Vorwort von Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate
Prof. Dr. Aleida Assmann
Respekt und Gemeinsinn
Prof. Dr. Jan Assmann
Wahr ist, was uns verbindet
Dr. Dietmar Bartsch
Wie kann das friedliche Zusammenleben der Religionen in Deutschland gelingen?
Christina Brudereck
Toleranz, Hauptwort, feminin (die)
Ali Can
Toleranz reicht nicht!
Rabbiner Professor Walter Homolka PhD PhD DHL
Vom „christlichen Abendland“ hin zu einem pluralistischen Europa: religiöse Toleranz aus jüdischer Sicht
Dr. Navid Kermani
Europa als offener kultureller Raum
Dr. h.c. Charlotte Knobloch
Die Begegnung mit Respekt und Neugier ist eigentlich alles, was es braucht
Ijoma Mangold
Visibilitätsausländer
Sabine Marx
Toleranz im Netz
Martin Mosebach
Toleranz. Versuch einer Begriffsklärung
Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama
Das Judentum und seine Haltung zu anderen Religionen
Prof. Dr. Eckhard Nordhofen
Schibboleth oder die Vorzüge der starken Toleranz
Dr. Manfred Osten
„Dulden heißt Beleidigen“ – Zur Aktualität des Goetheschen Toleranz-Verständnisses
Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck
Was zählt? Das Streben nach Anerkennung in unserer Zeit
Erzbischof Dr. Ludwig Schick
Perspektiven für den christlich-islamischen Dialog in Deutschland
Düzen Tekkal
Toleranz erfordert den Mut zu handeln, Fehler zu machen und Gegenwind auszuhalten
Prof. Dr. Bassam Tibi
Toleranz bedeutet nicht Selbstaufgabe und schließt ein, „Nein“ sagen zu können
Und jetzt? – Ein Nachwort von Annette Friese
Dank
Vorwort
von Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate
Viele Jahre lang habe ich die Idee mit mir getragen, ein Werk herauszubringen, das die große Vielfalt und tiefe Bedeutung des schönen Wortes Toleranz beleuchtet. Toleranz zählt in meinen Augen zu den Grundpfeilern zivilisierten Lebens. So bin ich sehr glücklich, dass dies durch die Bekanntschaft mit meiner Mitherausgeberin, Frau Annette Friese, und dem von ihr vertretenen adeo Verlag möglich wurde. Ich gebe gerne zu, dass ich mir nie hätte vorstellen können, eine solche Fülle diverser Ansichten und Meinungen von angesehenen und hochqualifizierten Persönlichkeiten aus Literatur, Politik und Geistesleben zu umfangen, wie sie nun in diesem Buch versammelt sind. An der Liste der Autoren wird der Leser selbst die Spannweite der Beiträge abschätzen können. Ich bin sehr stolz, dass dieses Buch in der Lage ist, einen Bogen zu spannen, der unterschiedlichsten Denktraditionen ein gemeinsames Forum bietet. Für mich ist auch das ein Zeichen gelebter Toleranz. Jedem einzelnen möchte ich darum für seinen Beitrag von ganzem Herzen danken!
Trotzdem empfinde ich dieses Buch als ein persönliches Buch. Seine Entstehung hat mit meinem Lebensweg zu tun, damit, woher ich komme, wie ich aufgewachsen bin und was mich geprägt hat. Mein Vaterland ist Äthiopien. Es ist ein Land, in dem die drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – seit Urzeiten eine gemeinsame Heimat haben. Ich bin nicht nur mit Freunden aufgewachsen, die, wie ich, sonntags in die Kirche gingen, sondern genauso selbstverständlich waren Freunde, die den Sabbat feierten oder freitags die Moschee besuchten. Zu den großen religiösen Festen haben wir uns gegenseitig eingeladen. Ich empfand es immer als Wonne, nicht nur Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten zu zelebrieren, sondern mit den Familien meiner Freunde auch ihre Feste zu feiern: den islamischen Ramadan, besonders das Zuckerfest, das Fastenbrechen, oder mit jüdischen Freunden den Sabbath. Da gab es nicht nur festliche Mahlzeiten, Kerzen und Weihrauch, sondern auch die verschiedenen rituellen Handlungen, die ich mit Staunen und Neugier beobachtete und kennenlernte. Alle diese Feste hatten eines gemein: Im Mittelpunkt stand das Heilige, das uns Menschen überstrahlt, demütig werden lässt und zur Besinnung ruft. Immer ging es um Dank, um Verehrung, um Erlösung, darum, den Kopf zu senken und sich zu verneigen vor dem Unsagbaren, vor dem Unvorstellbaren, vor Gott.
Meine Eltern haben uns Kinder gelehrt, wie sehr wir es als Glück und Bereicherung empfinden dürfen, dass die drei abrahamitischen Religionen in Äthiopien seit vielen Generationen in friedlicher Koexistenz nebeneinander gelebt werden. Das äthiopische Kaiserhaus, das seinen Ursprung auf die Begegnung der biblischen Königin von Saba mit König Salomon zurückführt, blickt auf eine lange christliche Tradition zurück. Kaiser Ezana nahm bereits im 4. Jahrhundert den christlichen Glauben an. Das äthiopisch-orthodoxe Christentum ist seit Jahrhunderten die Hauptreligion des Landes. Trotzdem erinnere ich mich immer mit Freude an einen nahen Blutsverwandten, den wir Kinder ‚Onkel Rahmato‘ riefen. Er verwöhnte uns an islamischen Feiertagen gerne mit importierten Süßwaren. ‚Onkel Rahmato‘ stammte aus der Provinz Selte im südlichen Äthiopien. Er war ein wohlhabender muslimischer Kaufmann und ein anerkanntes Mitglied unserer Familie. Unser ‚Wir‘ schloss Menschen, die Gott auf eine andere Weise verehren, selbstverständlich mit ein.
Zu meiner religiösen Prägung durch äthiopische Traditionen kam später meine Ausbildung in Europa. Sie lehrte mich, die Werte der Aufklärung zu schätzen, und formte mich zu einem „lupenreinen“ Demokraten. Zugespitzt lässt sich das, was Europa mich lehrte, an einem Wort erkennen: Hierzulande gibt es den Begriff ‚Gegner‘ als Bezeichnung für eine Person, die eine abweichende Meinung vertritt. In den über 2.000 Sprachen auf dem afrikanischen Kontinent, gibt es kein wirkliches Äquivalent für dieses Wort. Stattdessen kennen die afrikanischen Sprachen nur den Feind. Inzwischen betrachte ich die Existenz eines Gegenübers, das Gegner sein kann ohne zum Feind zu werden, als die Basis von Demokratie und Toleranz. Doch nur wenn wir mit tiefster Überzeugung akzeptieren und anerkennen können, dass ein jeder Mensch das Recht hat, anders zu sein als wir selbst, anders zu denken und anders zu glauben, und wir trotzdem mit ihm in einen gewaltfreien Dialog treten können, nur dann haben wir – davon bin ich überzeugt – das Fundament von Demokratie und Toleranz verstanden.
Vor diesem Hintergrund nimmt es sicherlich nicht wunder, dass es mir zur Lebensphilosophie wurde, Toleranz und Verständnis füreinander zu fördern, wo immer mir das möglich ist. Besonders liegen mir die drei brüderlichen Religionen am Herzen. Juden, Christen und Muslime verehren einen Gott. Jeder Gläubige dieser drei Religionen wird zustimmen, wenn wir sagen: Er ist der Gott Abrahams, Isaaks, Ismaels und vor allem der Gott Moses. Daran müssen wir immer erinnern. Wir müssen aber auch erklären, dass es für uns als Christen keinen anderen Weg zu Gott gibt als durch unseren Heiland Jesus Christus. Mein jüdischer Glaubensbruder wird dagegen auf den Gesetzen Moses‘ und dessen Bund mit Gott beharren, so wie mein muslimischer Bruder keinen anderen Weg zu Gott kennt als durch Mohammed und den Koran.
Wir sollten uns der Unterschiede und manchmal tiefen Gräben durchaus bewusst sein, die Gläubige unterschiedlicher Religionen voneinander trennen. Juden, Christen und Muslime gehen seit Jahrtausenden eigene Glaubenswege mit eigenen Traditionen, eigenen Ritualen und eigenen Überzeugungen. Aus meiner Sicht aber verbindet alle Gläubigen, die sich auf die Heilige Schrift berufen, ein gemeinsames Ziel: den Willen Gottes in die Welt zu tragen und in unserem Leben sichtbar zu machen.
Toleranz sehe ich dabei nicht als ein achselzuckendes, passives Dulden des Andersseins oder als gönnerhaftes Gewährenlassen. Darauf weist auch Goethes Aphorismus in aller Schärfe hin, wonach etwas lediglich zu dulden, es zu beleidigen hieße. Ich plädiere für den Aufbruch von einer schwachen zu einer starken Toleranz, die ein Miteinander im Dissens ermöglicht. Voraussetzung dafür ist, die eigenen Traditionen zu kennen und zu ehren, denn nur dann kann ich mit dem anderen überhaupt in Dialog treten und seine Position würdigen. Ziel ist ein aktives Respektieren, das auf Vernunft und Werten wie Offenheit, Gerechtigkeit und Freiheit basiert.
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