»Das war kein alberner Traum. Er war sich sicher, dass er den Schatz finden würde und dass damit die Zukunft eurer Familie für Generationen gesichert wäre. Dafür hat er Opfer gebracht, und das hat er für dich getan. Davon hat er die ganze Zeit nur geredet. Von dir und deiner Mutter, und was für ein tolles Leben ihr durch den Schatz haben würdet.« Jack blickte finster drein, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck sanfter. »Du hältst das für eine egoistische Entscheidung, aber in Wahrheit war es genau das Gegenteil. Ich kann ja verstehen, warum du so empfindest, aber es ist ganz und gar nicht gerechtfertigt.«
»Das sehe ich anders.«
»Aber jetzt, wo du die Hintergründe kennst …« Jack holte Luft. »Mein Junge, ich habe schon so einiges erlebt, also lass' mich dir eines sagen: Niemand hat das Recht, über andere zu urteilen. In deinem Alter denkt man, man wisse alles, aber du bist kein unfehlbares Barometer für Recht und Unrecht, und du hast den absolut falschen Eindruck von deinem Vater. Sicher war er nicht perfekt, das ist niemand, Aber er war ein verdammt guter Mann, da gebe ich dir Brief und Siegel drauf.«
Drake schwieg. Er rieb sich die Augen, nach nur drei Stunden Schlaf war er inzwischen todmüde.
»Ich sollte mich auf den Weg machen. Von den Bildern würde ich gerne einige mitnehmen. Und vielen Dank, dass du das Messer so lange für mich aufbewahrt hast … und vor allem dafür, dass du mir einen Einblick verschafft hast, wer mein Vater wirklich war. Das bedeutet mir eine Menge.«
»Und er wäre darüber auch sehr froh, Drake, denn er hat dich wirklich mehr geliebt, als du es dir vorstellen kannst. Dich und deine Mutter.«
Ein Klirren aus der Küche ließ die Männer aufschrecken, es folgte ein gezischter Fluch von Allie.
»Süße, alles okay bei dir?«, rief Jack, während er sich hochwuchtete.
»Ja, sorry Dad, ich und meine Flutschfinger. Ich habe einen Teller fallen lassen, aber sonst ist alles gut!«
Jack ließ sich wieder in seinen Sessel fallen und sie schwiegen eine Weile, während Drake noch einmal durch das Fotoalbum ging. Nach ein paar Minuten legte er es neben das Messer.
»Jack, vielen Dank für die Gastfreundschaft. Wenn es dir nichts ausmacht, schaue ich morgen früh noch mal rein. Gibt es hier irgendwo ein brauchbares Motel?«
»Willst du mich verarschen, mein Junge? Du brauchst doch nicht in ein Motel zu gehen! Wenn du ein bisschen Staub abkannst und dich Allies Schnarchen durch die Wände nicht stört, dann kannst du gerne das dritte Schlafzimmer nehmen! Platz haben wir hier genug.«
»Ich bin euch doch schon genug zur Last gefallen.«
»Davon habe ich nichts bemerkt.«
Drake lächelte. »Vorhin wolltest du mich noch erschießen.«
»Tja, wenn du versuchen solltest, dich in Allies Zimmer zu schleichen, werde ich das auch machen! Ob mit Messer oder ohne, eine volle Ladung Schrot wird dich schon aufhalten.«
»Ich kann hören, wie du unseren Gast bedrohst, Dad! Ich bin ja nicht taub!«, rief Allie aus der Küche.
»Kümmer' du dich weiter um den Haushalt, ich erkläre hier gerade die Regeln des Hauses!«
Der erleuchtete Durchgang zur Küche verdunkelte sich, als Allies schlanke Silhouette im Türrahmen erschien. Das warme Licht hinter ihr verlieh ihren Haaren einen regelrechten Heiligenschein, als sie das Gesicht verzog. »Ja, das habe ich gehört. Keine Vergewaltigungen. Gute Regel. Vielleicht sollte ich das auf die Kissen sticken: Süße Träume, aber keine Vergewaltigungen, alles klar?«
»Ich glaube, ich sollte wirklich …«, setzte Drake an, aber Allie unterbrach ihn. »Ich bestehe darauf. Und verrammle lieber deine Tür! Schließ' zweimal ab, damit dir niemand auf die Pelle rückt. Denn diese texanischen Frauen sind geradezu liebestoll, die fressen dich auf wie Schwarze Witwen. Stimmt’s, Dad?«
Jack sah Drake mit müdem Gesichtsausdruck an und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wirst du das Messer doch noch brauchen.«
»Das ist kein Problem, ich kann Karate!«, grinste Drake.
Die Nacht verging für Drake im absoluten Schleichtempo, denn er wälzte sich unentwegt hin und her, während seine Gedanken endlos um die Dinge kreisten, die ihm Jack über seinen Vater gesagt hatte. Gegen zwei Uhr morgens driftete er dann endlich in einen leichten Schlaf, und kein zartes Klopfen an die Tür oder andere Einladungen zu romantischer Zweisamkeit unterbrachen ihn.
Geweckt wurde er stattdessen von klappernden Pfannen aus der Küche sowie dem Geruch von Kaffee und Schinkenstreifen. Das ließ ihm regelrecht das Wasser im Mund zusammenlaufen. Nach der eiligen Dusche in einer antik anmutenden Wanne kämmte er sich die nassen Haare, zog sich Jeans und ein Shirt an und durchquerte das Haus, um Allie in der Küche zu treffen. Jack beobachtete ihre haushälterischen Bemühungen vom Esstisch aus, eine dampfende Tasse Kaffee vor sich.
»Da ist er ja. Wie hast du geschlafen?«
»Super, wie ein Baby«, log Drake, wobei er heimlich Allie beäugte, die gerade drei Eier in eine Pfanne schlug und diese mit einer Gabel verrührte.
»Ich hoffe, Rühreier sind okay. Das ist die einzige Art, die ich kann«, sagte sie.
»Ich liebe Rühreier, vor allem mit Bacon!«
»Dann ist heute dein Glückstag. Geht gleich los!«
Das Frühstück war köstlich. Als Jack fertig war, ging er mit seiner zweiten Tasse Kaffee ins Wohnzimmer und machte es sich in seinem Sessel gemütlich. Drake gesellte sich zu ihm, nachdem Allie ihn aus der Küche gescheucht hatte; diesmal durfte er nicht beim Abspülen helfen. Stattdessen setzte er sich aufs Sofa und ging noch einmal das Fotoalbum durch, wobei er diesmal ein halbes Dutzend Bilder vorsichtig herauslöste.
»Ich lasse mir die kopieren und bringe sie dann zurück. Es wird ja hier bestimmt irgendwo einen Laden mit ’nem Scanner geben«, sagte er.
»Das ist nicht nötig, die gehören jetzt dir, und das gönne ich dir von ganzem Herzen. Dein alter Herr hätte es genau so gewollt.«
»Nein, ernsthaft. Die gehören mindestens genauso gut dir wie mir. Das ist doch schließlich ein Teil deiner Vergangenheit!« Drake machte eine Pause, hatte er doch die ganze Nacht hin und her überlegt, ob er dem Freund seines Vaters die Wahrheit sagen sollte. »Jack, ich war nicht ganz ehrlich zu dir. Also, als ich dir gesagt habe, dass Patricia mir nur ein paar Informationen hinterlassen hat. Es war viel mehr als das … sie hat mir das komplette Notizbuch meines Vaters hinterlassen.«
Jack starrte ihn an und lehnte sich nach vorne, dann raunte er: »Das Notizbuch? Du hast es?«
»Ja. Patricia hat es mir vererbt. Ich habe aber nicht die ganze Tragweite begriffen, bis ich mit dir darüber sprach. Ich wusste nicht, dass es mehr ist, als die Aufzeichnungen eines Mannes, der vergeblich hinter einem Traum herjagte.«
Als Jack seine Kaffeetasse erneut zum Mund führte, konnte Drake sehen, dass seine Hand zitterte … nur ein ganz kleines Bisschen.
»Und, hast du es gelesen?«
Drake nickte. »Habe ich. Für sich genommen ist es schon ein beeindruckendes Dokument. Mit den Informationen, die du noch beigesteuert hast, ergibt das Ganze allerdings noch mal ein umfassenderes Bild.« Drake zögerte. »Allerdings geht es bei der Geschichte anscheinend sogar noch um mehr, als nur Paititi. Was vielleicht auch erklärt, warum Ex-KGB-Leute aufgetaucht sind.« Drake erzählte ihm von den Regierungsbeamten, die seinen Vater kontaktiert hatten, und Jack sah daraufhin aus, als hätte ihm jemand in die Magengrube getreten.
Er stellte seine Tasse ab. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass dein Vater irgendwelche Absprachen mit der Regierung hatte. Das kann ich fast gar nicht glauben! Was wollten sie denn bloß, und warum hat er nie was gesagt …« Jack kniff die Augen zusammen und starrte Drake misstrauisch an. »Warum erzählst du mir das?«
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