• Berufliche Risiken (z. B. zur Verkürzung von anfallsfreien Wartefristen)
• Notwendigkeit Auto zu fahren
• Gefährdung im Falle anfallsbedingter Stürze (z. B. Osteoporose, Marcumarisierung)
• persönliche Präferenz (z. B. Stigmatisierungsbefürchtungen beruflich/privat)
• kein aussichtsreicher Ansatz für nichtmedikamentöse Maßnahmen (z. B. Lebensstil-Änderung wie Vermeidung von drastischem Schlafmangel)
1.2.2 Auswahl des ersten Antiepileptikums
Auswahl des ersten Medikaments von nachrangiger Wichtigkeit 
Die Frage nach der geeigneten antiepileptischen Substanz ist – angesichts weitgehend fehlender Wirksamkeitsunterschiede – zweitrangig im Vergleich zu einer sorgfältigen und tragfähigen Entscheidung des Patienten für oder gegen eine antiepileptische Medikation, zumal dieser die Substanzauswahl meist dem Arzt überlassen wird. Unsere Empfehlungen sind Lamotrigin (erste Zieldosis: 300 mg/d, langsame Aufdosierung, siehe Fachinformation), Levetiracetam (1.000 mg/d, in einer Woche aufzudosieren) oder Lacosamid (300 mg/d, in wenigen Tagen aufzudosieren) bei Hinweisen für eine fokale Iktogenese und Valproinsäure (1.000 mg/d, in wenigen Tagen aufzudosieren), Lamotrigin oder Levetiracetam (wie zuvor) bei Hinweisen auf einen generalisierten Anfallsbeginn.
Tab. 1.3: Fahreignungsleitlinien und berufliche Leitlinien nach erstem epileptischem Anfall (vereinfachte Darstellung, zu Einzelheiten siehe Bundesanstalt für Straßenwesen 2019; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) (Hrsg.) 2015)
Fahreignung für KfzGruppe 2Gruppe 1Nicht relevant für Kfz-LeitlinienNicht relevant für Kfz-Leitlinien
* kann bei Beginn einer Therapie mit Antiepileptika ggf. verkürzt werden.
1.3 Sozialmedizinische und rehabilitative Aspekte
1.3.1 Rehabilitation nach erstem Anfall
Option Epilepsie-Reha 
Patienten mit erstem epileptischem Anfall haben ein relevantes Risiko einer nachteiligen sozialen Entwicklung. Bestehen berufliche Schwierigkeiten (drohender Arbeitsplatzverlust, fehlende berufliche Eignung, z. B. bei einem LKW-Fahrer), sollte die Indikation zu einer speziellen medizinischen Rehabilitation für Anfallskranke geprüft werden, insbesondere bei
• ausgeprägten emotionalen Belastungen (z. B. anfallsbezogenen Ängsten, Stigmatisierungserleben)
• Klagen über kognitive Einbußen
• bleibenden Zweifeln des Patienten an der Diagnose
• hohem Informationsbedürfnis
Die entsprechenden Leitlinien der Deutschen Rentenversicherung beschränken medizinische Rehabilitation explizit nicht auf Patienten mit chronifiziertem oder therapieschwierigem Epilepsieverlauf (Deutsche Rentenversicherung 2010).
1.4 Weiterführende ambulante neurologische Betreuung
Ist die Entscheidung zur antikonvulsiven Pharmakotherapie gefallen, beginnt eine langfristige Behandlungsbeziehung zwischen ambulant tätigem Neurologen und dem Betroffenen. Drei große Themenfelder prägen die in der Regel initial halbjährlichen, später weiter auseinanderliegenden Kontakte:
Monitoring der Verträglichkeit
Bei den Natriumkanalblockern sind motorische Nebenwirkungen bei höheren Blutspiegeln möglich, die man durch Prüfung von Halte- und Intentionstremor sowie der Augenfolgebewegungen (sakkadiert? Blickrichtungsnystagmus?) erfasst. Bei anderen Antikonvulsiva sind psychische und kognitive Nebenwirkungen wahrscheinlicher, die durch Erhebung des psychopathologischen Befundes mithilfe kurzer Inventare (z. B. NDDI-E (Brandt et al. 2014), GAD-7 (Löwe et al. 2008)) und Bedside-Testungen (z. B. »EpiTrack« 2 ), in Einzelfällen auch eingehendere psychiatrische oder neuropsychologische Untersuchungen erfasst werden. Nicht selten sind allerdings in der Klientel der Neuerkrankten Klagen über »kognitive« Beeinträchtigungen (Konzentration, Gedächtnis etc.) auf emotionale Belastungen zurückzuführen (Velissaris et al. 2009). Regelmäßige Laborkontrollen werden nicht empfohlen; sie sollten bei klinischen Hinweisen auf eine Nebenwirkung erfolgen (z. B. Anfallszunahme oder Übelkeit als mögliche Zeichen einer Hyponatriämie) (Zaccara et al. 2007). Bei jungen Frauen sind die Besonderheiten bei Verhütung, Schwangerschaftsplanung und Schwangerschaft zu beachten (Müffelmann und Bien 2016).
Monitoring der Wirksamkeit
Da das Ausbleiben von Anfällen der einzige Parameter ist, der die Wirksamkeit einer antiepileptischen Therapie widerspiegelt, ist die möglichst zuverlässige Erfassung von Anfällen von zentraler Bedeutung. Viele Patienten registrieren symptomarme Anfälle mit Bewusstseinsstörung (z. B. Absencen, fokale Anfälle mit Automatismen) selber nicht, seltener auch tonisch-klonische Anfälle nicht (Hoppe et al. 2007b). Daher muss eigen- und fremdanamnestisch gezielt auch nach indirekten Anfallshinweisen (z. B. Zungenbiss-Verletzung, Einnässen, anderweitig nicht erklärbare Abgeschlagenheit) gefahndet werden. In Einzelfällen kann man auch mit dem Patienten verabreden, nach einem mutmaßlichen Anfall ein postiktuales EEG ableiten zu lassen und/oder nach 24–48 Stunden einen CK-Wert bestimmen zu lassen (Brigo et al. 2015). Gelegentlich wird auch in einem routinemäßig durchgeführten EEG ein Anfall aufgezeichnet, den der Patient und seine Angehörigen bislang nicht wahrgenommen oder fehlgedeutet haben.
Sicherung der Adhärenz: gerade bei langen Verläufen ohne Anfall eine besondere Herausforderung 
Gerade bei Patienten, bei denen eine antiepileptische Therapie neu begonnen wurde, sowie bei langen Verläufen ohne Anfallsrezidiv ist die Einnahmetreue bedroht (Specht 2008). Daher ist die Sicherung der Adhärenz zum vereinbarten Therapieregime die vielleicht wichtigste Aufgabe der Begleitung von Patienten nach erstmaligem Anfall. Blutspiegelkontrollen morgens vor Tabletteneinnahme unterstützen die Bearbeitung dieses Themas. Informativer, weniger kränkend und wirksamer als die Frage, ob regelmäßig eingenommen wird, ist die Erkundigung, wie der Patient seine Tabletten einnimmt. Die beste Kontrolle hat er mit Verwendung eines Medikamentendosierers (Wochenbox). Beim Gespräch über diese Einnahmehilfe erläutern wir auch unser Prinzip, vergessene Dosen nachzunehmen. Dies steht zwar im Gegensatz zu den Empfehlungen in den Packungsbeilagen vieler Antiepileptika und kann im Einzelfall zu vorübergehenden Nebenwirkungen führen, sichert aber einen ausreichend hohen Blutspiegel (May et al. 2018). Wir thematisieren auch regelmäßig den Vorteil einer Blutspiegeluntersuchung kurz nach einem Rezidivanfall, um einen Spiegelabfall als möglichen ursächlichen Faktor von einer unzureichenden Wirksamkeit des Antiepileptikums unterscheiden zu können (Specht 2008). 3
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