Während Fräulein Turmmaus mit Onkel und Tante Waldmaus den neuesten Mausklatsch austauschte, servierte die Hexe den Kindern ihren Gute-Wünsche-Tee. Rechtzeitig vor dem Dunkelwerden machten sich Maus und Kinder wieder auf den Heimweg.
Am Heiligen Abend schüttelte das Christkind den Kopf. „Kein Schnee? Hat Frau Holle heuer verschlafen?“ Dann ließ es die Kutsche anspannen und machte sich auf den Weg zur Erde. Als fast alle Gaben verteilt waren – nur im kleinen Königreich auf der anderen Seite des Drachengebirges wartete man noch auf das Himmlische Kind – fielen auf einmal dicke Flocken vom Himmel. Immer heftiger wurde das Schneetreiben, ein weißer Teppich breitete sich über den Weg und so sehr sich die Pferdchen auch bemühten, ihre Hufe fanden in diesem steilen Gelände keinen Halt. Traurig senkten sie ihre Köpfe und wieherten kläglich. Würde es im kleinen Königreich heuer keine Bescherung geben? Weit und breit war keine Hilfe in Sicht. Wer sollte auch zu dieser späten Stunde und an dem abgelegenen Ort ihre Hilferufe hören.
Aber es war doch jemand munter – unser Drache! Der saß noch immer in seiner Höhle und polierte drei glänzende Glückssteine, die er für seine Menschenfreunde aus dem Inneren des Berges gebrochen hatte. Fress-dich-nicht machte sich sofort auf die Suche. Als er das Christkind sah, wurden seine Augen so groß wie Wagenräder. So ein wunderschönes Kind! Hoffentlich hatte es keine Angst vor ihm. Unser Drache machte sich so klein, wie er nur konnte, und hielt sich mit den Vordertatzen sein Maul zu. Nicht auszudenken, wenn sich das Himmlische Kind vor den roten Rauchwolken schrecken würde! Die Pferdchen zitterten auch erbärmlich. Vor Furcht? Vor Kälte? Wer wollte das entscheiden?
Doch das Christkind lächelte ihn an: „Ich fürchte mich nicht. Ich weiß doch, welch lieber Drache du bist! Vielleicht kannst du uns mit deinem heißen Atem den Weg über den Berg frei machen?“
Fress-dich-nicht war sofort Feuer und Flamme, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Er pustete, so fest er konnte, spuckte Feuer und überall, wo er hinfauchte, verschwand der Schnee. In flottem Tempo ging es nun über den Berg. Vorneweg, wie eine kleine Dampflokomotive, der Drache, ein Dampfwölkchen nach dem anderen in die Luft blasend, dahinter die Pferdchen, die nun nicht mehr zitterten, und am Schluss die Kutsche mit dem Christkind.
„Fress-dich-nicht, du bist der netteste Drache der Welt!“, bedankte sich das Christkind, als sie im Tal angekommen waren. „Von nun an können meine Pferdchen alleine weiter. Weißt du was? Zum Dank schenke ich dir einen neuen Namen. Wie gefällt dir FREDI, die Abkürzung von FREss-DIch-nicht?“
Noch immer nach Luft japsend, saß Fredi Fress-dich-nicht neben der Straße und brachte kein Wort heraus, aber er strahlte von einem Dracheneckzahn zum anderen und winkte mit seiner Schwanzspitze, bis das Christkind nicht mehr zu sehen war. Dann machte er sich auf zum Regenbogensee. Schon von Weitem rief er seiner Freundin, der Kräuterhexe zu: „Das Christkind hat mir einen neuen Namen geschenkt. Ab heute heiße ich FREDI!“
Gabriele Eder, 1944 in Helmstedt/Deutschland geboren, verbrachte ihre Kindheit in Bad Ischl und war bis zur Pensionierung Volksschul-Lehrerin in Gmunden in Österreich. Abschließend studierte die Mutter zweier erwachsener Söhne Pädagogik in Salzburg. Für Gabriele Eder ist das Schreiben Kompensation für krankheitsbedingte Einschränkungen, ihre Vorliebe gilt Märchen und heiter-ironischen Texten und Reimereien über Tiere und die kleinen Dinge des Lebens.
*
Ho! Ho! Ho!
Gemütlich schnurchelte der Weihnachtsmann in seinem Schaukelstuhl. Eine warme flauschige Decke war über seinen Knien ausgebreitet, im Kamin erzählten die Holzscheite knisternde Geschichten aus den Wäldern.
Weit fort im Land der Träume sah der Weihnachtsmann unzählige mit Lametta und bunten Kugeln geschmückte Tannenbäume. Der Duft von flüssigem Bienenwachs waberte über brennenden Kerzen durch die Weihnachtsstuben. Zwei Kinder, ein kleiner blonder Junge und ein Mädchen mit hübschen braunen Zöpfen, sagten für den Weihnachtsmann ein Gedicht auf. Dieser lächelte im Traum und griff dann zur Belohnung in seinen Geschenkesack. Aber was war das?
Kein einziges Geschenk war dort zu finden. Nicht einmal der kleinste grün-weiß gestreifte Lolli. Nichts. Rein gar nichts. Den Kindern liefen dicke Tränen über die eben noch vor Freude geröteten Wangen.
„Hach!“ Mit diesem Aufschrei sprang der Weihnachtsmann aus seinem Schaukelstuhl hoch und hätte sich um ein Haar in seiner warmen flauschigen Decke verfangen.
Als er wieder sicher auf beiden Beinen stand, raufte er sich für einen Moment die Haare und den dichten weißen Bart. Und dann, ja dann fiel ihm sein Traum wieder ein. Weihnachten, Kinder, Geschenke. Hastig sah er auf die Uhr. Oh nein, es ging bereits auf den Abend zu. Nein, nicht irgendeinen Abend. Den Heiligen Abend. Alle Gemütlichkeit über Bord werfend, riss der Weihnachtsmann seine rote Mütze mit dem weißen Pelz und seine Weihnachtsmannjacke vom Haken. Schnell schlüpfte er hinein, band noch den schwarzen Gürtel um und rannte dann mit Gestampfe und Getöse durch die Flure seines Holzhauses.
„Dingdingdingdingding!“, machte es kurz darauf. Aus allen möglichen und unmöglichen Ecken kamen verschlafene Weihnachtswichtel hervor, rieben sich die Augen, während sie gleichzeitig versuchten in ihre rot-weiß geringelten Socken und ihre grünen Jäckchen zu schlüpfen. Was war bloß los, das der Weihnachtsmann die Alarmglocke läutete? Das hatte es noch nie gegeben. Naja, fast nie. Wenn sie ehrlich waren, hatte wohl in den vielen Jahren mal der eine oder andere kleine Wichtel aus lauter Blödsinn die Glocke geläutet. Aber das heute. Das war etwas völlig anderes. Es musste etwas Schlimmes passiert sein!
„Meine lieben Wichtel“, japste der Weihnachtsmann seine ersten Worte heraus, noch völlig atemlos von der ganzen Rennerei. So hatten ihn seine Wichtel noch nie erlebt. Mit großen Augen schauten sie zu ihm hoch. „Meine lieben Wichtel“, wiederholte der Weihnachtsmann, nun schon wieder gefasster. „Wir hätten um ein Haar den Heiligen Abend verschlafen. Gerade vor ein paar Minuten erwachte ich in meinem Schaukelstuhl, sah auf die Uhr und erschrak fürchterlich. Der Abend naht und wir sind nicht vorbereitet.“
Mit einem Schlag waren auch die Wichtel hellwach. Den Heiligen Abend fast verschlafen? Oh weih, das konnte doch nicht sein. Wie konnte das nur passieren? Aufgeregt schnatterten alle durcheinander, es hörte sich an wie in einem Hof voller aufgeregter Gänse.
„Ruhe!“, donnerte der Weihnachtsmann dazwischen.
Schlagartig verstummten alle.
„Wir müssen nun Ruhe bewahren“, fuhr der Weihnachtsmann fort. „Jeder von euch weiß, was er zu tun hat. Also packt die Geschenke ...“
„Aber es sind noch nicht alle fertig“, fiel ihm ein Wichtel mit piepsiger Stimme ins Wort.
„Ich weiß, wir müssen das nehmen, was wir haben, und es aufteilen. Besser es bekommt jedes Kind ein kleines Geschenk als gar keins. Und nun schnell. Einpacken, Rentiere anspannen und los geht’s!“ Und genau so wurde es gemacht. In Windeseile wurde verpackt, im Schlitten verstaut, die Rentiere angespannt. Zu guter Letzt zogen sich alle festlich an und dann ging es huuuuuuuiiii durch die Lüfte davon.
Schon bald sahen sie tief unter sich ihr erstes Ziel. Ein wenig enttäuscht sah sich der Weihnachtsmann um und brummelte: „Auf den Winter kann man sich heutzutage auch nicht mehr verlassen. Viel zu warm und keine einzige Schneeflocke weit und breit. Die armen Kinder. Ich weiß doch, wie sehr sie sich immer Schnee am Heiligen Abend wünschen.“
Bei diesen Worten schnippte er kurz mit den Fingern und schon tanzten um ihn herum wunderschöne dicke weiße Flocken, die sanft Richtung Erde schaukelten.
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