kaufen oder selbst etwas basteln. So hatte es die Klasse beschlossen. Gleich von Anfang an hatte Jan die Idee doof gefunden. Doch insgeheim hatte er gehofft, dass er mit etwas Glück vielleicht Emilie ziehen würde. Emilie war der Star der Klasse. Alle Jungen waren in sie verliebt. Auch er. Sie sah einfach toll aus, hatte immer diese tollen Klamotten an und hatte in der Klasse den Cupsong eingeführt. Jetzt versuchten alle Schüler, genauso zu singen wie Emilie und dabei diesen dämlichen Becher im Rhythmus zu drehen. Sogar Jan hatte sich heimlich dabei ertappt, wie er das Klatschen und das Drehen des Bechers am letzten Wochenende in der Küche geübt hatte. Der Becher war dauernd auf den Boden gefallen und er hatte das mit dem Klatschen nicht kapiert. Seine Mutter hatte ihn ausgelacht. Alles nur wegen Emilie!
Je näher die Weihnachtsfeier rückte, desto unbehaglicher fühlte sich Jan. Er hatte keine Idee, was er Jana schenken sollte, und eigentlich wollte er ihr auch gar nichts schenken. Nachher würde man ihn vermutlich auslachen und ihn immer mit Jana in Verbindung bringen. Das durfte auf keinen Fall geschehen. So hatte er beschlossen, einfach so zu tun, als hätte er das Wichtelgeschenk vergessen. War ihm doch egal, ob Jana an dem Tag ein Geschenk bekam oder nicht.
Schließlich war der 21. Dezember gekommen und die Klasse feierte Weihnachten. Zuerst wurden einige Spiele gemacht, dann trug Emilie mit ihrer besten Freundin den Cupsong vor, anschließend schaute man sich noch einen Film an und aß Chips.
„So, Kinder!“, rief schließlich Frau Meier, die Klassenlehrerin, und klatschte fröhlich in die Hände. „Es ist Zeit, dass ihr euch die Geschenke gebt und dann habt ihr Ferien!“ Durch die Klasse ging ein Raunen. Jeder wühlte in seiner Tasche und stellte das mitgebrachte Geschenk schließlich auf einen kleinen Wagen. „Vergesst die Namensschilder nicht!“, rief Frau Meier in den allgemeinen Tumult. Wenige Minuten später durfte sich jeder sein Geschenk heraussuchen. Auch Jan steuerte auf den Wagen zu. Wer ihm wohl etwas gekauft hatte? Vielleicht Emilie? Doch nachdem er alle Geschenke durchgeschaut hatte, ging er etwas enttäuscht wieder auf seinen Platz zurück.
Frau Meier hatte ihn beobachtet. „Was ist los?“, fragte sie besorgt, als sie seinen traurigen Gesichtsausdruck sah.
„Jemand hat das Geschenk für mich vergessen!“, sagte er leise. Frau Meier verdrehte die Augen. Dann klopfte sie dreimal auf den Tisch und rief: „Hört mal alle her! Wer hat jetzt nichts zum Auspacken?“ In der hinteren Ecke meldete sich jemand. Jana. „Ihr beiden kommt kurz mit mir mit!“, sagte Frau Meier, die mit vergessenen Geschenken schon gerechnet hatte. „Ich habe im Kunstraum noch zwei Notfallgeschenke!“
Widerwillig gingen Jana und Jan hinter ihrer Lehrerin her. In der Schule herrschte heute eine eigenartige Stimmung. Es war alles so anders als sonst: Es duftete nach Plätzchen, aus manchen Klassenzimmern hörte man Weihnachtsmusik, alles wirkte still und friedlich. Jan spürte eine gewisse Magie und konnte sich nicht erklären, warum.
„Ihr müsst kurz warten, ich muss erst noch suchen!“, erklärte Frau Meier und war im Kunstvorbereitungsraum verschwunden. Jan ahnte bereits, was das bedeutete.
„Das kann dauern!“, hörte er sich plötzlich sagen.
„Wieso?“, fragte Jana leise. Ihm fiel auf, dass er noch nie ihre Stimme gehört hatte.
„Frau Meier findet fast nie etwas. Schon gar nicht im Kunstvorbereitungsraum. Wenn wir hier dieses Jahr noch raus kommen, haben wir Glück gehabt!“
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