Wir verlassen das Krankenhaus und merken auf einmal, dass wir im gedemütigten Zustand besser in die Landschaft passen, und auch die Angst ist kleiner geworden. Und wohin sollen wir? Nach Tutajew, Kirzhach, Boldino? Überall dasselbe. Da wird dir klar, warum wir so ein mieses Leben und so eine gute Literatur haben.
Macht nichts, macht nichts, alles wird gut, uns braucht jemand: Dies ist nicht nur die Stadt der Beamten und Konfidentinnen, sondern auch die der sauberen alten Frauen, ihrer Enkelinnen und Enkel, die Stadt Swjatoslaw Richters, Sabolozkijs, meines Urgroßvaters M. M. Melentjew, der wehleidigen dicken Alten aus dem Haushaltswarenladen, der netten Lehrerin mit dem unklaren Auswuchs an der Aortenklappe, die Stadt der Künstler, des stillen gläubigen Alkoholikers mit dem Herzfehler, die Stadt Vater Schmains und die Stadt Zwetajewas.
3.
So musste es ja kommen: Auf einmal (am neunzehnten März) gab es einen fürchterlichen Sturm – eine Kommission, bestehend aus zehn Mann, inspizierte das Krankenhaus, und auf der Stelle prüften fünfzehn Revisoren auch gleich die Verwaltung. Der Durchzug fegte sowohl den Polizeimeister als auch den armen Vorsitzenden von seinem Posten. Und wie nebenbei erschien ein Jemand und las den Befehl vor: „die Chefärztin wiedereinsetzen“. Die Leere wurde erneut in die Zwischenzellräume gejagt. Sie würde sich leider noch rächen, aber der Erste Weltkrieg war für uns beendet. Il faut travailler – an die Arbeit!
In seinem Schlusswort vor den Kreisabgeordneten – nachzulesen in der Lokalzeitung – sagte der Polizeimeister: „Fremde sind in unser Haus gekommen und haben es zerstört …“ Was für ein Haus? Als wir anfingen, gab es noch nicht einmal einen Defibrillator. Hier hätte durchaus ein Haus stehen können … „Betreten des Rasens verboten!“ Dabei gibt es gar keinen Rasen, nur einen zertretenen Platz, wächst da überhaupt was?
Die Leere befasst sich mit der schönen Literatur. Ein großer anonymer Artikel, Überschrift: „Genozid im Kreismaßstab“. Ein rührender Beginn: „Man hat uns Russen immer vorgeworfen, wir setzten unser Leben für den Wohlstand anderer Völker aufs Spiel. Das liegt in der Natur der Seele des russischen Menschen, die von Traditionen und christlicher Liebe geprägt ist …“ Schon bald – little wonder – folgt eine Passage über die Fremden: „Die listigen Ankömmlinge gewöhnten sich an, die Gastfreundschaft des russischen Volkes auszunutzen, um ihre niedrigen und eigennützigen Ziele zu erreichen“, das war das Hauptthema.
Na endlich! Wie ist es in Russland als Jude – fragt mich eine Tante aus einer internationalen jüdischen Organisation, die denken nur an eins. Ich antworte: Schwierig, aber legal.
„Aus gierigem Interesse nutzen die Fremdlinge geschickt die Kräfte und Mittel des Staates, der durch die tausendjährigen Bemühungen des russischen Volkes geschaffen ward.“ Eine ganze Spalte in diesem Geiste. Weiter noch drei über das Krankenhaus, mit Zahlen, Datum der Anordnungen, Ein- und Ausgangsnummern, eine detaillierte Aufstellung, listenreiche Lügerei. Ein Mischmasch von allem – wie die Autoren im Schrank der Konfidentin. Warme Worte über den Polizeimeister („Enkel von Veteranen, Sohn eines Soldaten“) und eine Modulation in einer fernen Tonart – über A. P. Tschechow, die Rubrik „Warum ist die Staatsanwaltschaft blind“, ein bisschen über meinen Kollegen und mich („die Kardioinvestoren“, „die Möchtegern-Kardiologen“), und als es um die Bedeutende Persönlichkeit geht, um das, was sie antreibt: „eine antivölkische, antirussische Kraft, und die Macht, die hinter ihr steht, sind die Freimaurer“.
„Sie sind ungebildet“, sagen mir gutherzige Menschen. Ich würde es anders ausdrücken: Sie sind schlecht. Ungebildet, weil sie schlecht sind, und nicht umgekehrt. Ein Flegel wendet mit seinem Auto einen gefährlichen Trick an: Er fährt plötzlich von hinten dicht auf und blendet mit den Scheinwerfern: Platz da! Ist der auch ungebildet? „Der Klügere gibt nach, pfeif drauf …“ Gut, puh. Was heißt klüger: wenn jemand einen höheren Intelligenzquotienten hat, heißt das, er ist klüger? Das Dritte Rom ist dem Zweiten sehr viel näher als dem Ersten, wichtig ist nicht der Intellekt. Und ich habe Angst, diesen Gedanken zu vertiefen: Was, wenn eben diese Unnachgiebigkeit (nicht aus bösem Willen, sondern zum Zweck der Geschlossenheit), die ewige Bereitschaft, sich und andere zu opfern, und der Glaube an Worte die Polen und Franzosen und Deutschen besiegt haben? … Alles muss sich beruhigen, wir müssen viel arbeiten, wir müssen zusammenleben. Wir wollen, was geschah, Initiation nennen, ja? (Einige Jahre später kommt der neue Minister aus der Region zur Eröffnung der renovierten chirurgischen Station. Wir gehen auf die Straße, er mustert mich: „Sie wirken überhaupt nicht wie ein Kämpfer, nein.“ „Wie das …? Das fand der Polizeimeister auch.“ Wir blicken einander wieder aufmerksam an und gehen auseinander.)
„Unser Leben wird nie mehr so sein wie früher“, sage ich zu meinem Kollegen. „Die Tschebureki-Stube meiden wir – wissen Sie, wer da Chef ist? Kein Problem, dann essen wir eben Pelmeni. Wir emigrieren natürlich nicht, aber wir müssen unser Haus versichern, Häuser können brennen. Die haben das Papier gefälscht, stimmt’s? Und was haben die noch für Streiche in petto? Gehen Sie bloß nicht in diese Apotheke, lassen Sie das einfach, basta! Und die städtische ist geschlossen? Gut, dann morgen, da ist es auch billiger (eigentlich – ein und dasselbe). Lassen Sie das Haus bewachen und bauen Sie einen Zaun. An der Oka spazieren gehen ist nicht ratsam; wenn Sie unbedingt wollen, fahren wir nach Drakino, das ist eine andere Region – nur fünfzehn Kilometer, da ist es ebenfalls schön, und du triffst keinen. Warum überhaupt spazieren gehen? Wir können die Fenster öffnen, die Luft ist überall gut. Wie, sind wir wirklich Datschniki? Wir sind keine Datschniki. Wir gehören hierhin. Jetzt gehören wir dazu.“
März 2008
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.