Die Liste derer, die im Netz ihre Unterstützung bekundet haben, beginnt so: Abramowa, Ajzenberg, Akimowa, Akulowa, Albaut, Aldaschin, Alexejew, Altowa, Amelina, Andrejew, Asarowa, Awerkijew, Awilowa … Aus Tschechow, Moskau, Lissabon, Washington, Kursk, Sankt Petersburg, Be’er Scheva – Ingenieure, Ärzte, Lehrer, Unternehmer, Studenten, Wissenschaftler, Literaten. Tausend Unterschriften. Hat sich das ausgewirkt – wer weiß? Aber es tröstete ungemein und begeisterte uns: Egal, wie schnell du läufst und wie kräftig du ausholst, deine Fans helfen dir.
Wen verteidigen diese Menschen? Musste man ein solches Tamtam machen, weil eine Tante im Pensionsalter entlassen worden war? Die Antwort gab meine Freundin, die an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität lehrt: „Ich erkläre die vier Formen eines Verbs im Ivrit und weiß, dass Sie in dieser Zeit Patienten untersuchen. Wir beschäftigen uns mit ein und demselben.“ So dass die Antwort einfach ist: Diese Menschen verteidigen sich selbst. Natürlich ist es schrecklich, gegen die Inkarnation der Leere zu kämpfen, aber das ist der seltene Fall, da man unbedingt siegen muss. Die Leere droht uns zu verschlingen, uns zu unterwerfen – wie die sadistischen „Großväter“ in der Armee, wie die „Diebe“ im Lager das tun, und wir Grünschnäbel und Naivlinge wehren uns dagegen. Wir müssen siegen: Vom Resultat, einzig vom Resultat und nicht von dem Prozess – davon, als was für tolle Hechte wir uns aufführen – hängt das weitere Leben ab.
Es gibt viele Nebenthemen, beispielsweise folgendes: Wenn wir es schaffen, aber nur dank der Hilfe der hohen-höchsten Obrigkeit, kann man das als Sieg ansehen? Natürlich, selbstverständlich. Das Krankenhaus ist staatlich, wer, wenn nicht der Staat, muss ihm helfen? Frage: Und wie ist es mit Ihren Einheimischen, Ihren Patienten? Das kümmert mich nicht: Wir sind Ärzte und nicht Anführer einer Armee von Patienten. „Wie reagieren die einfachen Leute auf Ihre Aktionen?“ Es sterben weniger. Eine Alte kommt auf mich zu, wir haben sie vor ein paar Monaten zur Operation nach Moskau geschickt, es geht ihr sehr viel besser: „Ich habe gehört, man will Ihr Krankenhaus schließen. Können Sie mir Tabletten mit auf den Weg geben?“ Richtig: Sie ist klein, wir sind groß, wer muss wen verteidigen? Die Medikamente einnehmen und eine gesunde Lebensweise – das ist alles, was wir von den Menschen erwarten.
Professorenkollegen unterstützten uns ebenfalls, obwohl das für einige ungemütlich war. Sie verbringen viel Zeit in den Sitzungen der Wissenschaftlichen Räte, wir nicht, wir hatten uns hierher geflüchtet – um der Freiheit und Möglichkeit willen, alles nach unserer Überzeugung einzurichten. Die Medizin hat sich immer auf eine Autorität gestützt, früher gab es gar nichts anderes, während in der Mathematik die Autorität keine Rolle spielt. Allerdings geht auch die Medizin allmählich in diese Richtung.
Noch eine Kategorie derer, die Anteil nahmen: „die Helden Russlands“. Einer von ihnen, der wirklich mit einem Stern ausgezeichnet worden ist, öffnet mit einem Ruck die Tür zu unserem Sprechzimmer: „Warte, wir geben es ihnen!“ Er hatte schon seit dem Morgen getrunken. „Wir drücken sie runter, zwingen sie auf die Knie, nehmen sie von hinten.“
„Wer war das?“, fragt ein Kollege.
„Ein Held Russlands. Benja ist König, kein Vergleich mit uns, die auf der Nase die Brille und in der Seele den Herbst tragen.“
Helden und Journalisten und Professoren – alle setzten sich ein. Es sieht so aus, als sei ich nicht dankbar. Das stimmt nicht.
2.
Neue Ereignisse traten ein. Am vierzehnten März versammelten sich die Kreisabgeordneten. Der Vorsitzende, nicht nach hiesiger Manier stramm und braungebrannt, schlägt einen Kompromiss vor: eine Rüge für den Polizeimeister, Wiedereinsetzung der Chefärztin. Der Vorsitzende und seine Frau sind gute Menschen, schon früher haben sie sich um das Krankenhaus gekümmert – Geld gesammelt und Anteil genommen. Aber der war gerade vom Skilaufen aus den Alpen zurück, Rückflug, er ist müde, der Wechsel der Zeitzonen, er hatte sich nicht die Abgeordneten vorgenommen, mit denen er sich hätte absprechen müssen, und das Resultat war: Von fünfzehn Abgeordneten stimmten sechs mit Ja, die anderen waren dagegen. Der Vorsitzende wiederholt immer wieder: „Wir sind zu anständige Leute“, er hat an diesem Tag wohl anderthalb Kilo abgenommen.
Die Männer haben ihren eigenen Kopf. Woher kommt diese Unnachgiebigkeit, bei der ein Versöhnungsversuch als Schwäche und Signal zum Gegenangriff wahrgenommen wird? Der Polizeimeister erhält doch nur eine Rüge, die Chefärztin kehrt auf ihren Posten zurück, sie stünden da wie vorher. Aber der Vorsitzende lebte längst nicht mehr in der realen Zeit, in einer Situation, die sich ständig verändert, je nach dem, was du tust und sagst.
Das Gefühl realer Zeit – wenn sich auf einmal herausstellt, dass die fortgesetzte Vergangenheit zur abgeschlossenen Vergangenheit geworden ist, einfach zur Vergangenheit, an der man nichts mehr korrigieren oder ändern kann – kannte ich von meinem Treffen mit der Bedeutenden Persönlichkeit oder auch aus der Liebeserklärung Kittys und Lewins: Die Dauer ist außer Kraft gesetzt, man muss in eben diesem Augenblick Klugheit an den Tag legen, jetzt sofort. Die Tatsache, dass du klug, kompetent oder – anständig bist, gehört der Vergangenheit an, es erhöht die Chancen, dass du dich in der Gegenwart klug verhältst, in dem, was ist, aber es garantiert nichts.
Wieder sind wir die Verlierer – emigrieren oder bleiben? Wenn wir uns als Förderer des menschlichen Geschlechts gerieren wollen, müssen wir bis zum Schluss durchhalten, damit man später Straßen nach uns benennt, ansonsten sind wir frei in unseren Entscheidungen, wir sind nur Ärzte, wir wollten bessere Arbeitsbedingungen für uns schaffen, und das wäre fast gelungen. Wir machen uns daran, einen Brief zu schreiben, wundern uns, dass wir auf den vorigen keine Antwort erhalten haben, und sagen uns, dass die minimale Frist in Mittelrussland eine Woche beträgt. Eine ganz hohe Obrigkeit muss uns helfen.
„Mit dem Auftauchen dieses und jenem“, schreiben wir, „ist die allgemeine Todesrate im Krankenhaus auf die Hälfte gesunken, die nach einem Myokardinfarkt auf ein Sechstel“ – das entspricht der Wahrheit, obwohl es uns zum Hals heraushängt, dies zu betonen. Womit sollen wir uns in einem Jahr brüsten, wenn es mehr und schwerer erkrankte Patienten gibt? Im Moment, in diesem Tohuwabohu, haben sie fast aufgehört, krank zu sein. Aber die da sind, sehen in dem frisch renovierten Raum fehl am Platze aus: „Der Krieg beschmutzt die Uniformen und bringt Reih und Glied durcheinander.“ Es erfordert Anstrengung, um die Menschen in dieser Pracht von Fliesen, geraden Wänden und breiten, hellen Fenstern nicht deplatziert erscheinen zu lassen. Der Kollege hat zu tun, mir dienen unsere beiden Sprechzimmer – das große kardiologische und das kleine – zu Telefongesprächen und dem Verfassen von Bittschriften.
Eine ältere Frau mit Herzrhythmusstörungen, die vor nicht weniger als einer Woche aufgetreten sind, wird eingeliefert. Ich muss ihr den Sensor in die Speiseröhre einführen, um zu sehen, ob Thromben im Herzen sind, sie betäuben und ihr einen Stromschlag versetzen – um den Herzrhythmus wieder richtig einzustellen. All das haben wir im letzten Jahr Dutzende Male mit Vergnügen gemacht. Aber heute – wie soll ich da arbeiten, wenn die neue Chefin sich über jeden Misserfolg freut. Es wäre gut, wenn sich der Rhythmus von selbst normalisierte, während wir uns mit dem Apparat abmühen – und zack, das passiert tatsächlich, Sinusrhythmus. „Sehen Sie, wenigstens der Eine hat uns erhört.“
„Lästern Sie Gott nicht“, bittet der Kollege.
Ja, Entschuldigung. Wir sind sehr müde – das ist nicht der höchste Preis für die Selbständigkeit, aber fast alles, was wir bereit sind zu zahlen.
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