Toleranz - schaffen wir das?

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"Lieben Sie Deutschland? Denken Sie, dass hier Werte und Tugenden gelebt werden, die es zu bewahren gilt? Falls ja, wie kann es gelingen, Deutschland, Europa und seine Werte zu erhalten, aber gleichzeitig das Fremde und Neue willkommen zu heißen, das andere Kulturen und Religionen einbringen?"
Asfa-Wossen Asserate, Mitglied des äthiopischen Kaiserhauses, orthodoxer Christ und deutscher Staatsbürger, ist überzeugt: Toleranz ist möglich, wenn wir unsere eigenen Traditionen ehren und die der anderen respektieren.
Unterschiedliche Experten äußern leicht verständlich und enorm gewinnbringend Gedanken, wie das Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen und Kulturen im Einwanderungsland Deutschland funktionieren kann.
Mit Beiträgen von:
Asfa-Wossen Asserate · Aleida Assmann · Jan Assmann · Dietmar Bartsch · Christina Brudereck · Ali Can · Yassir Eric · Annette Friese · Walter Homolka · Navid Kermani · Charlotte Knobloch · Sabine Marx · Ijoma Mangold · Martin Mosebach · Andreas Nachama · Eckhard Nordhofen · Franz-Josef Overbeck · Manfred Osten · Ludwig Schick · Düzen Tekkal · Bassam Tibi

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Inhalt Vorwort von Dr Prinz AsfaWossen Asserate Prof Dr Aleida Assmann - фото 1

Inhalt

Vorwort von Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate

Prof. Dr. Aleida Assmann

Respekt und Gemeinsinn

Prof. Dr. Jan Assmann

Wahr ist, was uns verbindet

Dr. Dietmar Bartsch

Wie kann das friedliche Zusammenleben der Religionen in Deutschland gelingen?

Christina Brudereck

Toleranz, Hauptwort, feminin (die)

Ali Can

Toleranz reicht nicht!

Rabbiner Professor Walter Homolka PhD PhD DHL

Vom „christlichen Abendland“ hin zu einem pluralistischen Europa: religiöse Toleranz aus jüdischer Sicht

Dr. Navid Kermani

Europa als offener kultureller Raum

Dr. h.c. Charlotte Knobloch

Die Begegnung mit Respekt und Neugier ist eigentlich alles, was es braucht

Ijoma Mangold

Visibilitätsausländer

Sabine Marx

Toleranz im Netz

Martin Mosebach

Toleranz. Versuch einer Begriffsklärung

Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama

Das Judentum und seine Haltung zu anderen Religionen

Prof. Dr. Eckhard Nordhofen

Schibboleth oder die Vorzüge der starken Toleranz

Dr. Manfred Osten

„Dulden heißt Beleidigen“ – Zur Aktualität des Goetheschen Toleranz-Verständnisses

Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck

Was zählt? Das Streben nach Anerkennung in unserer Zeit

Erzbischof Dr. Ludwig Schick

Perspektiven für den christlich-islamischen Dialog in Deutschland

Düzen Tekkal

Toleranz erfordert den Mut zu handeln, Fehler zu machen und Gegenwind auszuhalten

Prof. Dr. Bassam Tibi

Toleranz bedeutet nicht Selbstaufgabe und schließt ein, „Nein“ sagen zu können

Und jetzt? – Ein Nachwort von Annette Friese

Dank

Vorwort

von Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate

Viele Jahre lang habe ich die Idee mit mir getragen, ein Werk herauszubringen, das die große Vielfalt und tiefe Bedeutung des schönen Wortes Toleranz beleuchtet. Toleranz zählt in meinen Augen zu den Grundpfeilern zivilisierten Lebens. So bin ich sehr glücklich, dass dies durch die Bekanntschaft mit meiner Mitherausgeberin, Frau Annette Friese, und dem von ihr vertretenen adeo Verlag möglich wurde. Ich gebe gerne zu, dass ich mir nie hätte vorstellen können, eine solche Fülle diverser Ansichten und Meinungen von angesehenen und hochqualifizierten Persönlichkeiten aus Literatur, Politik und Geistesleben zu umfangen, wie sie nun in diesem Buch versammelt sind. An der Liste der Autoren wird der Leser selbst die Spannweite der Beiträge abschätzen können. Ich bin sehr stolz, dass dieses Buch in der Lage ist, einen Bogen zu spannen, der unterschiedlichsten Denktraditionen ein gemeinsames Forum bietet. Für mich ist auch das ein Zeichen gelebter Toleranz. Jedem einzelnen möchte ich darum für seinen Beitrag von ganzem Herzen danken!

Trotzdem empfinde ich dieses Buch als ein persönliches Buch. Seine Entstehung hat mit meinem Lebensweg zu tun, damit, woher ich komme, wie ich aufgewachsen bin und was mich geprägt hat. Mein Vaterland ist Äthiopien. Es ist ein Land, in dem die drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – seit Urzeiten eine gemeinsame Heimat haben. Ich bin nicht nur mit Freunden aufgewachsen, die, wie ich, sonntags in die Kirche gingen, sondern genauso selbstverständlich waren Freunde, die den Sabbat feierten oder freitags die Moschee besuchten. Zu den großen religiösen Festen haben wir uns gegenseitig eingeladen. Ich empfand es immer als Wonne, nicht nur Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten zu zelebrieren, sondern mit den Familien meiner Freunde auch ihre Feste zu feiern: den islamischen Ramadan, besonders das Zuckerfest, das Fastenbrechen, oder mit jüdischen Freunden den Sabbath. Da gab es nicht nur festliche Mahlzeiten, Kerzen und Weihrauch, sondern auch die verschiedenen rituellen Handlungen, die ich mit Staunen und Neugier beobachtete und kennenlernte. Alle diese Feste hatten eines gemein: Im Mittelpunkt stand das Heilige, das uns Menschen überstrahlt, demütig werden lässt und zur Besinnung ruft. Immer ging es um Dank, um Verehrung, um Erlösung, darum, den Kopf zu senken und sich zu verneigen vor dem Unsagbaren, vor dem Unvorstellbaren, vor Gott.

Meine Eltern haben uns Kinder gelehrt, wie sehr wir es als Glück und Bereicherung empfinden dürfen, dass die drei abrahamitischen Religionen in Äthiopien seit vielen Generationen in friedlicher Koexistenz nebeneinander gelebt werden. Das äthiopische Kaiserhaus, das seinen Ursprung auf die Begegnung der biblischen Königin von Saba mit König Salomon zurückführt, blickt auf eine lange christliche Tradition zurück. Kaiser Ezana nahm bereits im 4. Jahrhundert den christlichen Glauben an. Das äthiopisch-orthodoxe Christentum ist seit Jahrhunderten die Hauptreligion des Landes. Trotzdem erinnere ich mich immer mit Freude an einen nahen Blutsverwandten, den wir Kinder ‚Onkel Rahmato‘ riefen. Er verwöhnte uns an islamischen Feiertagen gerne mit importierten Süßwaren. ‚Onkel Rahmato‘ stammte aus der Provinz Selte im südlichen Äthiopien. Er war ein wohlhabender muslimischer Kaufmann und ein anerkanntes Mitglied unserer Familie. Unser ‚Wir‘ schloss Menschen, die Gott auf eine andere Weise verehren, selbstverständlich mit ein.

Zu meiner religiösen Prägung durch äthiopische Traditionen kam später meine Ausbildung in Europa. Sie lehrte mich, die Werte der Aufklärung zu schätzen, und formte mich zu einem „lupenreinen“ Demokraten. Zugespitzt lässt sich das, was Europa mich lehrte, an einem Wort erkennen: Hierzulande gibt es den Begriff ‚Gegner‘ als Bezeichnung für eine Person, die eine abweichende Meinung vertritt. In den über 2.000 Sprachen auf dem afrikanischen Kontinent, gibt es kein wirkliches Äquivalent für dieses Wort. Stattdessen kennen die afrikanischen Sprachen nur den Feind. Inzwischen betrachte ich die Existenz eines Gegenübers, das Gegner sein kann ohne zum Feind zu werden, als die Basis von Demokratie und Toleranz. Doch nur wenn wir mit tiefster Überzeugung akzeptieren und anerkennen können, dass ein jeder Mensch das Recht hat, anders zu sein als wir selbst, anders zu denken und anders zu glauben, und wir trotzdem mit ihm in einen gewaltfreien Dialog treten können, nur dann haben wir – davon bin ich überzeugt – das Fundament von Demokratie und Toleranz verstanden.

Vor diesem Hintergrund nimmt es sicherlich nicht wunder, dass es mir zur Lebensphilosophie wurde, Toleranz und Verständnis füreinander zu fördern, wo immer mir das möglich ist. Besonders liegen mir die drei brüderlichen Religionen am Herzen. Juden, Christen und Muslime verehren einen Gott. Jeder Gläubige dieser drei Religionen wird zustimmen, wenn wir sagen: Er ist der Gott Abrahams, Isaaks, Ismaels und vor allem der Gott Moses. Daran müssen wir immer erinnern. Wir müssen aber auch erklären, dass es für uns als Christen keinen anderen Weg zu Gott gibt als durch unseren Heiland Jesus Christus. Mein jüdischer Glaubensbruder wird dagegen auf den Gesetzen Moses‘ und dessen Bund mit Gott beharren, so wie mein muslimischer Bruder keinen anderen Weg zu Gott kennt als durch Mohammed und den Koran.

Wir sollten uns der Unterschiede und manchmal tiefen Gräben durchaus bewusst sein, die Gläubige unterschiedlicher Religionen voneinander trennen. Juden, Christen und Muslime gehen seit Jahrtausenden eigene Glaubenswege mit eigenen Traditionen, eigenen Ritualen und eigenen Überzeugungen. Aus meiner Sicht aber verbindet alle Gläubigen, die sich auf die Heilige Schrift berufen, ein gemeinsames Ziel: den Willen Gottes in die Welt zu tragen und in unserem Leben sichtbar zu machen.

Toleranz sehe ich dabei nicht als ein achselzuckendes, passives Dulden des Andersseins oder als gönnerhaftes Gewährenlassen. Darauf weist auch Goethes Aphorismus in aller Schärfe hin, wonach etwas lediglich zu dulden, es zu beleidigen hieße. Ich plädiere für den Aufbruch von einer schwachen zu einer starken Toleranz, die ein Miteinander im Dissens ermöglicht. Voraussetzung dafür ist, die eigenen Traditionen zu kennen und zu ehren, denn nur dann kann ich mit dem anderen überhaupt in Dialog treten und seine Position würdigen. Ziel ist ein aktives Respektieren, das auf Vernunft und Werten wie Offenheit, Gerechtigkeit und Freiheit basiert.

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