«Mich kann höchstens eine Eule oder ein Fuchs erwischen», sagte sie, «das soll gar nicht weiter schlimm sein. Sterben, was ist schon Schlimmes dabei? Meine Mutter sagt, man soll schreien, so laut man kann, wenn man von einem Fuchs oder einer Eule gepackt wird. Ganz laut, hat sie gesagt. Dann tut es überhaupt nicht weh.»
Der Junge streichelte die Maus und nahm sie behutsam in seine Hand, ihr langer Schwanz hing nach unten, und ihre spitze, lebhafte Schnauze reckte sie nach vorne.
Durch den leichten Rauch des Feuers sah er die Augen der Schwester. Sie verfolgten jede seiner Bewegungen, und er bemerkte, daß in ihrem Blick viel Traurigkeit lag.
«Jetzt kommt Vater», sagte die Mutter, sie kratzte die glühenden Holzscheiter auseinander, legte den Aal in die Asche, häufte Glut und Asche darüber und klatschte in die Hände, bis sie sauber waren.
Das Gesicht des Vaters erschien in der Türöffnung. Er hielt drei Hasen, die er zusammengebunden hatte, in den Schein des Feuers. Der Junge setzte die Maus neben sich auf den Boden, aber sie folgte dem Jungen und seiner Schwester, die die Beute aus der Nähe betrachteten, und sie lachten, zuerst die Mutter und dann der Vater, sie lachten über den Fang, und sie hängten ihn an den Dachbalken. Der Hund beäugte sie neidisch von draußen und schnüffelte verhungert.
Jetzt litten sie keine Not mehr.
Während sie den tropfenden, warmen Aal verspeisten, der nach Thymian und Petersilie schmeckte, erzählte der Vater von den Funken, die man aus den Feuersteinen schlägt, und davon, wie man die kleinen Funken in dem weichen Baumschwamm hütet, wie man sie durch Blasen zum Leben erweckt, damit sie wachsen und zu einer mächtigen Flamme werden.
Später am Abend ging der Vater hinaus, und durch die geöffnete Tür sahen sie, daß der Himmel sich geöffnet hatte. Die Wolkenschicht lag wie ein leichter Nebel über dem See, am Himmel hingen die Sterne, hell zukkend, als wollten sie sich losreißen, zur Erde stürzen oder auf und davon fliegen.
Nachts konnte es noch ziemlich kalt werden, aber wenn der Himmel klar blieb, würde die Sonne tagsüber wärmen, und sie konnten an der Hüttenwand sitzen und den Frühling erwarten.
Die Maus piepste in ihrem Loch, als wollte sie etwas erzählen. Die Holzscheiter im Feuer zischten, draußen auf dem See krachte das Eis. Sie waren gesättigt und gähnten vor Müdigkeit.
«Vater wird bald kommen», sagte die Mutter, «er hält Ausschau nach Frühlingszeichen.»
Und gleich darauf erschien er, beinahe lautlos, und öffnete die knarrende Tür. Die Schwester sah die schmale Mondsichel über See und Wald. Sie schaute den Bruder an, und er schaute sie an. Er wußte, woran sie dachte. Er holte tief Atem und blickte weg, dorthin, wo die Hütte dunkel war.
Vater und Mutter schwiegen. An den Schatten erkannte er, daß die Mutter unter die Felle des elterlichen Schlafplatzes kroch und daß der Vater sitzen blieb, die Arme um die Knie geschlungen und den Kopf nachdenklich gesenkt.
Das Eis krachte. Die Maus piepste in ihrem Loch, und im Schilfdach raschelte es, wenn der Bruder der Maus, der Zaunkönig, sich im Schlaf bewegte. Bald begann die Mutter leise zu schnarchen, und vom Bett der kleinen Schwester hörte er leichte Atemzüge. Seine zarte, zerbrechliche Schwester.
Er spürte, wie der Schatten des Vaters die ganze Hütte ausfüllte, als er das Feuer verließ und zur Mutter unter die Felle schlüpfte. Er hörte ihn einmal tief seufzen, ehe er einschlief und leise zu schnarchen anfing.
Ab und zu knisterte das Feuer, die kleinen Flämmchen züngelten um die Scheiter, versteckten sich in den langen Rissen und kamen am Rücken oder unter dem Bauch des Holzes wieder zum Vorschein. Im Laufe der Nacht würden sie sich schlafen legen, tief drinnen im Holz, bis ihnen die Mutter am Morgen neues Leben einblies. Zuerst würde das Holz aufglühen, dann kämen die Funken und schließlich die Flamme, und dann würde die Mutter ihre Hände wärmen und der Tag beginnen.
Wenn der Vater irgendwelche Zeichen am Himmel oder auf der Erde entdeckt hatte, war die Zeit für ihn gekommen, dann würde der Junge aufbrechen müssen, um seinen Namen zu finden. Ein bißchen fürchtete er sich davor, aber nur ein bißchen. Er mußte allein losziehen, doch sie würden ja auf ihn warten. Sie würden von ihm reden und ihn mit ihren besten Wünschen begleiten. Dann war es nicht so schlimm. Er lächelte vor sich hin. Hatte er nicht heute ganz allein einen Aal gefangen? Die Aale waren wirklich treu. Ob er sich auf die Vögel und Hasen auch verlassen konnte?
Er war nicht zaghaft, er hatte nur Angst, es zu werden. Auf einmal ist man wie gelähmt und fürchtet sich vor jeder Bewegung.
«Hast du manchmal Angst?» hatte er seine Mutter einmal gefragt.
Und ob sie Angst hatte.
«Ich singe für meine kleine Angst», sagte sie, «sie wohnt in mir und möchte, daß ich für sie singe, dann schläft sie ein.»
Er konnte das nicht. Er hätte gar nicht gewußt, was er hätte singen sollen. Er mußte still sein und singen lernen.
Er war müde, aber er konnte nicht einschlafen. Bis in die Morgenstunden wälzte er sich unter seinen Fellen hin und her.
Da erschallten hoch oben über dem Dach Vogelrufe.
Der Vater drehte sich im Schlaf um. Die Rufe erklangen dreimal, und sie tönten jedesmal neu. Es war wohl ein ganz neuer Vogelschwarm, der in größeren Abständen flog. Es war Zeit, vielleicht auch seine Zeit.
Er schlief ein und erwachte erst, als es längst hell war und der Zaunkönig zwitschernd durch die geöffnete Tür hinaushuschte.
Er merkte, daß er allein in der Hütte war, und stützte sich auf, um hinauszuschauen. Er hörte die Stimmen der kleinen Schwester und der Mutter, ehe er ihre langen Schatten sah. Sie saßen an der Sonnenseite der Hütte und wärmten sich, wie lange hatten sie alle davon geträumt.
Er stand auf, er ging hinaus. Sie mußten ihn gehört haben: Mutters Gesicht erschien hinter der Giebelwand und schaute ihm entgegen.
«Ah», sagte sie, «kleiner Mann, komm und setz dich zu uns, hier ist es warm, herrlich warm.»
Er setzte sich zu ihnen und ließ sich wärmen und ließ sie reden, als wäre er nicht da. Einmal redete die eine, einmal die andere. Nun konnten sie bald frische Wurzeln aus der Seewiese ausgraben, überall im Wald würden gute Pilze wachsen, die Schnepfen würden durch die Farne laufen und die Enten im Schilf schnattern, sie würden Eier aus den Nestern holen und die Dotter voller Leben und Kraft verschlingen, sie würden dick werden, prall und schön wie der Sommer. Vielleicht würde es neue Felle von Fuchs und Reh geben, und sie konnten sich neue, weiche Kleider nähen.
Vielleicht, vielleicht.
Wer wußte das schon.
Der Junge schaute nach dem Vater aus, aber auf der glatten Eisfläche war niemand. Er streifte wahrscheinlich bloß herum oder saß still bei einem Busch oder am Waldrand und lauschte, wie das Gras wuchs und ob sich etwas Lebendiges regte. Auf diese Weise würde er erfahren, wann die ersten Schnepfen auftauchten und wohin er mit Bogen und Pfeil zu gehen hatte.
Wenig später tauchte der Vater bei der großen Eiche auf. Er ging ganz langsam, schaute immer wieder hinaus auf einen entfernten Punkt über dem See. Er schien fest davon überzeugt, daß von dort etwas kommen müsse.
Schließlich erblickten auch sie den Vogelschwarm, bald gesammelt, bald einzeln kamen sie über den See geflogen. Sie hörten ihre Schreie und sahen die Vögel, wie sie mit kräftigen Flügelschlägen, die Beine nach hinten und den silbergrauen Kopf mit dem roten Scheitel vorgestreckt, durch die Luft brausten. Sie sahen ihre Augen, die im Fieber des Fliegens nach vorn gerichtet waren, hin zu dem Ort, zu dem sie zurückkehren wollten, um dort im Frühsommer zu jagen und zu brüten.
Der Vater stieg den Hügel hinauf und setzte sich zu ihnen.
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