Nun ist er es, der grimmig guckt, und mein Basti überlegt wohl gerade krampfhaft, was ich an intimen Einzelheiten über ihn meiner Freundin preisgegeben habe. Das schreit nach einem weiteren Stupser. »Und wenn du es so gut beschreiben kannst, könnten Basti und ich doch genauso verewigt werden, oder?«
Sie nickt fleißig. »Für meine besten Freunde schreibe ich die knackigsten Szenen.«
Bei dem Wort verschluckt sich Basti, und ich kann mich nicht mehr beherrschen. Die Lachtränen rollen über meine Wangen, und Minnie japst nach Luft. Trotzdem bemerken wir den Verbrüderungsblick im Rückspiegel.
»Keine Wette mehr zu dem Thema!«, schlägt Basti seinem Spezl vor.
Alex nickt. »Einverstanden. Und keine heftigen Sexszenen in deinen Büchern, Minnie.«
Sie klappert mit den langen braunen Wimpern. »Natürlich nicht, Hase.«
»Aber die Idee einer Wette mit sportlichem Aspekt finde ich persönlich super«, meint Basti nachdenklich, und wir starren ihn ein wenig genervt an. Ich ahne, was kommt, und jaule auf, denn das ist echt sportlich.
»Was haltet ihr von ›um Herrenchiemsee paddeln in vier Stunden‹? Und damit die Chancen gleich verteilt sind, sitzen Minnie und Alex in einem Boot und Toni und ich im anderen.«
»Wetteinsatz?«, fragt Alex fordernd und grinst seine Freundin an, die seufzt. Wir wissen, er hat sich festgebissen und wird nicht mehr loslassen.
»Wenn wir gewinnen, bekommst du die Heldenrolle im nächsten Buch. Wenn die anderen gewinnen, dann Toni und Basti, okay?«
Die Jungs schlagen lachend ein und besiegeln unser Schicksal, an einem heißen Tag wieder durch die Gegend jagen zu müssen.
Was tut frau nicht alles für Liebe und Fitness!
Endlich Feierabend
Annette Bahr
(Kampenwand, Aschau, Prien)
Ich hatte einen sonnigen Urlaubstag am Wasser des Chiemsees verbracht. Meine Haut war leicht gebräunt, und ich roch den unverwechselbaren Kokosduft der Sonnenmilch, die mich sofort in Ferienlaune brachte. Das glänzende Wasser und die gleichmäßig plätschernden Wellen, auf denen die Segelboote und Stand-Up-Paddler ihr Bestes gaben, haben mich schläfrig und glücklich gemacht. Ich dachte an den gestrigen Tag, als ich eine Mutprobe, die eigentlich eine Wette mit meiner besten Freundin war, eingelöst hatte. Ich, die sonst nicht mal auf eine normale Haushaltsleiter stieg, ohne dass mir schwindlig wurde, flog mit einem Gleitschirm von der Kampenwand!
»Damit du den Überblick von ganz oben über dein Leben zurückgewinnst«, hatte Steffi gesagt und gelacht, als sie mir meinen Geburtstagsgeschenk-Gutschein von Chiemsee Flying übergab. Zunächst fing der Tag sehr windig an und ich hoffte bereits, dass die Verabredung mit dem Fluglehrer ausfallen würde. Aber fröhlich, wie die Bergler hier im Rosenheimer Land sind, begrüßte er mich mit einem herzhaften Händedruck. Ich hatte sofort Vertrauen in diese kräftigen Hände und war mir sicher, dass er mich gut in den Seilen halten würde. Mit zittrigen Knien beobachtete ich, wie ich das Geschirr umgelegt bekam, und bevor ich noch NEIN rufen konnte, rannte er los und stieß uns von der Bergkante ab. Ich schrie wie wild in sein Ohr, und die Angst löste sich dabei mit einem Ruck aus meinem Bauch und strömte in alle Winde. Wir schwebten über Aschau und segelten 45 Minuten in der Luft, unten das Grün der Wälder, das durch den frischen Morgentau bis zu uns herauf nach einem gesunden neuen Tag roch. Das Schloss Hohenaschau glänzte, wie sauber herausgeputzt für einen Touristenansturm. In der Ferne glitzerte der Chiemsee, und die ersten Segler steuerten ihre weißen Boote im Sonnenaufgang über das Bayerische Meer.
Als Michael, so hieß mein Fluglehrer, fragte, wie mutig ich sei, sagte ich tapfer: »Mach nur«, aber als er zu schaukeln begann und wir wie das Pendel eines alten Regulators zur Erde segelten, war mir doch sehr flau im Magen.
Ich war stolz auf mich und meinen Mut, und auch Michael fand den Flug überaus gelungen. Als er lachte und seine weißen Zähne zeigte, fühlte ich eine lang vermisste Geborgenheit bei diesem urigen Mann.
Nun saß ich nach dem Abendessen auf der Terrasse meines gemütlichen Hotels in Prien im wunderschönen Chiemgau und dachte über meine Zukunft nach. Ich hatte einige grundlegende Entscheidungen zu treffen, die, jede für sich, ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen würden und Mut kosteten. Der Nebel der kommenden Zeit schien dichter als in einem Roman von Edgar Allen Poe.
Ich war 49 Jahre alt und stand vor der wichtigsten Wende der letzten Jahrzehnte. Mein Name ist Annegret und ich hatte mir diese Auszeit beruflich und privat genommen, um nachzudenken.
Meine Freunde lachten und taten meine Überlegungen bereits als typische Midlife-Crisis ab. Die Frage, ob das schon alles im Leben gewesen sei, spukte auch bei ihnen im Kopf herum, aber keiner traute sich wirklich Schritte in eine andere, ungewohnte und vielleicht auch zunächst unbequeme Richtung zu gehen. »Die übliche, langweilige Alltagsroutine ist leichter zu ertragen, als den Regenbogen am Horizont anzupeilen«, hatte meine Ärztin einmal gesagt.
War das Leben früher leichter oder kam mir das in der Erinnerung nur so vor? Warum konnte man damals schneller Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen? Immer darauf vertrauend, dass es schon weitergehen würde, selbst wenn es nicht wie geplant lief.
Ich träumte mich zurück auf der Spur meines Lebens. Da gab es meine Ehe und die Geburt meiner geliebten Tochter. Auf sie bin ich besonders stolz! Davor eine Zeit des Reisens in weite Ferne. Alle Kontinente hatte ich bereist und damit meinen Kindheitstraum erfüllt. Eine Jugend der Einsamkeit folgte nach einer wunderbaren Kindheit, die ich dank meiner herzensguten Oma erleben durfte.
Der Kellner kam müde angeschlurft, und ich bestellte ein Bier bei ihm. Ich schaute das weite Panorama der Berge vor mir an und sah die Kampenwand im Abendrot, saftig grüne Wiesen und das glänzende Wasser des Sees, in dem ich heute Nachmittag gebadet hatte. Zwei wunderbare Tage der Erholung und Einkehr lagen hinter mir.
Wohin würde das Zeitmobil mit mir reisen, wenn ich die Wahl hätte zwischen 1969 und 2018? Ich nahm die Gedankenfäden wieder auf …
Plötzlich verschwammen die Menschen um mich herum. Die Stimmen klangen nur noch wie ein Rauschen. Irrte ich mich oder vibrierte der Boden unter mir?
Wie aus dem Nichts saß mein Vater mir gegenüber – sehr jung und gutaussehend. Er hatte sich heute schick gemacht. Er trug ein weißes Hemd mit Binder und dunkler Hose. Seine Schuhe hatten eine dicke weiße Kreppsohle.
Gab es etwas zu feiern? Ich sah mich um, auch die anderen Gäste waren alle sehr elegant gekleidet. Jeder Mann mit weißem Hemd und passendem Schlips, auf dem Nebenstuhl lagen ihre Hüte. Die Frauen hatten bunte, enganliegende Kleider an und waren gut frisiert.
Jetzt bemerkte ich meine Mutter. Auch sie war jung und wunderschön. Schwarzes Haar, aufwändige Hochsteck-Frisur und ein Kleid mit einer ganz schmalen Taille – der Stoff mit großen gelben Blumen bedruckt. Ich sah stolz zu ihr hinüber. Eine liebevolle, vertraute Stimme sagte: »Soll ich mal nachsehen, wo Anni ist?«
Hier bin ich doch! Meine geliebte Oma Magda drehte sich um, und mein Herz machte einen Hopser. Es war so schön, sie zu sehen!
Sie lachte fröhlich und ja, sie hatte mich entdeckt. Ich winkte ihr zu, aber sie schaute durch mich hindurch.
Da kam ein kleines Mädchen mit dunklen Haaren und hübschem rot-karierten Kleidchen auf sie zugelaufen. Die Kleine trug helle Schuhe, deren Spitzen abgestoßene Lederflecken hatten. Es sah so aus, als sei die junge Dame gern unterwegs und gebe sich viel Mühe, ihre Welt zu entdecken.
Die Sonne strahlte um die Wette mit diesem süßen Fratz. Die Locken hüpften bei jedem Schritt. Sie schnatterte bereits von Weitem irgendetwas Wichtiges, das sie sofort mitteilen wollte.
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