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Weihnachten im Hause Nimmersatt
Ach, da warn die beiden platt,
die Gebrüder Nimmersatt.
Angenervt und voller Frust
hatten Pitt und Didi just
einen riesen Berg an Gaben
unterm Baum hervorgegraben,
diese dann nur kurz betrachtet,
nichts davon recht wertgeachtet,
und mit nicht mal schlecht’ Gewissen
auf den Gabentisch geschmissen.
Statt den Eltern Dank zu sagen,
fing man an, sein Leid zu klagen:
„Vater, das ist alles öde!“
„Mutter, Weihnachten ist blöde!“
Die Beschuldigten, sie stöhnten:
Was kann man den so verwöhnten
Jungs denn überhaupt noch schenken?
Kann man ihnen denn verdenken,
dass sie, die sie alles haben,
sich nicht freun an all den Gaben?
Gut, der Fall ist so weit klar.
Ist ja doch wie jedes Jahr …
Aber eins ist anders heut:
Hört den Anfangssatz erneut:
Ach, da warn die beiden platt,
die Gebrüder Nimmersatt.
Oma Lisa nämlich war’s,
die auf ihrem Sessel saß,
um die Jungs, die ziemlich litten,
kurz an ihre Seit’ zu bitten:
„Seht mal, was ich für euch habe,
hier kommt meine kleine Gabe.“
Skeptisch aber sind die Jungen,
das war ja wohl höchst misslungen.
„Oma, was soll das schon sein.
Guck mal, ist doch viel zu klein!“
Das Papier ward aufgerissen:
Erster Kommentar: „Beschissen!
Oma, einer deiner Scherze!
Was solln wir mit dieser Kerze?“
Oma Lisa froh und munter
geht in keiner Weise unter,
sondern flüstert lieb und leise:
„Kommt mit mir auf eine Reise!
Heute möchte ich entschleiern,
weshalb wir die Weihnacht feiern.
Ihr wisst gar nicht – wie ich denk –,
welches riesige Geschenk
allen, die auf Erden leben,
uns vom Herrngott ist gegeben.
Gott selbst hat sich aufgemacht
und ward Mensch in dieser Nacht.
Er verließ den Himmelsthron,
kam als Jesus, Gottes Sohn.
Warum hat er das getan?
Das ist Teil von Gottes Plan,
uns, die Menschen, zu erlösen,
von der Sünde, allem Bösen,
und von Krankheit, Sorge, Schmerz.
Groß ist Gottes Vaterherz.“
O, da warn die beiden platt,
die Gebrüder Nimmersatt.
„Und die Kerze, sag uns nun:
Was hat die damit zu tun?“
Gerne fuhr die Oma fort:
„In der Bibel, Gottes Wort,
da sagt Jesus, Jesus Christ,
dass das Licht der Welt er ist.
Ich, ich kenne dieses Licht,
weiß, es hält, was es verspricht.
Und mein Wunsch, drum dies Präsent,
dass auch ihr das Licht erkennt.
Dafür bet zu Gottes Sohn
ich seit vielen Jahren schon.“
Wieder warn die beiden platt,
die Gebrüder Nimmersatt.
Pitt und Didi traf es tief,
und sie wurden gleich aktiv.
Didi hielt die Kerze fest,
die dann Pitt entflammen lässt.
Schweigend und doch tief erfüllt
und in Kerzenschein gehüllt,
träumten sie. – Ach, warn sie froh
und die Oma sowieso.
Als es keiner hört und sah,
flüstert sie: „Wie wunderbar,
bist du Jesus, o mein Herr,
du beschenkst uns, und wie sehr …“
Und im Hause Nimmersatt
warn nun alle völlig platt.
Arne Baier, 1970 in Neumünster geboren, ist Lehrer am Gymnasium Kiel-Wellingdorf. Er hat diverse Weihnachtsgedichte geschrieben, die auch auf seiner Internetseite veröffentlicht sind.
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Wie der Drache Fress-dich-nicht dem Christkind geholfen hat
Es war einmal ein kleiner König. Sein Königreich war so klein, dass man in sieben Tagen vom Morgenstern bis zum Abendstern gehen konnte und sich dabei kein bisschen sputen musste. Vom Drachengebirge im Norden zum Regenbogensee im Süden trabte man mit seinem Pferdchen sogar ganz gemütlich an einem einzigen Tag.
In der Zeit vor Weihnachten herrschte, wie überall auf der Welt, auch im kleinen Königreich geschäftiges Treiben. Weihnachtskarten mussten geschrieben, Weihnachtseinladungen verschickt, Weihnachtsgeschenke verpackt und Weihnachtskekse gebacken werden. Und weil man im letzten Jahr die Mondprinzessin vergessen und arg dafür gebüßt hatte, wurde heuer alles feinsäuberlich auf langen Listen festgehalten.
Der kleine König schrieb eine Geschenkliste für besonders bedürftige Untertanen.
Die kleine Königin schrieb eine Gästeliste für den großen Weihnachtsempfang.
Der Hofmarschall schrieb eine Adressenliste für die Weihnachtskarten.
Der Koch schrieb eine Menuliste für das Weihnachtsessen.
Der Küchenjunge Pietro schrieb eine Liste der beliebtesten Weihnachtsbäckereien. Weil er eine große Naschkatze war, wurde es eine lange Liste.
Prinz Minikus und Prinzessin Minika schrieben ihre Wunschliste an das Christkind. Weil sie sehr bescheidene Kinder waren, wurde es eine kurze Liste.
Nur der Drache Fress-dich-nicht und die Kräuterhexe schrieben keine Listen. Der Drache, weil er nicht schreiben konnte, und die kleine Hexe, weil sie so viel Gute-Freunde-Tee gebraut hatte, dass er für alle reichte. Im Turmzimmer knüpfte Minika das letzte Freundschaftsband, während der kleine Prinz auf seiner Flöte Weihnachtslieder übte. Die Turmmaus, die am liebsten mit dem langen Samtband der Prinzessin spielte, hatte sich allerdings verkrochen. Die Töne, die Minikus seiner Silberflöte entlockte, waren zu viel für ihre empfindlichen Ohren. „Das klingt ja ärger als eine Katze, die man am Schwanz zieht!“, schimpfte sie empört aus ihrem Loch. Auch der Hauslehrer, der gerade weihnachtliche Verse für die königliche Familie dichtete, bat wiederholt flehentlich „Cis, mein lieber Minikus. Cis, nicht c!“
Aber auch gelegentlich falsche Töne konnten die vorweihnachtliche Stimmung nicht trüben. Nur der Schnee bereitete den Kindern Sorgen, genauer gesagt: der nicht vorhandene Schnee. Immer wieder schauten sie aus den Schlossfenstern zum Himmel, doch kein weißes Stäubchen ließ sich blicken.
„Wie soll der Schlitten mit dem Christkind ohne Schnee zu uns fahren?“, fragte Minika verzagt. „Gibt es heuer kein Weihnachtsfest?“
„Keine Angst!“, tröstete Minikus die kleine Schwester. „Bis morgen kann der Schnee noch kommen und wenn nicht, spannt das Christkind die Pferdchen eben vor eine Kutsche.“
„Und so lange kein Schnee liegt, dürfen wir noch zu unserem Freund Fress-dich-nicht und zur kleinen Hexe reiten“, warf Pietro vergnügt ein. „Ich habe schon einen ganzen Korb voll runzeliger Äpfel für unseren vegetarischen Drachen gesammelt.“
„Und ich zwei Handvoll Nüsse für die Eichhörnchen“, trumpfte Minikus auf. „Vier Bund Heu für die Rehe und einen Sack Körner für die Vögel hat mir der Stallmeister geschenkt.“
„Ich hab mir ganz viele Karotten für die Hasen abgespart“, erklärte Minika stolz.
„Keine Kunst, weil du keine Karotten magst!“, neckte der Bruder die Schwester.
Dann sattelten die Kinder ihre Ponys, beluden ein viertes mit den Vorräten für die Waldtiere und ritten zum Regenbogensee. Die Turmmaus nahm hinter dem Ohr des ersten Pferdchens Platz und freute sich auf ihre Verwandten, die Waldmäuse.
Nach der großen Begrüßung luden die Kinder das mitgebrachte Futter ab und erkundigten sich bei der kleinen Hexe: „Kommst du morgen zur Weihnachtsfeier zu uns ins Schloss?“
„Ich besuche euch am Tag danach. Den Heiligen Abend möchte ich mit Fress-dich-nicht und den anderen Waldtieren feiern.“
Die Kinder blickten sich suchend um: „Wo steckt denn unser lieber Drache?“ Kein munteres Pfauchen war zu hören, kein rotes Dampfwölkchen zu sehen, nicht einmal eine winzige grüne Schwanzspitze guckte hinter den Felsen hervor.
„Er ist schrecklich beschäftigt. Sein Weihnachtsgeschenk für euch ist noch nicht fertig!“, schmunzelte die Hexe. „Genauer gesagt, er findet es noch nicht perfekt genug.“
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