Die Autorin
Ann-Katrin Fett, geboren 1989, studierte an der Universität Tübingen Geschichte, Skandinavistik sowie Literatur- und Kulturtheorie. Mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt sie sich sowohl aus geschichts- als auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive.
Ann-Katrin Fett
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Umschlagbild: A. Fett
Print:
ISBN 978-3-17-036744-9
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pdf: ISBN 978-3-17-036745-6
epub: ISBN 978-3-17-036746-3
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Im November 1917 sinniert der Soldat Ernst Kesselring in einem Brief an seine Verlobte Rosa über die Schwierigkeiten des Schreibens im Krieg:
»[Ich] glaube dir gern daß es kein Spaß macht Briefe zu schreiben wenn fremde Leute dabei sitzen. Erstens hatt man seine Gedanken nicht so beisammen und zweitens braucht auch nicht jeder zu lesen was man schreibt. Mir geht es genau so. Bei uns ist das Schreiben mit Schwierigkeiten verbunden, denn wir liegen mit 20 Mann in einem Keller und 2 kleine Fenster lassen nur spärlich Licht herein und hüllen das Ganze in ein magisches Halbdunkel. Nun das üble, bei den vielen Leuten, tanzt bald dieser, bald jener im Licht herum und fortwährend kann man den Ruf, aus dem Licht, ausstoßen. Ich schreibe dieserhalb meistens am Mittag denn wenn die Mägen voll sind so legen sich die meisten ins Bett und es gibt für 1-2 Stunden Ruhe, dann ist es aber vorbei.« 1
Die Schreibbedingungen sind sowohl für Rosa als auch für Ernst denkbar ungünstig: Beiden mangelt es an Privatsphäre, Konzentration und Zeit. Dieser permanente Ausnahmezustand wirkt sich negativ auf die Qualität der Briefe aus, wie Ernst Kesselring berichtet:
»Einer meiner Kameraden schrieb einmal abends und als er fertig war verbrannte er den Brief wie er sagte hatt er alles durcheinander geschrieben sodaß man glauben könnte er sei verrückt oder zum mindesten betrunken gewesen.« 2
Da die Briefschreiberinnen und Briefschreiber selten allein und ungestört sind, schaffen sie sich kleine »Nischen des Rückzugs« 3, die sie zum Briefschreiben nutzen. Dabei ist die Zeit oft so knapp bemessen, dass die Briefe unter den widrigsten Umständen entstehen, wie der Soldat Klemens Drolshagen in lakonischen Worten berichtet:
»Nachdem wir den ganzen Vormittag geschossen, bekommen wir momentan eine gründliche Abreibung von schweren franz. Kalibern, daß der mehrere Meter tiefe Stollen nur so wackelt. In einer Weise ganz günstig, ich kann dann schnell was schreiben, wozu ich sonst kaum komme.« 4
Im Ersten Weltkrieg stellten Briefe die einzige Verbindung zwischen den Sphären Front und Heimat dar. Sie waren von enormer persönlicher sowie politischer Wichtigkeit, weshalb sie den gesamten Krieg über portofrei befördert wurden. 5Der Begriff der Feldpost bezeichnet die Postverbindung innerhalb der Truppe sowie zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen in der Heimat. Die primäre Funktion von Feldpost war dabei nicht der inhaltliche Austausch von Informationen, sondern die kommunikative Verbindung von Menschen, die der Krieg auf unbestimmte Zeit räumlich getrennt hatte. 6Für die meisten war der Krieg völlig unerwartet in ihr Leben eingebrochen und hatte jegliche Gewissheiten erschüttert, die zuvor als unumstößlich galten. Inmitten einer völlig neuen und feindseligen Realität waren Briefe oft das Einzige, was die Menschen mit ihrem alten Leben und ihrer früheren Identität verband. Dementsprechend euphorisch wurde die Ankunft der Post begrüßt: »Der lichte Augenblick, in dem ganzen Elend, ist der Moment wenn ich deine lieben Briefe erhalte« 7, schreibt Ernst an Rosa. Blieb die Post jedoch aus, konnte sich dies zu einem Problem von existenzieller Tragweite entwickeln und resultierte oft in einem Gefühl, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, wie folgender Briefausschnitt eines jungen Mannes an seine Eltern zeigt:
»Bin nun über 16 Tage im Felde und habe gerade einen Brief von Mutter bekommen sonst garnichts, von keinem Menschen, trotzdem ich schon so viel geschrieben habe. Ich komme mir immer wie ein Waise vor, alle anderen bekommen Post.« 8
Auch die Menschen in der Heimat warteten voller Ungeduld auf ein Lebenszeichen aus dem Feld: Die Ungewissheit, die mit einer längeren Briefpause einherging, war für die meisten nur schwer erträglich und führte zu einer Vielzahl von bangen Spekulationen. Minna Stockelbrandt aus Berlin schreibt ihrer Freundin:
»Mein lieber Otto hat schon vom 18 März nicht mehr geschrieben, es sind nun schon drei Wochen, was soll man davon denken, ich bin ganz betrübt, ich möchte den ganzen Tag weinen, ich denke er ist tot, denn wäre er verwundet ließ er doch jemand anders schreiben. Ich habe schon hin und wieder mal geschrieben, bekomme aber nichts zurück, wäre er tot müßten doch wohl die Briefsachen zurück kommen, da weiß man nicht was man denken soll.« 9
Während Briefe als Ersatz für den direkten zwischenmenschlichen Kontakt von größter Relevanz für die Aufrechterhaltung von Beziehungen waren, empfanden viele Menschen die briefliche Kommunikation zugleich als defizitär: »Ich wünscht wir brauchten die ganze Schreiberei nicht und ich könnte bei dir sein so wäre uns doch geholfen, aber leider sind dies alles nur fromme Wünsche.« 10Auch Marta Thiele-Tümler aus Berlin ist sich bewusst, dass die schriftliche Kommunikation Raum für allerlei Missverständnisse und Konflikte schafft: »Herzichen, die Gewißheit habe ich heute auch, daß es im persönlichen Zusammenleben nie zu so scharfen Auseinandersetzungen kommen kann, wie noch dieses Mal, schriftlich.« 11Dennoch wurde bereits zu Kriegszeiten der hohe emotionale Wert des Briefes sowie sein Potential als Erinnerungsobjekt für künftige Zeiten anerkannt:
»Was mußt du mein Lieb jetzt eine Menge Briefe aufbewahren da ich deine lieben Briefe auch noch zurücksende. Aber Herzchen hebe sie gut auf. Später haben wir Zeit alles in Muße miteinander durchzugehen.« 12
Die hier aufgeführten Beispiele zeigen, dass Feldpostbriefe Einblicke in alltägliche Sorgen und Nöte im Krieg gewähren und im Stil einer Momentaufnahme versinnbildlichen, was in einer bestimmten Situation empfunden, erlebt und gedacht wurde. Feldpostbriefe versprechen eine »unmittelbare[…] Nähe zum Geschehen« 13und bilden die individuellen Erfahrungen der schreibenden Person ab. Sie zeigen daher die Sicht auf den Krieg »von unten« 14und erlauben direkte Einblicke in die Lebenswirklichkeit der Menschen. Anders als Erfahrungsberichte oder Gespräche mit Zeitzeuginnen und -zeugen aus der Nachkriegszeit sind Feldpostbriefe nicht von einer retrospektiven Erinnerung geformt und laufen daher nicht Gefahr, im Nachhinein umgedeutet oder verzerrt zu werden. 15
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