»Johannes!«, sagte Eusebius streng. Allmählich fühlte er sich ein wenig besser, obwohl er den Tee noch nicht angerührt hatte. »Ich bin kein Heiliger Vater. So nennt man nur den Papst.«
»Habt Ihr den Heiligen Vater gesehen?«, fragte der Knabe. Er stellte den Becher mit dem Heiltrank auf den Fußboden und schaute Eusebius in einer Weise an, die den Mönch sofort den Blick abwenden ließ. Es war nicht nur kindliche Wissbegier und ein ebenso kindlicher Eifer, die Eusebius in den Augen des Novizen gesehen zu haben glaubte. Eusebius galt als weit gereister Mann, und bei einem Knaben, den man in einen Konvent eingesperrt hatte, erregte ein solcher Mann natürlich ein gewaltiges Interesse. Aber Johannes schien noch etwas anderes von Eusebius zu erwarten, etwas, was er bei den anderen Männern im Konvent nicht fand – und was Eusebius beunruhigte. »Wie ist er?«, fuhr der Junge fort. »Was hat er gesagt? Vater, bitte erzählt mir vom Papst.«
»Ich habe nicht mit ihm gesprochen«, Eusebius schmunzelte. »Aber er mit mir.«
»Und?«, fragte der Knabe atemlos. »Was hat er gesagt?« »Benedicamus Patrem et Filium cum Sancto Spiritu«, sagte Eusebius.
»Vater, Latein kann ich auch nicht.« Johannes rang die Hände. »Ich will ja … Ich will lernen! Könnt Ihr mir nicht alles beibringen? Ihr kennt doch die Welt.«
Kenne ich sie?, fragte sich Eusebius. Ja, ich kenne sie. Und sie ist schmutzig. Habgier und Laster beherrschen sie, mordende und plündernde Landsknechte machen sie unsicher, Päpste, Könige, Kaiser streiten bis aufs Blut noch um das kleinste Stück Land. Sie sprechen vom Glauben und meinen doch immer nur Macht und Besitz.
»Lasset uns preisen den Vater und den Sohn samt dem Heiligen Geist«, murmelte er.
»Ja, das ist das Tedeum«, sagte Johannes eifrig. »Das kenne ich. Aber der Heilige Vater muss doch … Hat er denn nichts anderes zu Euch gesagt?«
»Nein.«
»Was? Ihr habt Euch mit dem Stellvertreter Gottes auf Erden getroffen, und er hat nur das Tedeum gesprochen?« Johannes schaute den Frater verständnislos an.
»Ja, mein Junge. Ecco, wie die Italiener sagen: So ist es! Es war während einer Generalaudienz. Paul III. nahm mich in der Menge nicht einmal wahr. Und die Audienz fand außerdem in der neuen Peterskirche statt, die ja noch eine Baustelle ist. Um nicht zu sagen ein Trümmerfeld. Ob sie wohl jemals fertig wird?«
»Dafür erhebt der Heilige Vater ja den Peterspfennig«, sagte der Novize.
Eusebius schmunzelte angesichts des Eifers, mit dem der Junge sein Wissen unter Beweis stellen wollte. »Ecco.« Er richtete sich mühsam auf. Es war möglich, ohne dass ihn Übelkeit überkam. »Wie alt bist du, Junge?«
»Fünfzehn.«
»Und wie lange im Konvent?«
»Seit sechs Jahren, Ehrwürdiger Vater.«
»Dann kennst du dich aus in der Stadt?«
»Ich verlasse das Kloster nur selten, Vater.« Johannes ging auf die Knie und zog Eusebius die Sandalen an. »Es gibt so viel zu tun. Ich muss vor jedem Stundengebet neue Kerzen aufstecken, ich muss die Kirche kehren und den Kreuzgang und den Klosterhof, ich muss dem Bruder Arzt im Kräutergarten zur Hand gehen und auch dem Bruder Koch. Na ja, und ich muss noch sehr viel lernen. Die vielen gelehrten Bücher im Armarium, die will ich irgendwann alle lesen. Wenn ich richtig lesen kann. Und Latein beherrsche. Aber der Bruder Kantor bringt es mir bei. Ich kann meinen Namen schreiben, und wenn ich mir sehr viel Mühe gebe, schaffe ich die erste Seite der Summa theologica .« Johannes schnürte die Sandalen zu und schaute Eusebius von unten traurig an. »Ich verstehe sie aber nicht«, gab er zu.
»Nicht mal die erste Seite?«
Der Novize schüttelte den Kopf.
»Ich werde dir alles erklären.« Eusebius entsann sich wieder des Auftrags, den Weihbischof Fannemann ihm erteilt hatte – bevor der Wein so reichlich geflossen war. »Aber du musst mir auch helfen, Johannes.«
»Gern, Vater.«
»Von dem Mord in der Badestube hast du gehört?«
»Ich war heute schon auf dem Markt. Die ganze Stadt spricht davon.«
»Und was sagt man?«
»Dass es eine abscheuliche Untat ist.« Johannes richtete sich auf.
»Sicher. Aber haben die Leute auch Mutmaßungen? Wen halten sie für den Täter?«
»Darüber reden sie doch nicht mit mir, Vater«, entgegnete Johannes. »Ich bin für sie ein Mönchlein. Die Leute mögen uns nicht. Sie glauben, dass wir uns auf ihre Kosten bereichern. Dabei besitze ich nichts. Nicht mal meine Kutte gehört mir.«
»Schau auf den Tisch«, verlangte Eusebius. Johannes tat es. »Dort siehst du eine Geldbörse. Nimm ein paar Groschen und beschaffe uns unauffällige Kleider.«
»Aber das darf ich nicht, Vater!«
»Johannes, kannst du schweigen?«
»Das jedenfalls hab ich hier gelernt.«
»Ich habe für den Weihbischof einen geheimen Auftrag zu erledigen«, sagte Eusebius. Das war ein wenig übertrieben, denn Geheimhaltung hatte Balthazar nicht verlangt. Aber es wirkte: Johannes machte große Augen, und seine Wangen röteten sich.
»Wir unterstehen aber nicht der Diözese, sondern direkt dem Papst«, sagte der Junge. »Der Weihbischof kann uns doch gar keinen Auftrag erteilen?«
»Einen geheimen schon«, behauptete Eusebius und ließ Johannes nicht aus den Augen. Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn ein bisschen Geheimniskrämerei bei einem neugierigen Jüngling nicht auf fruchtbaren Boden fiel. »Außerdem möchte der Prior doch, dass du mir zur Seite stehst?«
»Das möchte er.«
»Also tust du, was ich dir befehle. Und du schweigst!«
»An welche Art von Kleidung dachtet Ihr, Ehrwürdiger Vater?«
»An bürgerliche«, sagte Eusebius. »Aber schlicht.«
»Nun langt doch zu, lieber Waldemar!« Heinrich von Alfeld deutete auf den Rinderbraten mit Oliven und Senf. »Nicht dass Ihr hinterher sagt, Ihr hättet beim künftigen Schwiegervater Eurer Tochter Hunger leiden müssen.«
»Aber mein lieber Heinrich, ich bin satt.« Waldemar Klingenbiel lehnte sich erschöpft zurück. Nach der Biersuppe mit Brot hatte er Biber, Schwanenfleisch und Schweinskopf gegessen, alles erlesene Speisen. Heinrich von Alfeld wollte offensichtlich beweisen, wie gut es ihm ging. Klingenbiel, der Knochenhauer war wie Alfeld, sah mit nur einem Blick auf den Rinderbraten, dass das Fleisch ganz frisch war. Er zögerte. Erst einmal nahm er einen Schluck von dem guten Einbecker Bier.
»Wir könnten auch Wein trinken«, sagte von Alfeld.
»Ich bin zufrieden«, entgegnete Klingenbiel.
»Aber Ihr esst doch noch? Halb verhungert lasse ich Euch nicht gehen.«
»Nun denn.« Klingenbiel zückte sein Messer, schnitt eine dicke Scheibe vom Rinderbraten, bestrich sie mit Senf und belegte sie mit Oliven. Völlerei war eine Sünde, aber es wäre auch Sünde, den Braten kalt werden zu lassen.
»So gefallt Ihr mir«, meinte von Alfeld. »Es gibt dann auch noch Konfekt und Nüsse.«
»Und wir sind uns einig?«, fragte Klingenbiel, um sich noch einmal zu vergewissern, dass alles Wichtige verhandelt worden war; immerhin ging es um die baldige Hochzeit seiner Tochter.
»Wie besprochen. Peter und Magdalena heiraten zu Sankt Johannes Baptista.«
»Das ist gut. Bis zum vierundzwanzigsten Juli bleibt uns noch genug Zeit, die Hochzeit vorzubereiten.« Klingenbiel biss ein Stück vom Braten ab. Das Fleisch war zart und saftig, und das gelang bei Rind nicht immer.
Auch Heinrich von Alfeld bediente sich.
»Damit sich Magdalena an Peter gewöhnt, könnte sie schon heute bei uns einziehen«, schlug er vor.
Um nicht gleich antworten zu müssen, spülte Waldemar Klingenbiel das Fleisch mit Bier hinunter. Alfelds Vorschlag gefiel ihm nicht. Es gab gewisse Gerüchte, dass sich sein Gegenüber gern mit sehr jungen Mädchen vergnügte. Vielleicht war an den Gerüchten nichts dran – Klingenbiel versuchte, sich selbst davon zu überzeugen. Im Hause von Alfelds wäre Magdalena aufs Beste versorgt. Ihr würde es an nichts fehlen. Heinrich von Alfeld war reich, viel reicher als er selbst. Und immerhin zählte auch Klingenbiel zu den wohlhabenden Bürgern. Fast nichts war ihm wichtiger, als seiner Tochter ein gutes Auskommen zu verschaffen. Vielleicht musste sie dafür das eine oder andere Opfer bringen.
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