Zwei häufige Differenzialdiagnosen: Synkope und psychogener nichtepileptischer Anfall 
Die Merkmale der beiden wichtigsten Differenzialdiagnosen (Synkope und psychogener nichtepileptischer Anfall) sind in Tabelle 1.2 aufgelistet. Bei diagnostischer Unsicherheit hinsichtlich der Einordnung des ersten Anfallsereignisses sollte eine Vorstellung in einer spezialisierten Einrichtung erfolgen (Bast et al. 2017).
Tab. 1.2: Checkliste bezüglich der beiden wichtigsten Differenzialdiagnosen epileptischer Anfälle
Die drei wesentlichen anamnestisch erhebbaren Merkmale …psychogener nichtepileptischer Anfälle (neurokardiogener) Synkopen
1.2 Entscheidung über antiepileptische Pharmakotherapie
1.2.1 Gespräch mit dem Patienten
Die Vermittlung der Diagnose »epileptischer Anfall« ist von zentraler Bedeutung für die medizinische und soziale Prognose. Der Patient sollte verstanden haben,
• dass der Anfall Folge einer pathologischen neuralen Erregbarkeit war.
• dass dabei (laienhaft oft als Erklärung angeführte) psychosomatische Faktoren (»Stress«) allenfalls nachrangigen Einfluss hatten.
• dass grundsätzlich ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Rezidivrisiko besteht, dessen Höhe von der Ätiologie des Anfalles und der Befundkonstellation abhängt.
Entscheidung über antiepileptische Behandlung zusammen mit dem Patienten treffen. 
Pharmakotherapie ist die einzige Maßnahme, um das Rezidivrisiko nach unprovoziertem Anfall zu mindern. 
Bei einem unprovozierten Anfall sollte mit dem Patienten besprochen werden, welche Argumente – einschließlich persönlicher Präferenzen – für oder gegen eine Medikation sprechen (
Kasten 1.1 Kasten 1.1: Argumente zugunsten einer antiepileptischen Pharmakotherapie • Merkmale/Merkmalskombinationen für ein erhöhtes Rezidivrisiko – epilepsietypische Aktivität im EEG – potenziell epileptogene Läsion – fokale Anfallssemiologie – Anfall aus dem Schlaf • Alter • Gute Prognose auf Anfallsfreiheit unter Antiepileptika • Berufliche Risiken (z. B. zur Verkürzung von anfallsfreien Wartefristen) • Notwendigkeit Auto zu fahren • Gefährdung im Falle anfallsbedingter Stürze (z. B. Osteoporose, Marcumarisierung) • persönliche Präferenz (z. B. Stigmatisierungsbefürchtungen beruflich/privat) • kein aussichtsreicher Ansatz für nichtmedikamentöse Maßnahmen (z. B. Lebensstil-Änderung wie Vermeidung von drastischem Schlafmangel)
). Eine Pharmakotherapie ist die einzige wissenschaftlich belegte Maßnahme, die das Rezidivrisiko senken kann (Wiebe et al. 2008). Über die ersten zwei Jahre hinweg beträgt diese Senkung 7 %. Mit anderen Worten: Man muss 14 Patienten nach einem ersten Anfall behandeln, um einen von ihnen zusätzlich vor einem Rezidiv zu bewahren. Die Effizienz einer Pharmakotherapie nimmt mit der Anzahl risikoerhöhender Befunde zu: zerebrale Vorschädigung, epilepsietypische Aktivität, potenziell epileptogene Läsion (Bonnett et al. 2014; Kim et al. 2006),
Abb. 1.3 Abb. 1.3: Wiederholungsrisiko epileptischer Anfälle. Hier werden die Kernergebnisse klassischer Studien vereinfacht und schematisiert dargestellt. (A) (Hesdorffer et al. 2009); (B) (Lawn et al. 2014); (C) (Berg und Shinnar 1991); (D) (Marson et al. 2005); (E) (Kim et al. 2006) – normales EEG, keine bestehende neurologische Erkrankung; mittleres Risiko: epileptiforme EEG-Aktivität oder neurologische Erkrankung; hohes Risiko: epileptiforme EEG-Aktivität und neurologische Erkrankung ; (F) (Bonnett et al. 2014) – hier ist das Risiko eines Rezidivs in den folgenden zwölf Monaten dargestellt für Patienten, die nach dem ersten Anfall für ein halbes Jahr anfallsfrei verblieben sind, Bildgeb = kraniale Bildgebung; n = normal, a = abnormal (Specht und Bien 2018, © Georg Thieme Verlag KG). Fehlt eine akut-symptomatische Ursache, handelt es sich um einen unprovozierten Anfall. Entgegen einer verbreiteten Ansicht sind hierzu auch Anfälle nach »Stress« oder Schlafentzug (Lawn et al. 2014, Abb. 1.3 B) zu zählen. Bei etwa 40 % aller Patienten mit einem ersten unprovozierten Anfall tritt innerhalb von zwei bis vier Jahren ein Anfallsrezidiv auf, ca. zwei Drittel davon im ersten Jahr ( Abb. 1.3 C). Die Unterschiede zwischen den Studien sind vornehmlich methodisch begründet (Pohlmann-Eden et al. 1994).
E und F,
Hintergrundinformationen 1). Bei niedrigem Rezidivrisiko lässt sich kein Effekt einer antiepileptischen Therapie belegen, wohl aber bei höherem Risiko (Kim et al. 2006). Anfallsfreie Mindestfristen in Bezug auf berufliche Eignung und Fahreignung können durch eine antiepileptische Medikation verkürzt werden (
Kasten 1.1 Kasten 1.1: Argumente zugunsten einer antiepileptischen Pharmakotherapie • Merkmale/Merkmalskombinationen für ein erhöhtes Rezidivrisiko – epilepsietypische Aktivität im EEG – potenziell epileptogene Läsion – fokale Anfallssemiologie – Anfall aus dem Schlaf • Alter • Gute Prognose auf Anfallsfreiheit unter Antiepileptika • Berufliche Risiken (z. B. zur Verkürzung von anfallsfreien Wartefristen) • Notwendigkeit Auto zu fahren • Gefährdung im Falle anfallsbedingter Stürze (z. B. Osteoporose, Marcumarisierung) • persönliche Präferenz (z. B. Stigmatisierungsbefürchtungen beruflich/privat) • kein aussichtsreicher Ansatz für nichtmedikamentöse Maßnahmen (z. B. Lebensstil-Änderung wie Vermeidung von drastischem Schlafmangel)
,
Tab. 1.3, Bundesanstalt für Straßenwesen 2019, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) (Hrsg.) 2015). Man sollte dem Patienten für den Akzeptanz- und ggf. Entscheidungsprozess bezüglich einer medikamentösen Therapie Zeit geben (stationär: z. B. bis zum Folgetag; Praxis: Wiedervorstellungstermin vereinbaren).
Kasten 1.1: Argumente zugunsten einer antiepileptischen Pharmakotherapie
• Merkmale/Merkmalskombinationen für ein erhöhtes Rezidivrisiko
– epilepsietypische Aktivität im EEG
– potenziell epileptogene Läsion
– fokale Anfallssemiologie
– Anfall aus dem Schlaf
• Alter
• Gute Prognose auf Anfallsfreiheit unter Antiepileptika
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