Die Vorgehensweise dabei ähnelt sich: Der erste Schritt der Unternehmen ist es, zu zeigen, dass sie froh sind, auf die Talente und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter zählen zu können. Nichts motiviert und bringt unsere Gefühle auf positivere Hochtouren als diese Form von Wertschätzung. Die Begeisterung, die die Mitarbeiter von Kollegen und Vorgesetzten erfahren, berührt sie auf einer tiefen Ebene und überträgt sich direkt auf die eigene Stimmung. So entsteht eine starke Bindung an das Unternehmen, die auf der persönlichen Bindung zum Vorgesetzten beruht.
Menschen können tatsächlich zu begeisterten Anhängern oder »Followern« eines Unternehmens oder auch von Personen im Unternehmen werden. Was könnte man sich als Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels mehr wünschen?!
Im Institut für Führungskultur werden wir permanent zwei Dinge gefragt. Erstens: Wie schnell können wir das eigene Verhalten und das anderer ändern? Zweitens: Geht das überhaupt oder ist das Wunschdenken?
Jeder von uns beeinflusst ständig andere Menschen. Unabhängig davon, ob wir Führungskräfte, Kollegen, Partner oder Freunde sind: Das, was wir tun und sagen, hat immer irgendeine Wirkung auf unser Umfeld. Vielen ist das gar nicht bewusst. Wir entwickeln uns, indem wir auf das hören, was uns andere Menschen sagen, oder ihr Verhalten beobachten. Wir ahmen andere nach oder tun genau das Gegenteil – je nachdem, was wir aufnehmen und wie uns die Informationen übermittelt werden. Das kann sich in kleinsten Signalen äußern: Wir beobachten eine bestimmte Geste bei einem Menschen und kopieren diese, weil sie uns gut gefallen hat. Oder wir tun genau das Gegenteil davon, was unser Vorgesetzter uns erzählt, weil es uns nicht logisch erscheint.
Der Grund für diese mehr oder weniger bewusste ständige Orientierung im Außen: Wir Menschen wollen stets eine Bestätigung dafür, dass das, was wir tun, das Richtige ist. Wir suchen nicht nur Anerkennung, sondern auch Zustimmung in dem, was wir tun. Im Fall einer Führungskraft stellt sich das so dar: Wenn Mitarbeiter erkennen, dass jemand das auch vor lebt , was er vor gibt , wenn ihnen also jemand Gutes will, indem er ihre Talente entdeckt und fördert, dann löst er damit positive Gefühle in ihnen aus. Den jüngeren Generationen von Arbeitenden ist das sogar noch in deutlich höherem Maße wichtig als ihren Vorgängern im Arbeitsleben: Arbeit muss sich für sie gut anfühlen.
Das Marktforschungsinstitut Gallup hat in seinen jüngeren jährlichen Studien wiederholt herausgefunden, welch hohen Stellenwert die Arbeit für uns alle mittlerweile hat – früher war das einmal anders. Erstaunlicherweise rangiert der Job inzwischen schon vor Familie und Freizeit. Klar ist, dass die Digitalisierung uns dabei hilft, von überall arbeiten zu können. Insofern verschwimmen die früher recht klar gezogenen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit auch zunehmend. Darüber hinaus brauchen Menschen heutzutage mehr denn je Sinnstiftung in der Arbeit. Schaffen wir es, unseren Mitarbeitern zu vermitteln, wo ihr Talent im Team am besten zum Tragen kommt und dass wir bereit sind, es gemeinsam weiterzuentwickeln, erreichen wir damit als Führende genau diese Wirkung: Wir vermitteln Sinn.
»Influencer« – Krankheitsbild, Modeerscheinung oder ein neuer Typus Lebenskünstler?
Der eine oder die andere wird sich sicherlich noch an die Bravo-Poster in den Jugendzimmern meiner Generation erinnern. Sie waren eine begehrte Beigabe des Jugendmagazins Bravo , das bereits 1956 zum ersten Mal aufgelegt wurde und bis heute existiert. Das Kultmagazin mit damals fast einer Million Print-Auflage, die sich heute um über 90 Prozent reduziert hat, kam jeden Monat mit neuen Postern unserer Lieblingsstars. Besonders beliebt waren die Starschnitte: eine Art Poster-Puzzles in Lebensgröße von unseren Kultfiguren, verteilt auf mehrere Ausgaben. Wir sammelten sie akribisch, bis der Star schließlich komplett in unserem Zimmer an der Tür oder an der Wand hing – in Lebensgröße selbstverständlich, so real wie nur möglich.
Im digitalen Zeitalter geht das anders! Heute haben wir bessere Möglichkeiten, direkt mit unseren Idolen in Kontakt zu kommen oder ihnen mindestens – beinahe – in Echtzeit durch ihr Leben zu folgen. Was uns damals die Zeitschrift Bravo so gut wie eben möglich lieferte, leistet heute zum Beispiel die Onlineplattform Instagram – und das um Längen besser. Näher ran an die Stars kamen wir noch nie!
Auf »Insta« oder »IG« – so die liebevolle Abkürzung des Plattform-Namens unter begeisterten Nutzern – »folgen« wir unseren Lieblingen virtuell – den sogenannten Influencern. Wenn es geht, auch live bis ins Badezimmer. Und das Ganze inzwischen sogar via Bewegtbild, nicht nur via Foto, der Upload-Möglichkeit von Videos und den Momentaufnahmen, genannt »Stories«, sei Dank. Weil wir dem Tagesablauf unserer Influencer auf diese Weise auf Schritt und Tritt folgen können, vermitteln sie uns per Plattform das Gefühl, ganz nah an ihnen dran zu sein. Statt als Fans monate- und jahrelang ein und denselben Starschnitt unseres Idols anzuhimmeln, sind wir audiovisuell in Echtzeit unseren Influencern ganz nah und nehmen dabei die Rolle eines sogenannten Followers ein. In diesem Zusammenhang gibt es sogar den Ausdruck des »FOMO« (»Fear of missing out«): Wenn der Follower nicht ständig dabei ist, zum Beispiel mal eine Stunde oder einen halben Tag nicht »on« ist, hat er gleich das Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen. Der Begriff »FOMO« wird auch in anderen Zusammenhängen mit der digitalen Lebenskultur verwendet; der eine oder andere kennt das Gefühl vielleicht auch im Zusammenhang mit seinem E-Mail-Posteingang …
Firmen bezahlen Influencer mittlerweile sogar dafür, dass sie einen Lippenstift, eine neue Jeans oder ein Smartphone auf ihrem Instagram-Account in Szene setzen. Der neue Typus »digitaler Star« ist zu einem Geschäftsmodell geworden. Im letzten Jahr haben Unternehmen für diese Form der Vermarktung, genannt »Influencer-Marketing«, mehr als drei Milliarden Euro allein für die Plattform Instagram in die Hand genommen. 4
Schauen wir uns an, was Toan Nguyen dazu zu sagen hat. Er ist Partner bei der Werbeagentur Jung von Matt und hat kürzlich die weltweit größte Studie zum neuen Markt des Influencer-Marketings durchgeführt. 5Dafür hat er die 1200 bekanntesten neuen Werbeträger analysiert. Dabei kam er mit seinem Expertenteam zu der Überzeugung, dass nur die Influencer, die das engste Verhältnis zu ihren Followern haben, auch zukünftig von diesen Erfolgen getragen werden können.
Es sind die Fans, die ihre Vorbilder erfolgreich machen. Was früher das Poster aus der Jugendzeitschrift Bravo war, erledigt heute Instagram – nur eben viel effizienter und kleinteiliger steuerbar. Heute hat man durch die digitalen Möglichkeiten ein gefühlt engeres Verhältnis zu seinem Star. Wenn wir die Fotos oder Videos eines Influencers »liken« oder auch »sharen«, also mit anderen teilen, entsteht eine scheinbare Nähe, da es im Gegensatz zu früher zu einer Art Interaktion kommt. Die Psychologie nennt das eine »parasoziale Interaktion«. Gefühlt haben wir eine zeitlich aktuelle Bindung zu unseren Influencern, wir nehmen regelrecht an ihrem Leben teil. Je mehr von uns das tun, desto besser für die Absender: Die Anzahl der Follower und Likes macht Influencer mächtig.
Influencer sind nicht nur Promis, liebe Führungskräfte
Seinen Ursprung nahm die Begrifflichkeit »Influencer« übrigens bereits lange bevor es eine flächendenkende Nutzung sozialer Medien durch große Teile der Bevölkerung gab. Bereits 2001 verstand der US-amerikanische Psychologe und Marketingexperte Robert Cialdini unter einem Influencer »eine Person mit sozialer Autorität, Geschmack, Hingabe und als Mensch mit einem vertrauenswürdigen, in sich schlüssigen Verhalten« 6.
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