Der Schurke war nicht einen Augenblick verlegen, wusste auch seine Enttäuschung über mein Auftauchen gut zu verbergen und fragte dagegen: »Es hat doch Krach mit den Weibern gegeben? Die Weiber haben doch geschrien? Was haben Sie den Weibern getan?«
»Nichts, was Sie mir nicht geraten haben, Polakowski«, lachte ich. »Ich habe sie auf eure ›Arbeiterart‹ zu ängstigen versucht, nämlich mit Schlägen. Aber es ist nicht viel draus geworden. Übrigens ist es wohl selbstverständlich, dass eine Frau sich widersetzt, wenn man ihr das Silber fortnimmt. Ich habe das Silber, Polakowski.«
»So, haben Sie es?«, antwortete der Abgefeimte. »Nun kommt es drauf an, ob es auch etwas bringt. Das meiste Silber ist leicht und hohl, oder die Fasson ist unmodern. Silber, das nur zum Einschmelzen taugt, ist kaum ein paar Mark wert.«
»Sie brauchen sich darum nicht zu sorgen, Polakowski«, sagte ich böse. »Ich werde mein Silber ohne Sie verwerten – wenn ich es überhaupt verkaufe, was ich noch nicht weiß. So, und nun möchte ich meinen Koffer allein weitertragen.«
Ich hatte während unserer Unterhaltung meine Schuhe angezogen und nahm jetzt den Koffer auf, trotz der flehentlichen Proteste Polakowskis. Endlich hatte ich gerade den rechten Ton ihm gegenüber getroffen, der Alkohol, der ja immer neue, immer andere Stimmungen heraufspült, hatte ihn mir eingegeben. Jetzt war Polakowski wieder ganz Ohrwurm, er beteuerte, er sei nur ein armer Arbeiter, unfähig, mit einem wirklich gebildeten Menschen umzugehen. Natürlich würde mein Silber gut sein, sehr gut, ich möge es seiner Dummheit zugutehalten, wenn er geglaubt habe, ein Mann wie ich könne minderwertiges Silber haben. Ich verharrte in einem vorgeblichen finsteren Schweigen, das ihn immer unruhiger machte, über das ich mich selbst aber innerlich vor Lachen schüttelte. Zu Hause angekommen, trug Polakowski, ohne sich erst bitten zu lassen, die wirklich bereitgehaltene Flasche Korn herbei; ich griff in die Tasche und fragte nur: »Wie viel?«
»Zwei Mark fünfzig«, flüsterte er, sehr demütig.
»Hier haben Sie Ihr Geld, und dass Sie mir nie wieder einen so schlechten Fusel bringen! Habe ich sonst noch was zu zahlen?«
Er versicherte, dass alles beglichen sei.
»Gut, dann machen Sie, dass Sie herauskommen! Ich will jetzt schlafen.«
Er schob sich aus der Tür, ich hatte es fertiggebracht, ihn verlegen und demütig zu machen.
Mir aber war weder nach Schlafen noch nach Trinken zumute. Der Durst nach Betäubung hatte ausgesetzt, ich bekam aus rätselhaften Gründen eine kurze Schonzeit, während der ein Stück des tätigeren Menschen, der ich einst gewesen, wieder auftauchte. Vielleicht kam das von der eben überstandenen Szene mit Magda, die mich doch sehr aufgewühlt hatte – freilich mühte ich mich, so wenig wie nur möglich an sie zu denken.
Eine Weile saß ich grübelnd auf dem Sofa. Mit unerbittlicher Klarheit stand vor mir, dass ich nach dem Geschehenen nie wieder nach Hause kommen konnte. Mein alter Plan, mich selbst des Alkohols zu entwöhnen und als ein Gesunder vor Magda und die Ärzte zu treten, war endgültig zusammengebrochen – übrigens hatte ich in meinen nüchternen Stunden selbst nie recht an ihn geglaubt. Es war aber auch unmöglich, es widerstand mir bis zum Ekel, hier noch länger bei Polakowski zu hausen; das Ende konnte nur Irrsinn heißen. Ich musste einen anderen Weg finden, und ich glaubte, auch eine Ahnung von der Art dieses Weges zu haben. Vieles musste ich wagen in den nächsten vierundzwanzig Stunden, nicht als berauschter Mann durfte ich an mein Werk gehen.
Es mag morgens zwischen drei und vier Uhr gewesen sein, als ich von meinem Sofa aufstand und anfing, den Koffer auszupacken. Ich wusch mich dann von Kopf bis zu Füßen, zog mich halb an und rasierte mich mit größter Sorgfalt. Alles ging unendlich langsam. Das Zittern meiner Hände war so stark, dass ich ein paarmal daran verzweifelte, mich rasieren zu können, aber schließlich gelang es doch. Aus unbekannten Urgründen meines Seins war eine neue Energie in mir aufgestiegen, sie ließ mich aushalten, sie gab es nicht zu, dass ich mehr als ganz kleine Schlucke in langen Zeitabständen zu mir nahm.
Als ich schließlich völlig frisch angezogen und gewaschen mich im Spiegel musterte, war ich selbst erstaunt, wie gut ich noch aussah. Gewiss, meine Augen waren gerötet, mit stecknadelkleinen Pupillen, und die Backen hingen etwas, aber niemand konnte mir einen Trinker ansehen. Ich konnte es morgen früh wagen, und ich würde es wagen.
Ich ging nicht mehr ins Bett. Ich schlug die Decke um mich und setzte mich auf das Sofa, den Morgen zu erwarten. Dabei lauschte ich in das Haus. Es war ganz still, aber ich hatte die feste Überzeugung, dass Polakowski nicht schlief, sondern mich belauerte. Nun, ich würde warten, und ich traute mir auch zu, ihn zu überlisten.
Ich hatte ein Wasserglas mit Korn gefüllt, ehe ich mich auf das Sofa gesetzt hatte, und die Flasche mit dem ganzen Rest in die fernste Ecke meiner Stube gestellt: Mit diesem Wasserglas Korn musste ich bis zum Morgen auskommen, hatte ich bestimmt. Aber ich nippte nur daran; nach der ungewohnten Beschäftigung dieser Nacht war ich todmüde, ich lehnte mich zurück, und schon war ich eingeschlafen.
Ich erwachte von einem leise klirrenden Geräusch. Ich öffnete halb die Augen und blinzelte in die Stube, in der das Licht der Morgensonne bereits die Überhand über den Schein der Glühlampe gewonnen hatte. Über meinen Koffer gebeugt stand Polakowski, er hatte aus einem Futteral ein Tafelmesser gezogen, musterte es kritisch und wog es in der Hand. Eine ganze Weile sah ich zwischen zusammengekniffenen Lidern dem Schurken zu, wie er zwischen dem Silber herumwühlte, dann rekelte ich mich, gähnte laut, wie jemand, der eben erwacht, und sah in mein Zimmer: Es war leer. Eben sah ich noch, wie sich die Klinke der Tür in die Ruhestellung hob. Ein Blick in den Koffer überzeugte mich davon, dass Polakowski sich vorläufig noch mit einer Musterung des Silbers begnügt hatte, das eigentliche Klauen war wohl für betrunkenere Stunden von mir vorbehalten.
Ich öffnete das Fenster, sah über die Stadt und nach dem Stand der Sonne. Sie hatte sich noch nicht viel über den Horizont erhoben, es mochte zwischen sechs und sieben Uhr sein. Ich rief aus der Tür nach Polakowski; der gute Listenreiche ließ sich eine ganze Weile Zeit, bis er sich meldete. Ich rief ihm nur hinunter, dass ich mein Frühstück haben wollte. Er brachte es sehr rasch, seine zage, sonst fast schafsmäßig sanfte Miene konnte dieses Mal doch ein Gefühl lebhafter Beunruhigung über mein völliges Verändertsein nicht verbergen. Ich tat, als sähe ich nichts, und machte mich zum ersten Mal mit einigem Appetit ans Essen. Der Kaffee war überraschend gut, die Semmeln knusprig und die Butter frisch und kühl – dieser Schurke von Polakowski verstand es entschieden, zu leben.
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