Übrigens, wenn ich eben gesagt habe, ich hätte meine Arbeit nur soso gemacht, aus alter Gewohnheit, so ist nicht einmal das ganz richtig: Man soll sein Licht auch nicht unter den Scheffel stellen. Der Alkohol machte es, dass ich in dieser Zeit viel von meiner vornehmen Chefzurückhaltung verlor, ich konnte mit der Landkundschaft viel besser schwätzen, wir klopften einander auf die Schulter, erzählten uns Witzchen, wobei wir uns achtsam umsahen, ob Magda auch nicht in der Nähe war, und dabei gelang mir mancher ungewöhnlich vorteilhafte Abschluss.
Was ich früher nie getan hatte, wofür ich mich zu fein gehalten hatte und meine Firma zu ansehnlich, das tat ich jetzt gerne: Ich ging mit den Landwirten in eine kleine Kneipe, und dort, über einem zerschnitzelten Lindenholztisch, auf dem unsere Stangen kreisrunde nasse Ränder hinterließen, erzählten wir uns vielerlei, tranken noch mehr, und ich kaufte von den oft stark Angetrunkenen zu vorteilhaftesten Preisen. Wenn ich dann, wieder auf dem Büro angelangt, dem Hinzpeter diese Abschlüsse zur Verbuchung angab, sah ich wohl die Blicke, die der trockene Zahlenmensch mit meiner Frau tauschte, aber ich lachte nur darüber.
Jedoch eines Morgens, nach einem solchen Abschluss, bei dem ich den Inspektor eines größeren Gutes regelrecht eingeseift und ihm einen ganzen Waggon Erbsen zu der Hälfte des regulären Marktpreises abgeschwatzt hatte, also am Morgen nach diesem vorteilhaften Einkauf hörte ich aufgeregtes Reden auf dem Hof des Geschäftes, und als ich ans Fenster ging, sah ich dort den jetzt sehr ernüchterten Inspektor, der wild auf meine Frau und Hinzpeter einredete. Ich sah durch die Scheibe eine ganze Weile zufrieden den aufgebrachten Mann an und dachte bei mir: ›Ja, rede du jetzt nur und sei so nüchtern, wie du magst. Deine Unterschrift auf dem Abschluss von gestern Abend kannst du doch nicht wegreden!‹
Jetzt sprach Magda, und der Inspektor nickte und schüttelte den Kopf und trat mit dem Fuß auf, und plötzlich sah er zu mir herüber und entdeckte mich wohl hinter dem Glas, und wirklich und wahrhaftig, der Mann hob den Arm und schüttelte die Faust gegen mich, vor den Augen meiner Frau und Hinzpeters, und nun schrie er sogar ein Schimpfwort gegen mich, und das lautete nicht anders wie: »Oller Leutebetrüger!« Ich wartete, ich wartete darauf, dass Magda den Frechling vom Hof weisen würde, aber sie redete nur auf ihn ein, und nach einer Weile ließ der Inspektor die Faust wieder sinken, und sie verhandelten weiter.
Mich ekelte vor der Schlappheit meines Weibes, und nach einer Weile, als sie immer noch verhandelten, setzte ich mich an meinen Schreibtisch nieder, öffnete das bewusste Fach und stärkte mich. Wieder nach einer Zeit, während ich da so gesessen und an nichts gedacht hatte, ging die Tür auf, und Magda kam blass herein, eine Mappe in der Hand. Sie legte die Mappe auf den Tisch und fing an, mit den Papieren zu rascheln, sonst war es ganz still bei uns im Kontor, und der Alkohol ging sachte in mir herum und machte mich friedlich und zufrieden.
Plötzlich aber ließ Magda die Papiere fallen, sie warf den Kopf auf den Tisch und weinte wild drauflos. Ich war sehr hilflos, wusste gar nicht, was ich tun sollte, war auch in dem jetzigen angenehmen Zustand viel zu bequem, etwas zu tun. So sagte ich nur etwas matt: »Aber was ist denn nur los? Beruhige dich bloß, Magda, es wird ja alles halb so wild sein!«
Sie aber warf den Kopf hoch und starrte mich mit ihren tränenüberströmten Augen an und rief: »Es ist doppelt schlimm! Es ist zehnfach schlimm! Nicht genug, dass du alle Tage stark betrunken bist, bringst du auch noch unsere Firma in Verruf. Überall erzählen sich schon die Leute, dass wir unsolide geworden seien und auf Betrug ausgehen …«
»Halt, stopp, Magda«, sagte ich langsam, und plötzlich war es mir ganz recht, dass es endlich zu einer Aussprache zwischen uns kam, und ich war fest entschlossen, ihr nichts zu ersparen … »Halt, stopp, Magda«, sagte ich. »Nicht so viel auf einmal! Was das angeht, dass ich alle Tage stockbetrunken sein soll, so möchte ich dich wohl fragen, ob du mich je einmal hast torkeln sehen oder lallen hören? Ich nehme dann und wann ein Gläschen, das gebe ich ohne Weiteres zu, aber ich vertrage es auch. Es macht mich klarer. Den Alkohol soll meiden, wer ihn nicht verträgt, das bin aber nicht ich.«
»Sieh«, sagte ich langsam und schloss wieder das bewusste Schreibtischfach auf, »hier haben wir eine Flasche Kognak, die war heute früh um neun Uhr noch voll, und jetzt ist etwa ein Drittel heraus, ein gutes Drittel, sagen wir. Stammle ich deswegen? Bin ich nicht Herr meiner Glieder? Bin ich unklar im Kopfe? Ich bin zehnmal klarer als du! Ich würde es nicht zulassen, dass ein hergelaufener Mistbock meine Frau Betrügerin schimpft, in die Fresse würde ich solchem Kerl schlagen!« schrie ich plötzlich.
Und fuhr ruhiger fort: »Du aber verhandelst mit ihm und begütigst ihn, und wenn ich dich und das ängstliche Huhn, den Hinzpeter, recht kenne, so habt ihr ihm sogar den guten Erbsenabschluss gestrichen oder die Preise erhöht …« Ich sah sie spöttisch an.
»Gewiss haben wir das!«, rief sie, und ihre Tränen waren jetzt versiegt, und sie sah mich ohne jede Liebe und Zuneigung an. »Gewiss haben wir das. Wir haben den Abschluss gestrichen, den guten Kunden sind wir aber trotzdem los für alle Zeit.«
»Soso«, antwortete ich noch viel spöttischer. »Ihr habt den Abschluss gestrichen. Ich bin ja hier bloß der letzte Laufbursche, und das, worunter ich meinen Namen setze, ist nur ein Wisch! Ich will dir aber eins sagen, Magda: Wenn der Inspektor Schmidt vom Fliederhof seinen Abschluss nicht bis auf den letzten Zentner erfüllt, so klage ich gegen ihn, und ich werde recht bekommen. Denn ein Abschluss ist ein Abschluss, das wird dir jeder Rechtsanwalt sagen, und wenn er mein niedriges Angebot angenommen hat, so ist das seine Schuld, nicht meine. Ich habe ihn nicht besoffen gemacht, sondern er hat mich besoffen machen wollen, und wenn er dabei hereingefallen ist, ist es nicht meine Schuld.
Und, Magda«, sagte ich und stand jetzt auf von meinem Stuhl, »ich will dir noch sagen, dass ich hier der Chef bin, ich allein, und wenn Abschlüsse gelöst werden sollen, so werde ich gefragt und kein anderer. Das passt mir nicht mehr, dass du dich hier aufspielst, und willst mich unter deinen Fuß treten und redest von Stockbesoffenheit, wo ich nüchtern bin wie ein Aal im Wasser und zehnmal klüger und tüchtiger als du. Ich bin hier der Chef, und mich verdrängst du nicht. Geh wieder zu deinen Kochtöpfen, da rede ich dir nicht hinein. Ich habe dich nicht hierher gebeten, aber jetzt bitte ich dich, zu gehen.«
Ich hatte sehr ernst und überlegt gesprochen, und während ich so sprach, war mir immer klarer geworden, dass ich wirklich in allem recht und sie in allem unrecht hatte. Nun setzte ich mich wieder.
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